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Boris Bojadzhiev zählt zu den vielversprechendsten jungen deutschen Filmkomponisten. Nach einem mit Auszeichnung abgeschlossenen Cello-Studium am Richard-Strauss-Konservatorium in München studierte Boris Bojadzhiev Filmmusik an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. In dieser Zeit beschäftigte sich der Multiinstrumentalist intensiv mit dem Handwerk des Komponierens, nahm Kompositionen mit dem Filmorchester Babelsberg auf und schrieb zahlreiche Filmmusiken. Im Anschluss an sein Studium vertonte Boris Bojadzhiev den vielfach ausgezeichneten Kinospielfilm und Debutlangfilm „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ des Regisseurs Aron Lehmann. Bojadzhiev setzte die Zusammenarbeit mit Lehmann mit der Vertonung von „Highway to Hellas“ fort, der seine Weltpremiere im Oktober 2015 auf dem Busan International Film Festival erlebte und dort mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Auch die Musik für die Tragikomödie „Die letzte Sau“ und Lehmanns letzten Film „Das schönste Mädchen der Welt“ (mit Premiere auf dem Filmfest München 2018), stammt aus der Feder von Boris Bojadzhiev.
Wenn bei den Besuchern des im Rahmen des Landesjazzfestivals stattfindenden Diskussionsabends nur ein Satz hängen geblieben ist, dann ist es mit Sicherheit dieser: „Ich hatte großes Glück.“ Klaus Doldinger schafft es, ihn in beinahe alle seine Antworten einzubauen: die Jugendzeit in Düsseldorf, während derer er in Clubs wie dem legendären „New Orleans“ den am Konservatorium verpönten Jazz lieben lernte, die erste USA-Tour 1960, bei der er die dortige Musikszene inhalierte, die Zusammenarbeit und spätere Freundschaft mit Größen des Filmgeschäfts wie Volker Schlöndorff, die Konzerte in Syrien, im Libanon und in Marokko – all diese Bausteine seines Lebens hätten sich so wunderbar ineinandergefügt, dass sein Leben ihm vorkomme wie ein Märchen, sinniert Doldinger.
Und tatsächlich scheint seine Karriere märchenhaft. Nicht nur angesichts seiner Mitarbeit an Klassikern der deutschen Filmgeschichte wie „Das Boot“ und „Die unendliche Geschichte“, sondern auch im Hinblick auf die Harmonie und Leichtigkeit, mit der seine Arbeit nach eigener Aussage stets verbunden war. Fragen des Moderators nach Meinungsverschiedenheiten mit den Kollegen, nach den Konzessionen, die mit der kommerziell ausgerichteten Filmkomposition einhergehen, und nach der Meinung zur kontemporären Blockbuster-Filmmusik lässt der Ehrenbürger von New Orleans unbeantwortet – stattdessen betont er immer wieder besagtes großes Glück und schweift ab in Anekdoten über jugendliche Fahrradtouren, den rheinländischen Karneval und die liebevolle Beziehung zu seiner Ehefrau und seinen Enkelkindern.
Und obwohl der berühmteste Filmmusikkomponist Deutschlands auch auf die Frage nach seiner Arbeitsweise keine eindeutige Antwort gibt, offenbaren seine Reaktionen eine gefühlsgeleitete Spontanität, ein Urvertrauen in glückliche Fügungen und eine spielerische und situationsgeleitete Herangehensweise an das eigene Handwerk. Ob er die berühmte Tatort-Titelmelodie anders komponiert hätte, wenn er damals schon gewusst hätte, dass sie in mittlerweile über tausend Folgen erklingen würde? Doldinger lacht: „Wenn ich das gewusst hätte, wäre mir vermutlich gar nichts eingefallen.“
Klaus Doldinger gegenüber sitzt der 1979 geborene Boris Bojadzhiev. Dass dieser einer anderen Generation an Filmmusikkomponisten angehört, zeigt bereits sein Ausbildungsweg: Nach Abschluss seines Cello-Studiums entschied er sich, Filmmusik an der Filmuniversität Babelsberg zu studieren – einen Studiengang, den es zu Doldingers Studienzeiten noch gar nicht gab. Der Wunsch, selbst schöpferisch kreativ zu werden, ging für Bojadzhiev mit dem zweiten Studium in Erfüllung. An zahlreichen Fernsehproduktionen und vier Kinofilmen, darunter die Komödien „Highway to Hellas“ und „Das schönste Mädchen der Welt“, hat er bereits mitgearbeitet. Anders als etwa die Hälfte seiner Studienkollegen konnte er sich behaupten in einer Branche, in die immer mehr Berufsanwärter drängen und in der Jobs nach wie vor fast ausschließlich basierend auf persönlichen Beziehungen vergeben werden.
Zu Diskussionen und Kompromissen in der Zusammenarbeit mit Regisseuren meint Bojadzhiev: „Je künstlerisch stärker der Regisseur, desto größer die Freiheit.“ Natürlich sei er stets auf der Suche nach gerade solchen Projekten, bei denen er selbst neue Wege entdecken und Farblichkeiten und Stofflichkeiten durch Musik erfinden könne. Aber: „Auch die Arbeit an schlechten Filmen macht besser.“ Und auch zum deutschen Blockbuster-Filmmusiker Hans Zimmer findet Bojadzhiev deutlichere Worte als Doldinger: An der Uni habe man sich einen Tag lang mit dessen pathosgeladenen Stücken auseinandergesetzt – „am Ende hatten wir alle Kopfschmerzen.“
Als sich das einstündige Gespräch dem Ende zuneigt, erklärt sich Bojadzhiev bereit, in kleinerer Runde noch einige Fragen zu beantworten. Mit erstaunlicher Offenheit berichtet er auf Nachfrage des Publikums von den Arbeitsbedingungen seines Berufs. Vier Fernsehfilme müsse er im Jahr mindestens vertonen, um von seiner Leidenschaft leben zu können; dass er zu Beginn seiner Karriere auf das Einkommen seiner als Musiklehrerin arbeitenden Ehefrau angewiesen war, erwähnt er ebenso unumwunden wie die Tatsache, dass man als Komponist für ZDF-Krimifilme eine Zielgruppe mit einem Durchschnittsalter von 65 vor Augen habe.
Bojadzhievs Aussagen zeugen von einer Prekarität des Künstlerberufs, an der sich in den vergangenen Jahrzehnten trotz professionalisierter Studiengänge wenig getan hat: Komponisten beziehen ihre Tantime über das Urheber- und das Verlagsrecht, die bei der Vergütung jeweils einen Anteil von 60 beziehungsweise 40 Prozent ausmachen. Wenn sie selbst unter keinem Vertrag stehen, stehen ihnen normalerweise auch die Verlagsrechte zu. Um Komponisten weniger zahlen zu müssen, so Bojadzhiev, gründen die Fernsehsender ihre eigenen Musikverlage und knüpfen die Auftragsvergabe an die Bedingungen, dass die Verlagsrechte an den Sender übertreten werden. Derlei Praktiken finden sich mittlerweile in den meisten kreativen Branchen – man rechnet damit, dass sich unter einer Vielzahl an Künstlern schon irgendjemand finden wird, der bereit ist, Ausbeutung hinzunehmen, weil er sich davon Folgeaufträge verspricht. „Do it for the exposure“, lautet das neoliberale Gebot der Stunde für Kreativschaffende – und sobald sich auch nur ein paar Einzelpersonen finden, die diesem folgen, geht das Kalkül der Selbstausbeutung auf.
Gerade für Filmkomponisten ist dies besonders bitter – denn während mit ihnen über ein paar hundert Euro gestritten wird, zahlen Produktionsfirmen für die Nutzungsrechte von bereits bestehenden Songs in ihren Werken teils mehr als für die gesamte Originalmusik. So berichtet Bojadzhiev, dass die Nutzungsrechte für Janis Joplins „Mercedes Benz“ und Bob Dylans „Blowin’ in the Wind“, die Constantin Film für „Der Baader Meinhof Komplex“ erwarb, etwa 150.000 Euro kosteten. Angesichts solcher Tatsachen gibt es mittlerweile gewerkschaftsähnliche Organisationen, die sich für Komponistenrechte stark machen. Nach all dem Reden über das große Glück, über die schöpferische Freude an Improvisation und das Arbeiten am Puls der Zeit hat auf einmal die ökonomische Realität Einzug in den holzvertäfelten Saal des Graf-Zeppelin-Hauses gehalten.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Portrait:
| Stefan Botev (alle Rechte vorbehalten)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm