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Nach ihrem Abitur im Jahr 2008 und einem Freiwilligen Sozialen Jahr in Frankreich hat Raija Hawly ihr Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaften in Friedrichshafen begonnen. Nach einem Auslandssemester in Schweden und der Beendigung ihrer Bachelorarbeit, absolviert sie nun ein einjähriges Master-Programm in „European Studies“ am Zentrum für Europäische Integrationsforschung in Bonn. Ihr Hauptinteresse liegt dabei auf der Beziehung der EU zu Nicht-EU-Staaten und internationalen Organisationen, wie beispielsweise den Vereinten Nationen.
Afghanistan soll ein zunehmend ziviles Gesicht bekommen, wie es Außenminister Westerwelle formuliert. Tut man dem Land mit der Umsetzung westlicher Ideale einen Gefallen?
Raija Hawly: Tatsache ist, dass sich Afghanistan seit dem Einmarsch ausländischer Truppen zwei Entwicklungen anpassen musste, die das Selbstverständnis des Landes nicht widerspiegeln: Zum einen wurde versucht, eine Demokratie nach westlichem Vorbild einzuführen und zum anderen wurde das Land als geeinter Staat behandelt. Zwar besitzt Afghanistan mittlerweile eine Verfassung, die demokratische Grundsätze beinhaltet, aber deren Bestimmungen werden in der Praxis oft nur unzureichend umgesetzt. Zudem wurde durch die Einführung einer Zentralregierung die starke Stammesorientierung in Afghanistan zu wenig berücksichtigt. Dies lässt die zukünftigen Chancen auf stabile Regierungsstrukturen eher gering erscheinen.
Seit der Antike gibt es verschiedenste Definitionen und Formen des Demokratiebegriffes. In Ihrer Arbeit beziehen Sie sich auf das Demokratieverständnis von Robert Dahl. Warum?
Hawly: Viele Definitionen von Demokratie beziehen sich nur oberflächlich auf notwendige politische Institutionen, die für deren Funktionieren geschaffen werden müssen. Eine solche habe ich aber benötigt, um die Hauptfrage meiner Arbeit – nämlich ob der Aufbau demokratischer politischer Institutionen in „failed states“ wie Afghanistan funktionieren kann – zu beantworten. Robert Dahl hat sich mit der Frage beschäftigt, welche politischen Institutionen für eine großflächige – eine sogenannte „large-scale“ – Demokratie Voraussetzung sind: Neben freien, fairen und sich wiederholenden Wahlen nennt er Meinungs- und Assoziationsfreiheit und eine Verfassung, die unter anderem Rechtsneutralität, fundamentale Menschenrechte und Transparenz garantiert. Diese Definition demokratischer Institutionen hat es mir ermöglicht, westliche demokratische Regierungsstrukturen mit afghanischen Regierungsstrukturen zu vergleichen.
Eine demokratische Grundordnung ist für das Bestehen eines Staates nicht erforderlich. An die erste Frage anknüpfend: Wie sinnvoll ist es, einem Volk, das westlichen Einflüssen eher abweisend gegenübersteht, von außen demokratische Institutionen aufzuzwingen?
Hawly: Die Einführung einer demokratischen Grundordnung beziehungsweise demokratischer politischer Institutionen in „failed states“ ist an sich ein Paradox. In der Regel ist in „failed states“ keine legitimierte Regierung mehr vorhanden, die durch ihr alleiniges Gewaltmonopol einen funktionieren Staat aufbauen könnte. Dies wird jedoch in Ansätzen über Hilfen für „failed states“ häufig vorausgesetzt. Es ist daher zumindest fraglich, ob „failed states“ durch eine sofortige Einführung einer demokratischen Grundordnung geholfen werden kann. In Bezug auf Afghanistan wäre es sehr hilfreich, westliche Demokratievorstellungen mehr in Einklang mit der afghanischen Auffassung von politischen Strukturen zu bringen.
Wie erfolgreich war die Einführung demokratischer Institutionen in Afghanistan?
Hawly: Der Fortschrittsbericht der deutschen Bundesregierung zu Afghanistan aus dem Jahr 2011 kam zu dem Schluss, dass das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche und zumindest der Verfassung nach demokratische Institutionen – auch nach mehreren Jahren des Wideraufbaus – begrenzt sei. Die Hauptautorität in Bezug auf politische Entscheidungen liegt in Afghanistan immer noch auf lokaler Ebene. Man kann daher sagen, dass das Aufzwingen demokratischer Institutionen in Afghanistan nur mäßigen Erfolg hatte.
Auf der Welt gibt es über 20 „failed States“. Was sind die wichtigsten Kennzeichnen eines "gescheiterten" Staates?
Hawly: In „failed States“ besitzt der Staat kein Machtmonopol über sein gesamtes Territorium. Dies wiederum führt häufig zu einem Anstieg von Kriminalität und Korruption oder zum Ausbruch ethnischer, kultureller, sprachlicher oder religiöser Feindseligkeiten. Im schlimmsten Falle können diese in einem Bürgerkrieg enden. Die politischen Institutionen in „failed states“ sind schwach. Meistens sind weder ein funktionierendes Schul- oder Gesundheitssystem noch eine intakte Infrastruktur vorhanden. Diese Gründe tragen dazu bei, dass die Lebenserwartung in „failed states“ sehr gering ist.
Warum haben Sie sich ausgerechnet mit Afghanistan beschäftigt? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, einen Staat zu wählen, der im Aufbau weiter ist?
Hawly: Ich habe mich mit Afghanistan beschäftigt, weil dieses Land ein sehr prominentes Beispiel für einen „failed state“ ist und das Engagement westlicher Nationen in diesem Land im Vergleich zu anderen „failed states“ sehr hoch war und ist. Trotzdem waren die erzielten Erfolge in Afghanistan selbst hier eher gering.
Bild: Bundeswehr-Fotos Wir.dienen.Deutschland/flickr.com