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Printjournalismus

Nicht nur zum Fisch einwickeln

Wir vermitteln unseren Lesern, dass sie sich mit dem Kauf unseres Produkts als Dinosaurier ausweisen. Was ist das denn für eine bescheuerte Botschaft?

Giovanni di Lorenzo
Chefredakteur DIE ZEIT
 
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    Zur Person
    Giovanni di Lorenzo

    Giovanni di Lorenzo, 1959 in Stockholm geboren, arbeitete nach einem Studium der Kommunikationswissenschaft in München als politischer Reporter und Leiter des Reportageressorts "Die Seite Drei" bei der Süddeutschen Zeitung. Seit 1989 moderiert er die Fernsehtalkshow 3 nach 9, 1999 wurde er Chefredakteur der Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel. 2004 wechselte er als Chefredakteur zur Wochenzeitung DIE ZEIT.

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Am 5. August ließ Jeff Bezos die Bombe platzen: Für 250 Millionen US-Dollar übernahm der schwerreiche Amazon-Gründer eine der traditionsreichsten Zeitungen der Welt, die amerikanische Washington Post. „Das Zeitungsgeschäft hat nicht aufgehört, Fragen aufzuwerfen, auf die wir keine Antworten haben“, begründete die Verlegerfamilie den Verkauf. Anders ausgedrückt: Die Zahl der Leser befindet sich im freien Fall, ohne Investor wäre das Ende wohl nur noch eine Frage der Zeit gewesen.

Seitdem dürfte auch den größten Optimisten unter den Journalisten klar sein: Die Branche befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch, weitermachen wie bisher ist kein allzu zukunftsträchtiges Geschäftsmodell. Berufsbedingt brüten Medienschaffende zwangsläufig über den damit verbundenen Fragen: Welche Veränderungen sind nötig, wie können wir Zeitungen fit fürs digitale Zeitalter machen?

Giovanni di Lorenzo - ein Name, der zieht: Das Foyer der Zeppelin Universität war proppevoll, sogar in der Mensa saßen noch Zuhörerzoom
Giovanni di Lorenzo - ein Name, der zieht: Das Foyer der Zeppelin Universität war proppevoll, sogar in der Mensa saßen noch Zuhörer

Doch das Thema interessiert nicht nur Journalisten: Die BürgerUniversität mit dem ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, angekündigt als ein „Gespräch über die Zukunft der Medien“, war Wochen im Voraus ausgebucht, das Foyer der Zeppelin Universität bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung bis auf den letzten Platz gefüllt. Zugegeben: Angesichts der Prominenz des Gastes wäre ein „Gespräch über die Zukunft der chinesischen Reissäcke“ wohl ebenfalls gut besucht gewesen – doch als ZU-Präsident Stephan Jansen die rund 500 Zuhörer nach zwei Stunden entließ, tat er dies mit den Worten: „Wenn im November keiner im Saal hustet, war es wohl interessant.“

Und Recht hatte er: Während dem von Jansen und ZU-Alumna Eva Schulz moderierten Gespräch mit di Lorenzo blieb die Aufmerksamkeit konstant hoch, ebenso wie die Beteiligung an der abschließenden Fragerunde. Das lag nicht zuletzt am Auftreten di Lorenzos: Zwar kann er „längst nicht so schnell reden“ wie Stephan Jansen, wie er selbst zugab, aber das, was er sagt, weiß er gut und überzeugend zu verkaufen. Die beiden lieferten sich einen durchaus unterhaltsamen verbalen Schlagabtausch, der am Ende mit einem knappen Auswärtssieg für den Gast aus Hamburg endete.

Letztendlich blieb das rhetorische Kräftemessen zwischen Medienmacher und Uni-Präsident aber ein Nebenkriegsschauplatz. „Wofür steht Giovanni di Lorenzo?“, fragte Stephan Jansen zu Beginn, und ließ das Publikum per Handzeichen abstimmen. „Für seine Bücher mit Helmut Schmidt? Für seine Talkshow 3nach9? Oder für DIE ZEIT?“ Das Votum war eindeutig: di Lorenzo wird als Printjournalist wahrgenommen, und so drehte sich das folgende Gespräch auch hauptsächlich um die Zukunft der gedruckten Zeitung im Allgemeinen und die Zukunft der ZEIT im Besonderen.

Manche Bilder sagen mehr als tausend Worte: Auflagenentwicklung im freien Fall.
Manche Bilder sagen mehr als tausend Worte: Auflagenentwicklung im freien Fall.

Dass es derzeit vielversprechendere Erlösmodelle gibt, als auf Papier gedruckte Informationen zu verkaufen, ist kein großes Geheimnis: Binnen zehn Jahren ist die Zahl der verkauften Tageszeitungen in Deutschland um fast ein Drittel auf nunmehr 20 Millionen Exemplare gesunken, und Traditionsblätter wie die Frankfurter Rundschau oder die Financial Times Deutschland mussten Insolvenz anmelden. Das Durchschnittsalter der Leserschaft nähert sich zielstrebig dem Rentenalter, was Medienmogul Warren Buffet polemisch so zusammenfasste: „Zeitungsleser sind auf dem Weg zum Friedhof. Die Nicht-Zeitungsleser verlassen gerade das College.“

Vor diesem Hintergrund überrascht der Optimismus di Lorenzos dann doch: „Der Printjournalismus ist quicklebendig“, stellt er klipp und klar fest. Stattdessen erlebt er „den größten Akt der Selbstbeschädigung, die je eine Branche seit Beginn der Industrialisierung vollzogen hat.“ Er hält das angebliche Ende der Zeitung vor allem für ein selbst herbeigeredetes. „Wir vermitteln unseren Lesern, dass sie sich mit dem Kauf unseres Produkts als Dinosaurier ausweisen. Was ist das denn für eine bescheuerte Botschaft?“ Wer sich derart geschäftsschädigend verhalte, dürfe sich über sinkende Auflagen nicht wundern. Ein besseres Marketing vorausgesetzt, macht er sich keine Sorgen um die Zukunft, denn das Bedürfnis nach qualitativ hochwertigem Journalismus sei so groß wie nie zuvor.

Der Gast thront im roten Sessel, flankiert vom Moderatorenduo aus Alumna Eva Schulz und ZU-Präsident Stephan Jansen.zoom
Der Gast thront im roten Sessel, flankiert vom Moderatorenduo aus Alumna Eva Schulz und ZU-Präsident Stephan Jansen.

Nun könnte man sagen: Giovanni di Lorenzo ist Chefredakteur der größten deutschen Wochenzeitung – da bleibt ihm ja kaum etwas anderes übrig, als Zuversicht zu verbreiten. Doch er will sich nicht als Zweckoptimist verstanden wissen und begründet seinen Zukunftsglauben mit vier Thesen:

1. „Es gibt keine Zeitungskrise, nur eine General-Interest-Krise.“
Medien mit breiter Zielgruppe haben es schwer: Illustrierte, Frauenzeitschriften und Nachrichtenmagazine verkaufen sich immer schlechter. In diese Lücke drängend zunehmend Special-Interest-Zeitschriften wie etwa brand eins, Men’s Health, Beef oder die Landlust, die mittlerweile eine Millionenauflage erreicht und damit mehr Hefte verkauft als der Spiegel.

2. „Selbst kriselnde Medien erwirtschaften noch Renditen, auf die DAX-Konzerne neidisch wären.“
Zwar scheinen die goldenen Zeiten der 80er- und 90er-Jahre vorbei, doch noch immer erzielen viele Verleger zweistellige Renditen. 2012 brach beim Spiegel-Verlag großes Wehklagen aus, nachdem er nur 15 Prozent statt wie im Vorjahr 20 Prozent Umsatzrendite gemacht hatte. Zum Vergleich: Unter den 30 DAX-Konzernen lag das Verhältnis von Gewinn zu Umsatz bei knapp sieben Prozent.

3. „Zur Jahrtausendwende haben wir 30 Millionen Miese in einem Jahr gemacht. DIE ZEIT war ein bräsiges, altklug-belehrendes Studienratsblatt. Heute geht es uns so gut wie nie.“
Viele Verlage haben das Internet als Hauptschuldigen ausgemacht: Wer bezahle denn noch für Zeitungen, wo es viele Informationen doch auch kostenlos im Netz gebe? Di Lorenzo hält die Probleme dagegen für hausgemacht. Wer seine Leser langweile, bekomme dafür die Quittung am Zeitungskiosk – Internet hin oder her. Er sieht die Entwicklung seiner eigenen Zeitung als Mutmacher für die Branche: DIE ZEIT habe im richtigen Moment die Notbremse gezogen und sich grundlegend neu aufgestellt. Mittlerweile kann Geschäftsführer Rainer Esser alljährlich neue Umsatz- und Auflagenrekorde vermelden. Für di Lorenzo der Beleg, dass die Verlage ihr Schicksal selbst in der Hand haben und die Digitalisierung nicht das Todesurteil der gedruckten Zeitung bedeutet.

4. „Angeblich haben junge Leute eine Printallergie? Das glaube ich nicht; wir verkaufen so viele Studentenabos wie nie zuvor.“
Erneut illustriert di Lorenzo sein Argument mit dem Erfolg der ZEIT. Der in diesem Fall allerdings, wie Moderatorin Eva Schulz spöttisch anmerkte, wohl nicht zuletzt den hohen Studentenrabatten und den attraktiven Abo-Prämien zu verdanken sein dürfte.

Die Zeitungskrise ist ein weltweites Phänomen: Mittlerweile verdient Google mehr Geld mit Anzeigen als alle amerikanischen Zeitungen und Magazine zusammen.
Die Zeitungskrise ist ein weltweites Phänomen: Mittlerweile verdient Google mehr Geld mit Anzeigen als alle amerikanischen Zeitungen und Magazine zusammen.

Nicht nur in diesem Moment muss man bei di Lorenzos Argumentation bisweilen an die Redewendung „Ausnahmen bestätigen die Regel“ denken. DIE ZEIT steht mit ihrer positiven Bilanz alleine dar – und zwar mutterseelenallein. Die gesamte Konkurrenz verliert seit Jahren konstant an Auflage, besonders um die Gattung der Tageszeitung ist es schlecht bestellt. Während DIE ZEIT mit ihrer wöchentlichen Erscheinungsweise seit jeher eher auf aufwändig recherchierte Reportagen und kommentierende Einordnung setzt, dem Leser also hilft, sich im Informationsdickicht zurechtzufinden, verlieren SZ, FAZ und Konsorten ihre Abonnenten ans Internet. Für den schnellen Blick auf die Tagesaktualität reichen die kostenlosen Online-Angebote, und DIE ZEIT wird für das „Genusslesen“ am sonntäglichen Frühstückstisch gekauft.

Die Situation ist schwierig, aber gewiss nicht hoffnungslos. Diese Meinung di Lorenzos teilt auch Marian Adolf, Juniorprofessor für Medienkultur an der Zeppelin Universität. Als vor einem knappen Jahr Frankfurter Rundschau und Financial Times Deutschland Pleite gingen, wollte er sich auf ZU-Daily nicht in die Riege der Untergangsprediger einreihen: „Meiner Meinung nach erleben wir trotz der aktuellen Häufung kein Artensterben der Tageszeitung“, sagte er und wollte „generelle Weissagungen über die Zukunft der Tageszeitung“ lieber in das „Reich der Spekulation“ verbannen.

Wissenschaftler und Journalist sind sich einig, dass sich die Medienbranche radikal verändern muss, um im Zeitalter der Digitalisierung erfolgreich zu sein. Bei Adolf klingt das dann so: „Mit dem Aufstieg des Internet und seinen neuen Plattformen und Angeboten wird auch die Tageszeitung von der Umstrukturierung des Mediensystems erfasst. Wie das neue Gefüge aussehen wird, ist eine Frage, die nicht nur die Wissenschaft brennend interessiert“, und di Lorenzo ergänzt: „Der Prozess der Veränderung beschleunigt sich immer weiter. Wer versucht, sich auf dem Erreichten auszuruhen, wird scheitern.“

Theoretiker Adolf und Praktiker di Lorenzo beurteilen nicht nur die Ausgangslage ähnlich, auch beim Blick in die Zukunft herrscht Übereinstimmung: Frei nach dem Motto „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“ sind sich beide sicher, dass man sich nicht sicher sein kann. Was das Zusammenspiel zwischen Print und Internet angehe, „suchen zurzeit alle nach dem Stein der Weisen“, gibt Adolf zu, und auch di Lorenzo übt sich nicht in Kaffeesatzleserei: „Wir befinden uns im Blindflug in die Zukunft und müssen schnell auf alle Entwicklungen reagieren. Mehr weiß ich auch nicht.“

Titelbild: Brendan Lynch (CC BY-NC 2.0)

Bilder im Text: ZU/Robin Porth | Journalistiklehrbuch | Statista

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