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Aline Wachner ist 1984 in Freiburg im Breisgau geboren. Während ihres Studiums der Sprachen-, Wirtschafts- und Kulturraumstudien an der Universität Passau spezialisierte sie sich auf wirtschaftsethische Fragen: In ihrer Diplomarbeit untersuchte sie das Potenzial von Kooperationen zwischen Privatwirtschaft und Social Entrepreneurs am Fuß der Einkommenspyramide. Parallel zu ihrem Studium arbeitete sie für eine Corporate Responsibility Beratung in Hamburg beziehungsweise München und nach ihrem Diplomabschluss Ende 2009 bei The Grameen Creative Lab in Wiesbaden. Seit Mai 2011 ist Aline Wachner akademische Mitarbeiterin am Civil Society Center.
Insbesondere existiert laut Forscherin Aline Wachner für Sozialunternehmen im Bereich der medizinischen Grundversorgungung und der speziellen Dienstleistungen, wie zum Beispiel augenärztliche Behandlungen, ein großer Markt. Untersucht werden vier nonprofit- und acht for-profit Sozialunternehmen im Gesundheitssektor in insgesamt vier Ländern. Darunter fallen zum Beispiel die Organisation Profamilia social, Kolumbiens größter Anbieter für Fortpflanzungsmedizin und Familienplanung; salaUno, ein mexikanisches Start-up, das augenärztliche Dienstleistungen zu Niedrigpreisen anbietet, sowie zwei Social Franchising Modelle in Kenia (CFW Shops) und Südafrika (RTT Unjani), die beide medizinische Grundversorgung bereitstellen.
Für die Untersuchung der hybriden Wertschöpfung von Sozialunternehmen im Gesundheitssektor hat Aline Wachner in Mexiko, Kolumbien, Kenia und Südafrika Feldforschung in zwölf Organisationen betrieben. Sie führte Interviews mit den wichtigsten Mitarbeitern, der Managementebene und teilweise den Gründern. Ebenso sprach sie mit mit Investoren und Spendern; auch auf Kundenseite führte sie Umfragen durch. Hinzu kommen noch teilnehmende Beobachtungen und das Sammeln von zahlreichen Dokumenten und Geschäftsberichten. Zur Auswertung der Daten wird sie die qualitativ vergleichende Analyse-Methode nach Charles C. Ragin anwenden, die eine Brücke schlägt zwischen qualitativen Methoden mit geringen Fallzahlen und quantitativen Methoden mit großen Fallzahlen.
The International Research Network on Social Economic Empowerment (IRENE SEE) ist ein von der Siemens Stiftung gefördertes internationales Forschungsnetzwerk, welches durch die Zeppelin Universität koordiniert wird und mit Partneruniversitäten in Mexiko, Kolumbien, Äthiopien und Südafrika zusammenarbeitet. Erforscht werden unter anderem die Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung von Sozialunternehmen bei der Armutsreduktion und einer verbesserten Bereitstellung von öffentlichen Gütern. Das Forschungsdesign umfasst eine Datenerhebung durch insgesamt sechs verschiedene Doktorarbeiten, sowie eine explorative vergleichende quantitative Studie in den Projektländern. Die Resultate werden 2014/2015 in einem Buch veröffentlicht.
Welches Potenzial sehen Sie nach Ihren Aufenthalten in Mexiko, Kolumbien, Äthiopien und Südafrika für Sozialunternehmen im Gesundheitssektor?
Aline Wachner: In diesen Ländern, in denen ich jeweils einen Monat geforscht habe, gibt es zwar häufig einen akzeptablen Zugang zu erschwinglichen Gesundheitsdienstleistungen, jedoch ist ein Arztbesuch meistens mit unglaublich hohen Opportunitätskosten verbunden, da man sich oft stundenlang anstellen muss und in der gleichen Zeit nicht arbeiten kann. Das heißt, für Sozialunternehmen gibt es hier einen sehr großen Markt, weil die Menschen trotz ihrer Armut eventuell doch die Kosten-Nutzen-Abwägung durchführen und lieber fünf Euro für eine gute und schnelle Behandlung bezahlen.
Was unterscheidet Sozialunternehmen in den von Ihnen untersuchten Ländern von normalen Unternehmen im Gesundheitssektor?
Wachner: Das ist der Kern der Problematik. Für das Sozialunternehmertum gibt es keine eindeutige Definition. Der Terminus des Sozialen ist dabei problematisch, weil es ein subjektiver Begriff bleibt. Auf politischer Ebene mag das demokratisch entschieden werden können, aber wenn man Unternehmer ist und die eigene Tätigkeit für sozial hält, dann ist das eben eine eigene Einschätzung. Insofern bleibt die Antwort auf Ihre Frage gerade unter Wissenschaftlern häufig umstritten.
Und was ist das Soziale an den von Ihnen ausgewählten Fällen?
Wachner: Mein spezifisches Definitionskriterium ist die Idee der hybriden Wertschöpfung. Ein Unternehmen ist also dann ein Sozialunternehmen, wenn es explizit sowohl soziale als auch finanzielle Ziele am Fuß der Einkommenspyramide verfolgt. Darüber hinaus gehe ich nach der Selbstreferenzialität, sprich danach, wer sich eigentlich selbst ein Sozialunternehmen nennt. Denn seit circa einem Jahrzehnt ist aufgrund der Definitionsfrage eine gewisse Stagnation in der Social Entrepreneurship Forschung zu beobachten. Während auf der empirischen Seite ein Institutionalisierungsprozess statt findet, der offensichtlich an der Wissenschaft vorbei geht. Insofern drehe ich den Spieß um.
Sie untersuchen allerdings nur zwölf Sozialunternehmen, kann das ein realistisches Bild liefern?
Wachner: Es ist ein Ansatz, der methodisch gewagt ist, weil ich nicht den klassischen Weg einer tiefgehenden, qualitativen Fallstudie gehe. Ich habe auch nicht den großen quantitativen Ansatz gewählt, weil dieser auf erhebliche methodische Schwierigkeiten stößt, da es kein Register von Sozialunternehmen gibt. Statt dessen verwende ich eine mittlere Anzahl an Fällen und gehe dabei nur bis zu einem gewissen Punkt in die Tiefe, da ich mehr am systematischen Vergleich interessiert bin.
Sie untersuchen, warum sich die von Ihnen ausgewählten Unternehmen dafür entscheiden, profit- oder nicht-profitorientiert zu wirtschaften. Welche Faktoren können Sie bisher feststellen?
Wachner: Es ist eine Mischung aus zwei Kategorien. Zum einen sind es institutionelle Faktoren, also beispielsweise, welche Normen und Werte sowohl in den Köpfen der Gründer, als auch in der Gesellschaft vorhanden sind. In den Augen der Patienten in Afrika sind privatwirtschaftliche for-profit Unternehmen zum Beispiel nur für die Reichen bestimmt. Sie fühlen sich privilegiert, wenn nun ein solches Unternehmen ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Die andere Kategorie betrifft die verfügbaren Ressourcen, also zum Beispiel, wie sich ein Sozialunternehmen finanziert. Für die einzelnen Länder lässt sich das aber noch wesentlich differenzierter erklären. Aus der profit- oder nicht-profitgetriebenen Organisationsform leiten sich dann viele Implikationen ab. Insbesondere die institutionellen Anforderungen, denen sie durch entsprechende Accountability-Mechsnimen gerecht werden müssen, um ihre Legitimität und ihren Ressourcenzufluss zu sichern.
Ihre Fälle sind selten klar einer Organisationsform zuzuordnen, sondern vereinen beide. Wie beeinflusst diese Vermischung die hybride Wertschöpfung?
Wachner: Was ich bisher sagen kann, ist, dass diese Parallelstrukturen den Organisationen ermöglichen, sich das Beste aus den beiden Welten auszusuchen. Diesbezüglich habe ich in meiner Forschung bisher nur Vorteile mitbekommen. Aber es kann natürlich zu Zielkonflikten kommen, wenn beispielsweise eine Organisation, was die Finanzierung angeht, sowohl auf philantropische Mittel zurückgreift, als auch auf profit-orientierte Finanzierung. Philanthropen könnten zum Beispiel verärgert sein, wenn sie mitbekämen, dass ihr Geld dazu verwendet wird, anderen Geldgebern Renditen auszuzahlen – so wie es im Fall der Mikrofinanzierung passiert ist. Das Problem ist mir aber in meinen Fallstudien nicht begegnet. Die Organisationen, die ich kennengelernt habe, haben interessante Strategien entwickelt, um Zielkonflikte zwischen sozialer und finanzieller Wertschöpfung zu verhindern. Welche das sind, ist meine zweite große Fragestellung.
Welchen Mehrwert bringen diese Unternehmen schon jetzt, obwohl die Entwicklung noch am Anfang steht?
Wachner: Es ist noch sehr früh, um über den Beitrag des Sozialunternehmertums zur Armutsbekämpfung zu sprechen. Aktuell stellt es wohl eher einen Bruchteil der weltweiten Bemühungen dar. Aber sie leisten Pionierarbeit und verkörpern einen Paradigmenwechsel, bei dem Armutsbekämpfung und finanzielle Wertschöpfung nicht mehr nur im Konflikt gesehen wird und Menschen mit geringem Einkommen nicht nur als Opfer, sondern auch als Kunden mit einer ernstzunehmenden Stimme betrachtet werden.
Fotos: flickr.de, Julien Harneis (Titel); Aline Wachner (im Text)