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Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner mehrfach ausgezeichneten Promotion über Just-in-Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien, arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt.
Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
Elbphilharmonie. Stuttgart21. Flughafen Berlin-Brandenburg. Deutsche Bauprojekte verschlingen Millionen an Steuergeldern, doch diese drei Bauvorhaben sind Spitzenreiter in der medialen Aufmerksamkeit.
Der Vorschlag zu Stuttgart21 lässt sich bereits bis ins Jahr 1988 zurückverfolgen und wurde 1994 der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit dem Bau wurde allerdings erst - unter massiven Protesten - am 2. Februar 2010 begonnen. Aufgrund von Planungsfehlern sind die Kosten bereits um über eine Milliarde in die Höhe geschossen. Als Summe ergeben sich mögliche Gesamtkosten in Höhe von fast sieben Milliarden Euro.
Das Hamburger Konzerthaus "Elbphilharmonie" befindet sich hingegen schon seit April 2007 im Bau. Bei den ersten Ermittelungen wurden die Kosten für die Hansestadt noch auf 77 Millionen Euro gesetzt. Seit April 2013 belastet das 110 Meter hohe Gebäude den Steuerzahler bereits mit 789 Millionen Euro. Die Eröffnung wurde auf das Jahr 2017 verschoben.
Ähnlich erfolglos verlaufen die Arbeiten am Sysiphus-Projekt "Flughafen Berlin-Brandenburg". Der internationale Flughafen befindet sich bereits seit 2006 im Bau und soll die Airports in Tegel und Schönefeld ersetzen. Die geplanten Kosten des Projekts stiegen von ursprünglich 1,7 Milliarden Euro im Jahr 2004 auf inzwischen fast 4,5 Milliarden Euro. Seit im Mai 2012 schwerwiegende Baufehler bekannt wurden, wird die Eröffnung kontinuierlich verschoben. Sogar ein Abriss steht inzwischen zur Debatte. Die Zukunft des Projekts ist ungewiss.
Die jüngsten Entwicklungen bei Stuttgart 21 dürften selbst eingefleischten Befürwortern dieses Projektes einen kalten Schauer über den Rücken gejagt haben. Nach den letzten Berechnungen der Deutschen Bahn lässt sich der bisher kommunizierte Kostenrahmen von 4,53 Milliarden Euro nicht mehr halten. Man geht derzeit sicher von einem um 1,1 Milliarden Euro höheren Finanzbedarf aus. Hinzu kommen sogenannte „Kostenrisiken“ von 1,2 Milliarden Euro, die nach Darstellung der Deutschen Bahn nicht in ihrer alleinigen Verantwortung liegen, sondern vor allem vom weiteren Verhalten der Projektpartner abhängen. Damit ist insbesondere das Land Baden-Württemberg angesprochen, das dem Projekt seit dem Regierungswechsel im Frühjahr 2011 bekanntermaßen sehr kritisch gegenübersteht.
Bei nüchterner und vorurteilsfreier Betrachtung erscheint Stuttgart 21 als Menetekel für den Umgang mit Infrastrukturgroßprojekten in Deutschland. Ein Bahnhofsprojekt hat anscheinend das Potential, das ohnehin angeknackste Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des politisch-wirtschaftlich-administrativen Systems in Deutschland weiter zu erschüttern. Das lässt sich zuerst an den Zahlen festmachen. Die nunmehr präsentierten Kostenschätzungen werden höchstwahrscheinlich nicht das letzte Wort sein. Wie bei vielen derzeit kritisch diskutierten Großprojekten sind weitere Kostensteigerungen während der Bauphase zu erwarten. Bei komplexen Bahnbauten der Vergangenheit (zum Beispiel der Neubaustrecke Köln-Rhein/Main) liefen die Kosten teilweise völlig aus dem Ruder. Vielleicht erinnern sich einige Beobachter aber noch an die Beteuerungen der Bahn im Rahmen der Schlichtung im Spätherbst 2010, dass weitere Kostensteigerungen absolut ausgeschlossen seien und sogar noch Puffer existierten. Kritik an den damaligen Kostenschätzungen wurde in die Nähe von „Wehrkraftzersetzung“ gerückt und mit dem geballten Sachverstand der Deutschen Bahn vom Tisch gefegt. Jetzt fragt man sich, ob man es damals wirklich mit Sachverstand, bloßer Unfähigkeit oder bewusster Publikumstäuschung zu tun hatte.
Einen erheblichen Beitrag zur derzeitigen Malaise hat sicher auch die baden-württembergische Landesregierung geleistet. Einen Grünen-Politiker zum Verkehrsminister zu küren, der sich als erklärter Gegner von Stuttgart 21 lediglich dazu verpflichtet fühlt, das Projekt kritisch zu begleiten, heißt, den Bock zum Gärtner zu machen. Der innerhalb der Landesregierung immer wieder aufflammende Streit um das Projekt und seine Finanzierung macht es der Bahn leicht, Baden-Württemberg den schwarzen Peter in Form von milliardenscheren Kostenrisiken zuzuschieben. Wenn die Gesprächsbasis zwischen den an einem solchen Projekt beteiligten Parteien so fundamental beschädigt ist wie bei Stuttgart 21, dürfte sich selbst der wohlmeinendste Bürger darüber ärgern, wie die Protagonisten auf beiden Seiten zu Lasten seines Geldbeutels den Karren in den Dreck fahren lassen.
Das dicke Ende dürfte allerdings noch kommen. Wenn die Kostenschätzungen für ein Projekt bereits vor dem eigentlichen Baubeginn dermaßen außer Kontrolle geraten, stellt sich für jeden Bauherren die Frage, ob er überhaupt weitermachen soll. Im Hinblick auf Stuttgart 21 lässt sich Bahnchef Rüdiger Grube mit der Äußerung zitieren, man würde dieses Projekt so nicht noch einmal beginnen. Bundesverkehrsminister Ramsauer zieht sich in einem FAZ-Interview auf die Position zurück, dass der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn sich für einen Weiterbau entschieden habe, weil dieser wirtschaftlicher sei als ein Abbruch des Projekts. Nach den öffentlich zugänglichen Quellen beträgt der Kapitalwert des Weiterbaus gegenüber dem Ausstieg (mit kalkulierten Kosten von 2 Mrd. Euro) aber lediglich 77 Mio. Euro. Angesicht der Summen, die in der Diskussion stehen, dürften dies die berühmten „Peanuts“ sein - ein Vorsprung, der sich bereits bei geringfügigen Änderungen des Annahmengerüstes in Luft auflösen wird.
Formaljuristisch dürfte dies für den Eigentümer Bund einen Ausweg aus dem Problem eröffnen, doch bleiben Bürger und Steuerzahler einigermaßen irritiert zurück und fragen sich, was hier mit ihrem Geld passiert beziehungsweise passieren wird, zumal es bekanntermaßen für das Projekt Stuttgart 21 keine belastbare Kosten-Nutzen-Rechnung gibt: Werden wegen Stuttgart 21 nur die Fahrpreise steigen, wie bereits diskutiert wurde, oder wird bei der gegenseitigen Blockadehaltung am Ende der Bund für sein Unternehmen Deutsche Bahn geradestehen und alle Mehrkosten direkt oder indirekt übernehmen, zu Lasten des Steuerzahlers wohlgemerkt?
Die Situation bei Stuttgart 21 ist derzeit so verfahren, dass man sich fast die Frage stellt, wer dieses Projekt eigentlich noch wirklich will. Wird es möglicherweise wider besseres Wissen der Beteiligten allein aus Angst vor Gesichtsverlust weiterbetrieben? Vieles spricht für diese Hypothese. Oder ist man einfach schon zu weit, hat sozusagen den Rubikon bereits überschritten?
Am Ende bleiben nur zwei Auswege aus der aktuellen Misere. Eine Möglichkeit bestünde darin, dass die Projektpartner sich schnellstmöglich an einen Tisch setzen und das Bauvorhaben ohne Ressentiments und in gemeinsamer Verantwortung konstruktiv vorantreiben. Dann ließe sich möglicherweise eine Perspektive entwickeln, die künftige Kostensteigerungen begrenzt und das Projekt auf einen erfolgreichen Pfad lenkt. Obwohl klar sein sollte, dass sich mit der derzeitigen Blockadepolitik eine desaströse Entwicklung abzeichnet, scheint es aber ziemlich unwahrscheinlich, dass sich die Beteiligten wirklich zusammenraufen. Genauso unrealistisch ist jedoch die Alternative: Der Abbruch des Projektes und die Um- beziehungsweise Neuplanung des Bahnhofs. Hier steht die Angst vor dem Reputationsverlust der Einsicht im Wege, dass versunkene Kosten, das heißt bisher getätigte und nicht mehr rückholbare Aufwendungen, aus ökonomischer Sicht nicht entscheidungsrelevant sind. Andererseits würden aber auch ein ertüchtigter Kopfbahnhof oder eine Kombilösung erhebliche Bau- und Kostenrisiken bergen, von den planungsrechtlichen Vorläufen und dem obsolet gewordenen Städtebauprojekt auf dem Bahnhofsgelände ganz abgesehen.
Wir werden also bei Stuttgart voraussichtlich weitermachen wie bisher und damit leider in unseliger Weise an die zahlreichen Konflikte der Vergangenheit anschließen. Auch das Thema Kostensteigerung ist ja nichts Neues. Ketzerisch könnte man fragen, ob überhaupt noch große Infrastrukturprojekte realisiert würden, wenn man die Öffentlichkeit von vorneherein mit den „wahren Kosten“ konfrontieren würde. In jedem Fall werden aber die für Stuttgart gebundenen Infrastrukturmittel an anderer Stelle fehlen und die Frage nach der Effizienz der Infrastrukturpolitik in Deutschland neu befeuern.
Visualisierungen: Peter Wels und Aldinger & Wolf