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Als Digital Native liebt und lebt Philipp Riederle innovative Entwicklungen, sinnvolle Arbeit und digitale Strukturen. Und als Unternehmer, Autor und Redner ebenso. Denn gerade hier kann er sein Wissen und seine Freude am Unternehmertum teilen und somit vermehren. Philipp Riederle produziert mit 13 Jahren einen Podcast, gründet mit 15 sein Unternehmen, schreibt mit 18 den ersten Bestseller, wird mit 20 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als führender „Digitaler Kopf Deutschlands“ gekürt und erhält mit 23 die höchste internationale Rednerauszeichnung. Für Philipp Riederle ist das nur der Anfang.
Dass Schulen an der Lebensrealität vorbei bilden – darüber mag sich bisher jede Generation beschwert haben. So treffend wie heute war der Vorwurf jedoch selten zuvor: 57 Millionen Deutsche besitzen ein Smartphone, bei den 12- bis 13-Jährigen sind es 95 Prozent, bei den 18- bis 19-Jährigen 99 Prozent. Ohne Digitale Systeme läuft nichts mehr, weder der Schulbus noch die Ampel noch jedes einzelne Unternehmen – nebenbei bemerkt: Die Zahl der unbesetzten Stellen für IT-Fachkräfte bricht monatlich neue Rekorde, allein in Deutschland sind derzeit 82.000 IT-Stellen offen. Algorithmen beeinflussen tagtäglich und unbemerkt unser Verhalten und Zusammenleben. Filterblasen und Fake News bestimmen sogar Präsidentschaftswahlen.
Und an deutschen Schulen? Da herrscht Handyverbot, da gibt es Noten auf Schönschrift und da werden stoisch Texte auswendig gelernt. Ein Computer? Muss reichen für 11,5 Schüler. Tablets? In 6,5 Prozent der deutschen Schulen angekommen. WLAN? Nur an den wenigsten Schulen vorhanden. Ein Medienkonzept? Hat nur jede zweite Schule. „Lehren mit Digitalen Medien“ in der Lehrerausbildung? Fehlanzeige. Hohe Medienkompetenz? Besitzen nur 1,5 Prozent der Schüler. Schulen sollen künftige Generationen zu mündigen Bürgern machen? Ziel verfehlt. Setzen, sechs.
Allerhöchste Zeit, sich gesellschaftlich und politisch zu fragen: Wollen wir diese Situation weiter verantworten? Der Kompromiss beim „Digitalpakt Schule“ ist ein erster Schritt. Das Grundgesetz soll dafür geändert werden, der Bund soll die „Bildungsinfrastruktur“ der Länder kofinanzieren – wenn auch um den Preis der alleinigen Entscheidungsfreiheit der Länder. Doch um die „Zukunfts- und Innovationsfähigkeit Deutschlands im internationalen Wettbewerb“ zu sichern, wie es auf der Webseite des Bundestags heißt, braucht es mehr als Digitale Infrastruktur.
Damit die Investitionen auch tatsächlich sinnvoll eingesetzt werden, müssen zuerst einmal Lehrer damit umgehen können. „Digitale Didaktik“ gehört ins Pflichtcurriculum jeder Lehrerausbildung; bereits tätige Lehrer benötigen nicht nur die Möglichkeit zur Weiterbildung, sondern auch zu regelmäßigen Trainings des digitalen Lehrens. Darauf weist der Verband Bildung und Erziehung selbst deutlich hin. Idealerweise bekommt nicht nur jede Schule einen eigenen IT-Administrator, der die Infrastruktur am Laufen hält und bei Problemen hilft, sondern auch einen schuleigenen „Digitale-Didaktik-Coach“.
Für die Integration in den Lehralltag braucht es Konzepte, an welchen Stellen, Themen und Kompetenzen die digitale Unterstützung eingesetzt wird. Statt hier jede Schule – wie derzeit – ihr eigenes Süppchen kochen zu lassen, wären verbindliche Verankerungen in den landesweiten Lehrplänen äußerst sinnvoll. Nicht der Zufall darf über die Digitalkompetenz der Schüler entscheiden, sondern allen sollte eine gleichwertig zeitgemäße Bildung offenstehen. Für den praktischen Einsatz müssen digitale Lehrmaterialien, digitale Schulbücher und entsprechende Apps entwickelt werden – daran versuchen sich etablierte Schulbuchverlage bereits ebenso wie Apple und weitere IT-Unternehmen.
Im internationalen Vergleich gehört all dies bereits zum Alltag: In Norwegen kommen auf einen Computer 2,4 Schüler. In Estland arbeitet an jeder Schule bereits ein eigener Informatiker, Lehrer müssen Computerkenntnisse nachweisen, und eine national einheitliche Schulverwaltungsplattform ist etabliert. Und in Dänemark wird seit 2010 während der Abiturprüfungen im Internet recherchiert.
Doch allein schon diese Schritte erscheinen für Deutschland als eine kräftezehrende und langwierige Herausforderung. Dabei sind das noch längst keine innovativen Bildungsrevolutionen, sondern eher evolutionäre Schritte, das „alte Schulsystem“ ein bisschen digitaler zu machen. Gedichte und Jahreszahlen lernen am Bildschirm, Hausaufgaben per Mail einreichen und zwischendurch mal eine Online-Recherche. So weit, so gut. Und so weit, so dringend, den Schulalltag und Lebenswelt wieder näher zusammenzubringen. Aber: Für echte Zukunftsfähigkeit braucht es mehr.
Die drängenden Fragen, die wir uns stellen sollten, sind grundsätzlicherer Art: Welche Fächer und Inhalte braucht es heute noch in den Lehrplänen? Schillers Glocke? Photosynthese? Latein? Oder sollten es nicht eher die Fähigkeiten sein, sich alles schnell selbst anzueignen? Und in welcher Form findet der Unterricht statt? Alle Schüler im selben Tempo angeleitet vom Lehrer? Oder ganz im Sinne des „Flipped Classroom“: Jeder bringt sich in seinem Tempo – mittels interaktiver Lernmedien und -videos – den Stoff selbst bei, und der Lehrer steht als Coach bei Fragen und Schwierigkeiten zur Seite. Und natürlich: Wollen wir uns in einer digitalisierten Welt weiterhin als mündige Bürger bezeichnen können? Dann aber müssen wir verstehen, wie Computer und Algorithmen „denken“. Gelingen kann das mit „Programmieren“ als verpflichtendes Schulfach – ab der Grundschule, gleichberechtigt neben Lesen, Schreiben und Rechnen.
Respekt gebührt den einzelnen engagierten Lehrern und Schulen, die sich bereits heute nicht mit dem Status quo zufriedengeben: Die Referendare, die sich selbständig „Digitale Didaktik“ in der Lehrerausbildung erarbeiten; die Lehrer, die eigene Lernvideos für ihre Schüler produzieren; die Schulen, die selbständig finanzielle Mittel einsammeln, um ihre Infrastruktur wenigstens ein bisschen zu modernisieren.
Gleichzeitig beschleunigt sich der Technologiefortschritt immer weiter. Deutschland, mit seinem Selbstverständnis als führende Nation der Tüftler und Denker, darf keine weitere Zeit verlieren. Wir stehen noch ganz am Anfang, unsere Bildungslandschaft zeitgemäß und zukunftsfähig zu machen – dabei ist Bildung die entscheidende Voraussetzung, im Wandel mitzuhalten und ihn mitzugestalten. Und es geht um mehr, als unsere (wirtschaftliche) Zukunftsfähigkeit. Es geht auch um Soziale Gerechtigkeit, nämlich die Vorbereitung künftiger Generationen auf die steigenden Qualifikationsanforderungen einer technisierten Arbeitswelt. Der Digitalpakt ist ein erster Schritt, nicht aber der wichtigste. Also: Verschwenden wir keine weitere Zeit! Mutige Entscheidungen sind gefragt. Es geht um: unsere Zukunft!
Der Artikel ist am 20.02.2019 unter dem Titel „Bildet uns! Digital!“ auf dem Blog von Philipp Riederle erschienen.
Titelbild:
| Plush Design Studio / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Matthew Guay / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Philipp Riederle
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm