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Johann Herzberg wurde 1985 geboren und graduierte im September 2012 an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen nach seinem Master-Studium der Verwaltungs- und Politikwissenschaften. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich Herzberg mit Verwaltungsreformen, Steuerungstheorie und der Systemkrise der Politik. Vor seinem Studium in Friedrichshafen studierte Herzberg Philosophie an der Freien Universität Berlin. Seine Abschlussarbeit an der Zeppelin Universität wurde mit dem Best-Thesis-Award für die beste Abschlussarbeit in der Fächergruppe Verwaltungs- und Politikwissenschaften ausgezeichnet.
Open Innovation und auch das damit verbundene Open Government scheinen weitreichend und schwer fassbar. Worum geht es dabei genau?
Johann Herzberg: „Open Government“ bezeichnet ein Reformparadigma, das Internettechnologien zur umfassenden Demokratisierung von Regierungs- und Verwaltungshandeln einzusetzen versucht. „Open Innovation“ ist hingegen ursprünglich ein Konzept aus der Wirtschaft, das die Unternehmensumwelt – vor allem Kunden und Geschäftspartner – systematisch in die Entwicklung neuer Produkte einzubinden versucht. Meine These ist nun, dass uns dieser Ansatz auch bei der Reform des Staates weiterhelfen kann – insbesondere, wenn es darum geht, Bürger systematisch an der Gemeinwesengestaltung zu beteiligen.
Sie beschreiben in ihrer Studie, dass Staatsmodernisierung durch Open Innovation nur dann funktionieren kann, wenn der Staat sich als lernendes Sozialsystem versteht. Was meinen Sie damit?
Herzberg: Eine Innovation ist im Grunde nichts anderes als die erfolgreich umgesetzte Antwort auf ein Problem. Zwischen einer guten Idee und ihrer Umsetzung schiebt sich aber der Prozess der Internalisierung von Wissen. Dieses muss aus einem Praxiskontext A in einen Praxiskontext B übertragen werden. Parlamente, Parteien und Verwaltungen müssen daher in Lernprozesse mit Bürgern, Wissenschaft, Wirtschaft und Interessenvereinigungen eintreten, um deren Wissen nachhaltig für die Steuerung und Fortentwicklung des Gemeinwesens nutzbar zu machen. Das Innovationsproblem ist also im Kern ein Lernproblem.
Um das Wissen der Gesellschaft in den Staat zu überführen, sprechen Sie in ihrer Strategie von IT-Partizipationskampagnen. Wie muss der Bürger angesprochen werden?
Herzberg: Klassische Beteiligungsformate wie Wahlen und Volksentscheide transportieren nur sehr wenig Wissen von der Gesellschaft in den Staat hinein. Für diesen wird es heute jedoch wichtiger, das Wissen seiner Bürger situationsbezogener und direkter einzubinden. Die Wahlurne als alleinige Schnittstelle zwischen Bürger und Staat kann in der digitalen Gesellschaft nicht mehr überzeugen. Wir brauchen vielmehr komplexere Schnittstellen, weil auch die Probleme komplexer geworden sind.
Das eigentliche Problem der Bürgerbeteiligung besteht daher in der Suche nach Methoden, die es erlauben, das verteilte Wissen der Gesellschaft über IT-gestützte Partizipationskampagnen in das Wissen des Staates zu überführen. Internettechnologien wie etwa Chatrooms oder kollaborative Textverarbeitungsprogramme können den Staat in seinem Dialog mit den Bürgern unterstützen, bedürfen aber stets der Einbindung in einen strategisch geplanten Innovationsprozess, der immer auch Elemente der persönlichen Interaktion beinhalten sollte.
Trotz aller Innovationen kann sich der Staat nicht in die absolute Offenheit begeben: Wo stoßen Ihre Denkansätze der offenen Staatsmodernisierung an bestimmte Grenzen?
Herzberg: Zum einen ist die Öffnung des Staates zwar ein notwendiger, zugleich aber auch ein heikler Balanceakt, denn sie muss bei gleichzeitiger Erhaltung der Funktionsfähigkeit realisiert werden. Die totale Öffnung einer Organisation wäre nämlich zugleich ihre Auflösung. Ein zweites Problem könnte darin bestehen, dass Open Innovation sich als eine kurzfristige Managementmode herausstellen könnte. Doch selbst wenn dem so sein sollte: Die angesprochenen Probleme des Staates werden auch ohne das Schlagwort „Open Innovation“ nach einer Lösung verlangen.
In meinem Heimatbundesland Schleswig-Holstein versuchen Experten und Bürger schon seit Jahren vergeblich, auf kommunaler Ebene eine Kreisreform einzuleiten. Trotz guter Vorschläge ist es nicht möglich, eine Reform auf den Weg zu bringen. Ist unser Staat überhaupt reif für ein Umdenken?
Herzberg: Die Innovationskraft ist in Verwaltungen seit jeher deutlich geringer ausgeprägt als etwa in der Politik oder in der Wirtschaft. Wie die meisten Organisationen reagieren auch Verwaltungen im Regelfall nur auf Druck und Krisen, sie sind also von Natur aus träge. Wenn Schleswig-Holstein sich mit einer Kreisreform schwertut, kann dies auch schlicht daran liegen, dass der Problemdruck immer noch nicht stark genug ist, um eine Innovation gleichsam zu erzwingen.
Bild: isapisa / Flickr