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Spenden 2.0

Gutes Gewissen per Mausklick

Spenden wird endlich demokratisiert

Dr. Joana Breidenbach
Mitbegründerin von Betterplace.org
 
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    Zur Person
    Dr. Joana Breidenbach

    Dr. Joana Breidenbach wurde 1965 in eine reiselustige Hamburger Familie hineingeboren. Bereits als Kind reiste Breidenbach viel, ging im Ausland zur Schule und begann sich für Kultur und die Globalisierung zu interessieren. nach erfolgreichem Abschluss studierte Breidenbach Völkerkunde, Kunstgeschichte und ousteuropäische Geschichte in München und Budapest.
    Nach einer Weltreise im Jahr 2006 war Breidenbach von einigen sozialen Projekten, denen sie begegnet war, so begeistert, dass sie kurze Zeit später die Spendenplattform www.betterplace.org ins Leben rief. Seit 2007 arbeitet sie am Aufbau der Plattform und gründete 2010 zusätzlich das Betterplace Lab, das deutsche Sozialunternehmern auf dem aktuellen Stand halten soll.

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    Factbox
    Zum Kennelernen: Spenden mit Betterplace.org

    Betterplace.org bezeichnet sich selbst als die transparenteste Spendeplattform im Internet. Aktuell unterstützen mehr 336.000 Spender über 5.000 Projekte mit rund 10 Millionen Euro Spenden. Dabei sollen sowohl große Organisationen unterstützt, als auch kleine Projekte um die Ecke finanziert werden - solange die Transparenz stimmt. Wer selbst aktiv werden möchte, der kann sich zunächst zwischen einer Geld- und einer Zeitspende entscheiden. Im Anschluss besteht für jeden Nutzer die Möglichkeit, das Projekt zu bewerten und über soziale Netzwerke weiterzuverbreiten. Die Begünstigten müssen ihre benötigten Gelder genau aufschlüssen und halten die Spender mit regelmäßigen Blog-Posts auf dem Laufenden. Betterplace leitet 100 Prozent der Spenden an die Empfänger weiter und ermöglicht durch eine Kooperation mit Bonuspunkte-Anbieter "Payback" sogar Zuwendungen ohne finanzielle Belastung für den Spender. 

    Zusätzlich kann jeder selbst für Spenden und Projekte werden. Auch hier stellt Betterplace die Transparenz in den Vordergrund: Wer Geld sucht, der muss online Projektziele und -beschreibungen definieren und die Spender kontinuierlich informieren. Sobald Projekte nicht entsprechend funktionieren, schlägt sich dies - ganz nach dem Vorbild großer Onlineshops - in schlechten Bewertung nieder.

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    Dossier
    Geschäftsbericht der gut.org AG - Die gemeinnützige Aktiengesellschaft hinter Betterplace.org
    gut.org
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    In Entwicklungsländern gibt es oft keine flächendeckende Gesundheitsversorgung und somit einen großen Markt für Sozialunternehmen. Aline Wachner hat in vier Ländern hierzu geforscht.
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Bis zu 60 Euro spendet jeder Deutsche im Jahr. Insgesamt beläuft sich das deutsche Spendenvolumen auf drei bis fünf Milliarden Euro jährlich. Die Hälfte der Spender sind über 60 Jahre alte Privatpersonen. Besonders gerne geben sie ihr Geld für humanitäre Hilfe aus. Doch mittlerweile spendet der Deutsche nicht mehr nur in der Weihnachtszeit. Experten und Sozialunternehmer beobachten eine Veränderung in der Spendenbereitschaft – weg vom Klingelbeutel hin zum Internet.

 
Zum Kennelernen: Spenden mit Betterplace.org


Im Jahr 2007 gründete Breidenbach das StartUp Betterplace in Berlin. Mit ihrer Idee sollen vor allem kleine und lokale Projekte sichtbar werden. „Ich stehe der Arbeit von großen Organisationen sehr kritisch gegenüber“, erklärt Breidenbach. Sie will daher Transparenz und Rechenschaft verbessern und für jeden Spender klar machen, wohin sein Geld fließt. „Wenn jemand ein Projekt erstellt, dann muss er genau spezialisieren, wofür er das Geld braucht. Für den Spender ist es wichtig, den Fortschritt mitzubekommen, den er durch sein Geld leistet“, erklärt die studierte Kulturanthropologin. 


Deswegen setzt ihr Konzept auf neue Wege. Besonders wichtig sind ihr dabei die Chancen, im Internet junge Spender anzusprechen. Breidenbach experimentiert mit dem Vertrauen ihrer Benutzer. Sie will das Prinzip von Produktrezensionen in Onlineshops auch für Spendenprojekte nutzen. Gut bewertete Projekte haben größere Chancen, erneut Gelder zu bekommen. Schon jetzt zählt Betterplace 5000 Projekte, 336.000 Spender und 10 Millionen Euro Spendenaufkommen. Die Spender sind im Schnitt 37 Jahre alt und damit deutlicher jünger als der klassische deutsche Durchschnittsspender. Breidenbachs Konzept scheint aufzugehen.


Die Veränderungen, die neue Medien mit sich bringen, verändern nicht nur die Spendenbereitschaft, sondern den sozialen Sektor im Ganzen. Um auf dem aktuellsten Stand zu bleiben, gründete Breidenbach im Jahr 2010 das Betterplace Lab. Mit Trendreports und Fallstudien beobachtet ihr Team weltweite Veränderungen im Spendenwesen, um diese an den deutschen Sozialsektor weiterzugeben. „Im Wesentlichen lassen sich vier Bereiche zur Veränderung im sozialen Bereich aufstellen“, erklärt Breidenbach: Die Finanzierung, die Organisationsstrukturen, die Arbeit im freien Feld und die Innovationsquelle.

Die Spendendose der Zukunft ist digital: Fundraising bei Betterplace.org
Die Spendendose der Zukunft ist digital: Fundraising bei Betterplace.org

„Gerade die digitalen Medien verändern die Art, wie Projekte finanziert werden immens“, erläutert Breidenbach. Viele kleine Spenden finanzierten dabei viele kleine Projekte, die von Kunst bis zur medizinischen Grundversorgung reichen. Dadurch würden neue Projekte sichtbar, die viel zu lange von großen Organisationen verdeckt wurden. „Plötzlich gibt es Konkurrenz durch lokale Projekte, die der Spender direkt unterstützen kann“, beschreibt Breidenbach. Im Netz kann eine Mutter heute direkt das Schulgeld für ihr Kind sammeln. UNICEF handele zwar ähnlich, der Reiz der direkten Finanzierung überwiege aber, so Breidenbach. Als weiteren Vorteil nennt sie den direkten Kontakt von Spendern und Empfängern. Ein Mittelsmann könne so erfolgreich umgangen werden. „Spenden wird endlich demokratisiert“, sagt sie.


Mit dem Spendenverhalten müssen sich auch die Organisationen verändern. Gerade die etablierten Nichtregierungsorganisationen (NRO) müssten mit dem Wandel gehen, fordert die Gründerin: „Das alte, mitgliederbasierter System wird heute vom Internet herausgefordert.“ Statt über Beiträge würden NROs ihre Mitgliedschaft heute bereits über E-Mail-Abonnements definieren. Diese niedrige Einstiegshürde ermögliche sehr schmale Organisationen. Durch radikale Dezentralisierung hätten viele Verbände heute weder Büros noch feste Mitarbeiter, erklärt Breidenbach: „Die alten Organisationen hingegen haben zehntausende Mitarbeiter, die in westlichen Büros weitab vom Krisenherd arbeiten.“
Ohne fremde Hilfe hätten aber auch Startups vor allem ein Problem der Reichweite. Nur wer sich zusammenschließe, Kooperationen mit Firmen und Organisationen eingehe, der habe ein Chance, langfristig zu wachsen.


Mit den alternativen Organisationsformen verändert sich auch die Arbeit im freien Feld. Breidenbach reizt es besonders, Leuten die Möglichkeit zu geben, selbst aktiv zu werden. Auf Open-Source-Plattformen könne heute jeder mitmachen. Interaktive Karten bilden Gewalt in Echtzeit ab, decken Wahlmanipulationen auf oder helfen in Erdbeben-Regionen bei der Suche nach den Opfern. „Das funktioniert effektiver, als es Hilfskräfte oder UN-Truppen je tun könnten“, erklärt Breidenbach stolz. Nutzer vor Ort können via Handy Krisenpunkte erkennbar machen und direkte Hilfe für ihr Problem anfordern. Bei der Hilfe vor Ort käme es heute besonders auf den Weg von unten nach oben, vom Individuum zur Organisation an.

Genaue Kostenauflistungen und regelmäßige Updates machen Spenden transparenter: Gelder sollen ohne Umwege beim Begünstigten ankommen
Genaue Kostenauflistungen und regelmäßige Updates machen Spenden transparenter: Gelder sollen ohne Umwege beim Begünstigten ankommen

Der Sozialsektor sprudelt nur so vor Ideen. Die wenigsten kommen dabei aber aus etablierten Institutionen. Immer häufiger würden Firmen und Gründer Einfluss auf die Branche nehmen, erklärt Breidenbach: „Nur noch zehn Prozent der neuen Ideen kommen aus den alten Hilfsorganisationen.“
Besonders begeistert ist die Gründerin vom völlig neuartigen Versicherungssystem „Kilimo Salama“. Die Getreideversicherung gegen schlechtes Wetter und Ernteausfälle richtet sich in erster Linie an Subsistenz-Wirtschaftler in Entwicklungsländern. Bauern, die neue Samen kaufen, können über ihr Mobiltelefon eine Versicherung für ihren Nutzer-Account anfordern. Das System funktioniere dann komplett automatisiert, erläutert Breidenbach: „Wetteranlagen vor Ort messen die Windgeschwindigkeit und den Niederschlag.“ Sobald das Wetter umschlägt, würden die fälligen Versicherungsbeiträge automatisch an die Bauern ausgeschüttet. „Die klassischen Versicherungen hätten niemals an die Kundengruppe gedacht.“


Als zusätzlichen Service bekommen registrierte Nutzer Wettervorhersagen, Marktpreise und Nachrichten auf ihr Telefon geschickt. „Durch kontinuierliche Hilfe sind die Ernten vor Ort nun mehr als 20 Prozent effektiver“, lobt Breidenbach das innovative Konzept.

Doch trotz alle Euphorie für die neue Dimension des Spendens bleibt auch Breidenbach realistisch: „Spenden sind nur ein Instrument von vielen bei unserer Arbeit.“ Lieber noch würde sie Mikrokredite vergeben, allerdings ließen die ein strenges deutsches Regelwerk nicht zu. Und außerdem, da ist sich die Sozialunternehmerin sicher, fehle den meisten Entwicklungsländern eine grundlegende Infrastruktur – unabhängig von Spenden und Eigenleistung. Bis dahin sei es aber noch ein weiter Weg.


Fotos: United Nations Development Programme via flickr.com (Titel), Betterplace.org (im Text), Frauke Fichtner (Galerie)

Zum Nachlesen: Der Geschäftsbericht der gut.org


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Zeit, um zu entscheiden

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