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Professor Dr. Jan Söffner, geboren 1971 in Bonn, studierte Deutsch und Italienisch auf Lehramt an der Universität zu Köln. Nach dem erfolgreichen Studienabschluss promovierte er am dortigen Romanischen Seminar mit einer Arbeit zu den Rahmenstrukturen von Boccaccios „Decamerone“. Die nächsten drei Jahre führten ihn als wissenschaftlichen Mitarbeiter an das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung nach Berlin. Zurückgekehrt an die Universität zu Köln, erfolgte neben einer weiteren wissenschaftlichen Tätigkeit am Internationalen Kolleg Morphomata die Habilitation. Jan Söffner übernahm anschließend die Vertretung des Lehrstuhls für Romanische Philologie und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen und leitete Deutsch- und Integrationskurse für Flüchtlinge und Migranten an den Euro-Schulen Leverkusen. Zuletzt arbeitete er erneut am Romanischen Seminar der Universität zu Köln und als Programmleiter und Lektor beim Wilhelm Fink Verlag in Paderborn. An der Zeppelin Universität lehrt und forscht Professor Dr. Jan Söffner zur Ästhetik der Verkörperung, zur Kulturgeschichte sowie zu Literatur- und Theaterwissenschaften.
Gleich zu Beginn die schwierigste Frage: Können Sie erklären, worum es im riesigen Star Wars-Universum geht?
Prof. Dr. Jan Söffner: Das ist nicht schwierig zu beantworten – man braucht nur auf das Offenkundigste zu sehen, nämlich dass hier transzendente Naturkräfte (die „Force“) in einem scheinbaren Science Fiction-Setting in Szene gesetzt werden. Dieser Widerspruch – oder besser: Diese Spannung trägt sowohl die Handlung (gute und böse „Ritter“ inmitten von Raumschiffen) als auch die Ebene der Darstellung (ein Fantasy-Epos als Spektakel der Filmtechnik). Es geht also um die Frage, wie Naturmythen in einer technisierten Welt funktionieren können, oder besser: wie man in einer übertechnisierten Welt der menschlichen Natur treu bleibt. Das ist natürlich viel spannungsreicher und daher wohl auch spannender als, sagen wir einmal, bei Star Trek, wo eine Aufklärungs- und Entdeckergeschichte mit der Übertechnisierung kaum richtig in Spannung geraten kann.
Teilt man nun den Zyklus in die drei Phasen seiner Entstehung (Episode IV-VI Ende der 70er bis Mitte der 80er; Episode I-III kurz nach der Jahrtausendwende und Episode VII-IX dann jetzt) zeigt sich schnell, dass diese Frage in den vergangenen Jahrzehnten auf sehr verschiedene Weise immer neu stellte: In der Zeit der Entstehung und der ersten drei Filme (Episode IV-VI) ließ sich die Natur mit Anklängen an die New Age-Bewegung und mit einem an Carl Gustav Jung angelehnten Humanismus fassen, während die Technik noch ein Ausbund moderner Rationalisierung war, die im Kalten Krieg wie selbstverständlich an die Bedrohung der Menschheit durch die Militärtechnik denken ließ. Um die Jahrtausendwende war im Zuge der Postmoderne und der ersten großen Digitalisierung die Technik viel spielerischer geworden und die Mächte der Natur viel fragwürdiger – auch die kriegerische Bedrohung erschien eher als Phantom (so auch der Titel von Episode I: The Phantom Menace). Das war eine schlechte Voraussetzung, das Epos weiterzuführen – und meines Erachtens kranken diese Episoden sowohl an den zu vielen als auch an den zu wenigen Konzessionen an den Zeitgeist; an zu videospielhaften Schlachten und an einer deplatziert altmodischen Ethik. Es passt alles hinten und vorne nicht – aber immerhin ist George Lucas noch der Grundlinie seines Plans treu geblieben, und irgendwie hatte auch das noch etwas. Gegenwärtig wurde für eine Generation der Digital Natives gefilmt, die ihre menschliche Natur vermehrt in Symbiose mit Software kennen gelernt hat, während gleichzeitig aber die zerstörerische Bedrohung der Lebenswelten so real ist wie nie zuvor. Eigentlich wäre das eine großartige Vorlage gewesen, das alte Modell auf den Kopf zu stellen und neu aufzulegen, aber so richtig gelungen scheinen mir die letzten drei Episoden allesamt nicht.
Wie dem auch sei: Die Grundanlage der Spannung von Übertechnisierung und transzendenter Natur trägt in Star Wars trotzdem noch immer, und dass sie das kann, hängt maßgeblich auch damit zusammen, dass Gut und Böse in diesem Epos nicht einfach entlang der Demarkationslinie menschliche Natur vs. Technik verteilt sind, sondern sich auf beiden Seiten wiederfinden – was z.B. die spannungsvolle Allianz von Luke („Force“) und Han (Technik) ermöglicht oder auch die große Szene in Episode IV, in der klar wird, wie sehr Darth Vader und der Kommandant des Todessterns einander verachten und Vader geradezu tragisch und sympathisch hilflos erscheint, obwohl er seinen Widersacher telekinetisch fast erwürgen kann: Was ist so ein Würgegriff schon gegen die zerstörerische Macht des Todessterns?
Sie haben in einem Interview trotzdem gesagt, dass Sie nicht zu den Fans der ersten Stunde gehören. Was hat Sie persönlich zu Star Wars geführt?
Söffner: Naja, für die erste Stunde war ich einfach zu jung: Als Krieg der Sterne in die deutschen Kinos kam, war ich sieben – und der Film damals erst ab 12 freigegeben. Der Rest war ganz normal und unspektakulär: Ich gehöre einfach einer der drei Generationen an, von denen es heißt, dass sie von George Lucas „erzogen“ wurden.
Sie führen den Erfolg der Star Wars-Saga unter anderem auf das Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ des US-amerikanischen Mythenforschers Joseph Campbell zurück. Wieso? Und warum ist das ein Erfolgskriterium?
Söffner: Nun, das zu behaupten ist in etwa so originell wie der gefühlt 100.000ste zu sein, der sagt, dass Ludwig van Beethoven schon irgendwas von Rockmusik hat. George Lucas und Joseph Campbell haben keinerlei Geheimniskrämerei betrieben; die wechselseitigen Verbeugungen (etwa Luke Skywalker auf dem Cover einer der Auflagen von Campbells Hauptwerk oder Campbells Interviews auf Lucas‘ Skywalker Ranch) waren am Ende sogar fast schon peinlich. Die spannende Frage ist daher auch nicht, ob Star Wars mit Campbells „Monomythos“ beziehungsweise der von ihm beschriebenen „Heldenreise“ zu tun hat, sondern, warum dies sowohl für Campbells Theorie als auch für Star Wars eine so günstige Allianz war.
Dazu muss man wissen, dass Lucas, bevor er sich an Star Wars machte, nur ein recht talentierter Filmer unter vielen anderen war; und dass Campbells Karriere als Mythenforscher auch nicht gerade bahnbrechend war: Er hatte sie nicht nur außerhalb der Akademia bestreiten müssen, sondern wurde von dieser auch weitgehend verlacht: und das mit vollem Recht. Seine These, dass alle Mythen der Welt einer gemeinsamen Struktur folgen, lässt sich nicht nur nicht halten – sie war auch auf sehr problematische Weise entstanden. Campbells Art zu arbeiten war von keinerlei intellektueller Seriosität behindert: Fand er ein Element, das passte, war es für ihn ein Beleg – passte etwas nicht, war es nicht maßgeblich oder wurde passend gemacht. Seine Mythendeutungen folgen dabei im Wesentlichen der Jungschen Hypothese eines in Archetypen organisierten kollektiven Unbewussten; sie reduzieren diese aber auf ein einfaches und allgemeingültiges Set – und lassen sich dabei von historischen Fakten nicht beeindrucken. Campbell war zwar extrem belesen, aber ein echter Forscher war er nicht.
Dennoch: So problematisch Campbell als Mythologe (also Mythenforscher) war, so phantastisch war er stattdessen als Mythograph (also Mythenschreiber): Denn was er zum Teil bei J.R.R. Tolkien, in manchen Märchen und vielleicht auch wirklich in dem einen oder anderen antiken Mythos vorgefunden hatte, propagierte er im genau richtigen Zeitpunkt auf die genau richtige Weise als Mythos: Es war dies ein Zeitpunkt, an dem es der intellektuellen Kultur eigentlich schien, als ob man Mythen nicht mehr brauchte und sie (wie Roland Barthes) zu dekonstruieren hatte, weil man sie für ideologisch überfrachtet oder geradezu für faschistisch hielt. Gleichzeitig allerdings gab es eine junge Generation mit großer Sehnsucht nach Natur und Spiritualität, die sehr offene Ohren für Mythen hatte – und mehr noch für die Botschaft, die Campbell in seinen Monomythos gelegt hatte; eine Botschaft der Individualität, die zugleich eine Botschaft der Transzendenz war: Die Heldenreise hält Campbell für die Geschichte eines einzelnen besonders begabten Helden (Luke Skywalker), der eine Berufung (den Ruf der Macht) erfährt; unter Schwierigkeiten, aber mit Hilfe eines Mentors (Obi-Wan Kenobi) muss er seinen Alltag (die Ranch bei Onkel und Tante) hinter sich lassen, um zu einer höheren Bestimmung („Force“ und Jedi-Dasein) aufzubrechen; dort muss er, nunmehr verlassen von dem Mentor (Tod Obi-Wan Kenobis) eine Reihe von Proben bestehen (etwa den Todesstern zerstören), bevor er als „Herr beider Welten“ zurückkehrt.
Ohne dass Lucas die Heldenreise zeitgeistgerecht in die Spannung zwischen Natur und Technik verlegt hätte (mit anderen Worten nicht nur den Mythos, sondern auch sein Nicht-Passen in die moderne Welt zum Gegenstand des Mythos machte), hätte diese Geschichte bei Weitem nicht einen solchen Erfolg haben können. Erst Star Wars machte Hollywood auf Campbells Schema aufmerksam – das seither aus keinem Disney-Film (bis einschließlich Die Eiskönigin 2) mehr wegzudenken ist.
Warum begeistern sich eigentlich so viele Menschen für ferne und fantastische Welten? Geht es um eine verborgene Sehnsucht, Eskapismus, das Verlangen nach einer „höheren Welt“ - oder einfach nur gutes Kino?
Söffner: Weder noch. Auch auf das Risiko hin, dass ich jetzt (ähnlich wie Campbell) unwissenschaftlich werde und den einen oder anderen Beleg schuldig bleiben muss, vereinfache ich es mal so: Narrative (Schemata des Erzählens) wie der Monomythos gehen recht tief, wenn man einmal mit ihnen aufgewachsen ist. Das Leben ist eigentlich immer etwas Unförmiges, das nach Form schreit – ja, es schreit eigentlich mehr nach Form als es nach Deutung und Verständnis schreit. Und eine der wichtigsten Formen, die es erlangen kann, ist die Zeit-Form des Erzählens. Man erzählt sich gegenseitig, sich selbst und allen, die es (nicht) hören wollen, das eigene und das kollektive Leben als Geschichte – und ist daher auch nur zu leicht, wie Wilhelm Kapp es nannte, in Geschichten verstrickt. Ein bisschen bleiben wir dabei immer große Kinder, und Kinder deuten keine Geschichten, wenn sie sie erzählt bekommen haben: Sie spielen sie nach und agieren sie aus, tragen sie in ihr Leben hinein, laufen gewissermaßen so mit, dass der Weg zur Schule gleichzeitig auch eine Wanderung durch die Wüste von Tatooine ist.
Narrative haben daher immer auch das Potenzial auf eine „mythische“ Weise zu wirken, das heißt in den Alltag einzugehen, ohne ihn dafür „darstellen“ zu müssen. Das ist kein Eskapismus, es ist eine Formung des Lebens und seine Orientierung aus dem Hintergrund, so wie man sich die jeweilige Laune durch Musik oder Ohrwürmer orientieren lässt. Und der Monomythos ist, um im Vergleich zu bleiben, ein extrem mächtiger Ohrwurm. Das soll natürlich nicht heißen, dass alle, die Star Wars und ein paar andere Filme gesehen haben, immer im Monomythos leben würden. Was Campbell seinerzeit nicht sehen wollte, gilt natürlich immer noch: Es gibt und gab niemals einen Monomythos, sondern immer einen Plurimythos. Andererseits ist die Heldenreise ein Narrative mit einem besonderen Erfolg – das heißt es hält besonders viel Orientierung für besonders viele Menschen bereit. Solche Orientierungen werden sehr langsam gelernt, wobei Kindheitsprägungen entscheidend sind.
Auch hier hilft der Musikvergleich, denn es ist ein bisschen so wie wenn man ein harmonisches System lernt und daher Harmonien erwartet. Musik zu „verstehen“ (das heißt mit ihr mitgehen und sie nachvollziehen zu können) erfordert viel Übung – und selbst wenn es noch so offen und experimentierfreudige Menschen gibt, ein paar allseits geteilte Grundgewohnheiten gibt es immer schon, die zu ändern schwierig ist und lange dauert. Der Monomythos ist auf eine solche Weise derart prägend geworden, dass Störungen des Schemas (wie zum Beispiel kürzlich bei Game of Thrones zu bewundern) gleichermaßen faszinierend wie verstörend wirken und Fans geradezu empfindlich kränken können – so wie Richard Wagner oder Arnold Schönberg die Hörgewohnheiten ihres Publikums kränken und gerade dadurch faszinierend wie verstörend wirken können.
Hat denn die aktuelle Episode noch etwas mit dem Heros in tausend Gestalten zu tun?
Söffner: Sicherlich. Aber auf eine unsicher gewordene Weise, die auch zu erstaunlichen Unstimmigkeiten geführt hat. Ich glaube, wir treten gegenwärtig in eine Krise des „Harmoniesystems“ ein: Der Monomythos wirkt immer schaler, abgegriffener und kitschiger. Ich fürchte, die Drehbuchautoren wussten das, hatten aber – anders als seinerzeit Lucas und Campbell – keine starke Intuition, was für ein neues Narrativ in der gegenwärtigen Zeit greifen könnte.
Ist die Star Wars-Heldenreise schon so oft verfilmt worden, dass wir eigentlich keine andere mehr kennen? Hat Star Wars uns also so vernebelt, dass es die Entstehung neuer filmischer Denkschulen unterbindet?
Söffner: Bestimmt – aber auch bestimmt nicht: Denn das Neue ist, um neu sein zu können, auf ein Altes angewiesen, mit dem es bricht. Das ist das Schöne an Gewohnheiten: Gäbe es sie nicht, wäre es auch reizlos, das Unerwartete zu tun, denn dann wäre alles sowieso schon unerwartet. Es ist für mich sehr spannend zu sehen, ob derzeit ein neues Narrativ entsteht, das ähnlich prägend sein könnte wie der Monomythos; oder ob eben nichts dergleichen entsteht und stattdessen eine größere Pluralität der Narrative den Mainstream erfassen darf. Beides ist denkbar. Damit will ich übrigens nicht sagen, dass es jenseits des Mainstreams immer eine Elite der vielen und pluralen Narrative gegeben hätte; oder dass der Mainstream selbst immer monolithisch (das heißt monomythisch) sei. Eliten können genauso gut Monokulturen entwickeln und die Populärkultur genauso plural sein. Die höfische Kultur etwa hatte mit dem (Campbell übrigens recht ähnlichen) aventuire-Narrativ ein paar Jahrhunderte lang eine sehr reduzierte Form der Prägung, während gleichzeitig Schwänke und Kurzerzählungen ganz andere Erzählmöglichkeiten ausloteten, aber dafür als weniger elaboriert und weniger als Hochkultur galten. Der Frage nach der Pluralität ist mit derjenigen nach „hoch“ oder „populär“ nicht einfach zu verrechnen.
Wer sich auf jeden Fall über den scheinbar unendlichen Fan-Zustrom freuen dürfte, ist das Medienimperium Walt Disney. Ist es eigentlich schädlich für die Kreativität, wenn dahinter eine kommerzielle „Melkmaschine“ steht? Oder geht es heute nicht mehr ohne die großen Mitspieler im Rücken?
Söffner: Ich bin da sehr leidenschaftslos. Geld kann schädlich für die Kreativität sein – muss es aber nicht. Das Gleiche gilt für das Ausbleiben von Geld: Keines zu bekommen kann Kreative entmutigen und andere Bahnen einschlagen lassen. Eigentlich würde ich sogar sagen, dass Armut deutlich mehr Kreativität erstickt haben dürfte als ein Mainstream es je könnte. Die Frage, ob es „heute nicht mehr ohne“ das Kapital geht, kann man natürlich trotzdem stellen; aber da würde ich sagen: Kann schon sein – aber dafür ging es früher nicht ohne adelige Mäzene, was nicht besser oder schlechter war. Dennoch steht eines fest: Disney hat Star Wars eher geschadet – Lucasfilm war als großer Player eindeutig angemessener.
Folgt man dem Bewertungsportal „Rotten Tomatoes“, dann ist die Episode "Das Imperium schlägt zurück" der beste Teil der Saga, die Episode "Die dunkle Bedrohung" die schlechteste. Was meinen Sie?
Söffner: Eigentlich interessiert mich das gar nicht so sehr. Auf ihre Weise großartig und auf ihre Weise peinlich sind die Filme allesamt.
Ein gutes Interview das war und möge die Macht mit Ihnen sein, Herr Söffner. Übrigens: Haben Sie eigentlich einen Lieblingscharakter?
Söffner: Ja, Jabba the Hutt. Aber ich will jetzt nicht sagen, warum.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm