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Als Antisemitismusbeauftragter lebt es sich nicht risikolos. Wenn Michael Blume, der seit 2018 im Amt ist, öffentlich in Erscheinung tritt, prüft sein Sicherheitsteam mögliche Gefahren. Zum Beispiel ob der Veranstaltungsort öffentlich zugänglich ist oder ob es im Vorfeld Ausspähversuche gibt, die wissen wollen, mit welchem Verkehrsmittel Blume anreist. Die Gefahr wird dann mit den drei Ampelfarben bewertet.
„Sie müssen sich aber keine Sorgen machen“, sagt Michael Blume im Graf-von-Soden-Forum der Zeppelin Universität, „heute ist die Ampel grün“. Blume ist Religionswissenschaftler und an diesem Montag Gast der BürgerUniverstität – eingeladen von Hendrik Groth, dem früheren Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung, als Vorgeschmack auf das Bodensee Business Forum im September. Da wird Blume ebenfalls Gast sein.
„Digitalisierung und Radikalisierung – Ein Vergleich der Verschwörungsmythen von deutschen Reichsbürgern und IS-Terroristen“ lautet der Titel.
Angesichts des Themas und angesichts des Risikomanagements, den Blume bei jeder Veranstaltung betreiben muss, ist es erstaunlich, wie er sich Gelassenheit und Humor bewahrt hat. „Ich bin Religionswissenschaftler, nicht Theologe“, erklärt Blume und scherzt: „Theologen müssen an Gott glauben, Religionswissenschaftler nicht.“ Wahrscheinlich ist diese gute Laune die beste Abwehrstrategie gegen die Anfeindungen, mit denen sich alle Antisemitismusbeauftragten konfrontiert sehen.
Abgesehen davon, dass sie die Bundesrepublik Deutschland zum Feind erklärten, haben deutsche Reichsbürger und der Islamische Staat auf den ersten Blick nicht unbedingt viel gemeinsam. Dass sie sich jedoch derselben narrativen Mechanik bedienen, um für ihre Sache zu werben, entlarvt Michael Blume in seinem Vortrag: Sie setzen gezielt auf Propaganda in elektronischen Medien, um in den dortigen Echokammern die Theorie einer jüdischen Weltverschwörung zu manifestieren.
Warum soll es eigentlich immer eine Verschwörung der Juden sein?
„Ich möchte Ihnen heute nur einen einzigen Begriff mit nach Hause geben“, sagt Blume in seiner Einführungsrede, „Dualismus“. Dieser Begriff wurde geprägt von dem englischen Rabbiner Lord Jonathan Sacks und bezeichnet Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. „Wir hier“, erklärt Blume, „und die anderen dort“. Der Dualismus ist die Basis jedweder Verschwörungstheorie.
Ziel des Dualismus sei es, ein Feindbild aufzubauen, und zwar das der „gefährlichen Fremden“. Die Gefahr, die von den „Anderen“ ausgehe, diene als Existenzgrundlage der jeweiligen Gruppierung – wie zum Beispiel für Reichsbürger oder für den IS.
Die größte Gefahr des Dualismus sei derweil die Bildung. Weshalb alle Formen des Dualismus – sei es Rechtsextremismus in Europa, islamistischer Terrorismus in Afrika oder Rassismus in US-Amerika – auch alle Formen der Bildung bekämpften. Innerhalb der Gruppierung werde freie Bildung unterdrückt, meist bei Frauen. Es sei deshalb folgerichtig, dass das Feindbild, auf das sich alle Formen des Dualismus verständigen würden, das Judentum sei. Denn das Judentum zeichne sich vor allen Dingen durch eines aus: durch Bildung.
Insofern bedienten sich sowohl die Reichsbürgerbewegung als auch der Islamische Staat desselben Verschwörungsnarrativs: An der Macht sind fast immer Bildungseliten. Bildung ist jüdisch. Also sind alle Bildungseliten der Welt jüdisch, was zeigt, dass die Juden die Weltherrschaft an sich reißen wollten. Auf dieses Narrativ liefen nahezu alle Verschwörungstheorien der Welt hinaus.
Was können wir dagegen tun, fragen die Zuhörerinnen und Zuhörer, die Michael Blume und Hendrik Groth fast zwei Stunden lang gebannt zuhören. Aus ihren Gesichtern spricht die Fassungslosigkeit über das, was Blume und seine Familie als Anfeindungen ertragen müssen, und Ratlosigkeit angesichts der Mittel, derer sich Reichsbürger und IS bedienten.
Die Antwort ist nicht einfach. Grundsätzlich dürfe man ihnen nicht das Feld überlassen. Immerhin, man befände sich ja an einer Universität: „Ich glaube, wir müssen die jungen Leute ernst nehmen“, sagt Michael Blume. Die seien dort, wo die Propaganda stattfinde: im Internet und in den sozialen Medien. „Die jungen Leute sind Experten im Internet, wir sollten Ihnen zuhören“, empfiehlt Blume, „sie sind hier unsere Lehrer“.
Außerdem müsse sich die Politik um die Bürger:innen kümmern. Überall dort, wo sich Bürger:innen vom Staat abwendeten, lautere die Propaganda des Terrorismus und falle dort auf fruchtbaren Boden.
Blume wählt den Begriff „Terroristen“ übrigens nicht allein im Zusammenhang mit dem IS. „Ich glaube, dass die Reichsbürgerbewegung nach der Corona-Zeit mengenmäßig wieder abnehmen wird“, sagt Blume noch am Ende der BürgerUniversität, „aber ich glaube, dass sie sich stärker in Richtung Terrorismus entwickeln wird“.