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Herr Professor Mühlhahn, Personen, die an der ZU studieren, was werden die später arbeiten?
Mühlhahn: Wir können nichts prophezeien. Aber wir wissen, wo unsere Studierenden in der Vergangenheit Arbeit gefunden haben. Viele haben in Unternehmensberatungen angefangen oder in Start-ups. Einige haben selbst gegründet und andere sind im Familienunternehmen eingestiegen. Von zahlreichen Absolventen wissen wir, dass sie im Management tätig sind oder wenigstens in einer steuernden, gestaltenden Funktion. Das gilt für den wirtschaftlichen Bereich genauso wie für den politischen und kulturellen. Und zwei Bürgermeister haben wir nun auch unter unseren Absolventen.
Könnte man also sagen, die ZU bildet Führungskräfte aus?
Mühlhahn: Ja, das könnte man so sagen. Allerdings tun wir uns an der ZU mittlerweile schwer mit dem Begriff „Führungskraft“. Denn die Vorstellungen, die mit einer Führungskraft verbunden sind – eine Person, die andere Personen führt und einsame Entscheidungen für alle trifft –, decken sich nicht mehr mit den Vorstellungen, die junge Menschen von der modernen Arbeitswelt haben. Ich möchte Ihnen gerne erläutern, was wir uns unter einer Person mit Führungsaufgaben vorstellen: Personen im modernen Management sind Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen, die ambitioniert sind, die sich persönlich als auch die Gesellschaft weiterentwickeln wollen und die es daher schätzen, in flachen Hierarchien zu arbeiten und die bei dem, was sie machen, kreativ und gestalterisch vorgehen wollen.
Das klingt mehr nach Persönlichkeitsmerkmalen als nach trainierbaren Kompetenzen. Wie wird man eine solche moderne Führungskraft?
Mühlhahn: Zunächst einmal lässt sich die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen, als Strategie erlernen. Oder die Art und Weise, wie man mit Herausforderungen umgeht, dafür gibt es objektiv vermittelbare Methoden. Kreativität kann auch erlernt werden, dazu gibt es erstaunliche Studien. Unternehmerische Kreativität entsteht beispielsweise häufig dort, wo Altbekanntes auf völlig Neues stößt. Es kann also ein Konzept sein, Modernes zu integrieren, das mit dem Altbekannten gar nichts zu tun hat. All das sind Methoden einer neuen Form von Management, die mit den tradierten Vorstellungen von Führungskräften als Chefs nicht mehr ganz übereinstimmen.
Wie werden Studierende der ZU an solche Aufgaben herangeführt?
Mühlhahn: An der ZU gibt es zahlreiche studentische Initiativen, fast 40. Das sind eigene Entitäten, unabhängig von uns verwaltet, oft als eingetragener Verein. In diesen Initiativen trainieren die teilnehmenden Studierenden alle möglichen Management-Aufgaben: die Koordination von Aufgaben, die Einhaltung von Deadlines, die Abstimmung von Abteilungen, die Mobilisierung von Helfern, Kundenakquise, Kommunikation und Marketing, und so weiter. Diese Praxiserfahrung ist essenziell. Deshalb fördern wir die Initiativen intensiv. Sehen Sie, wir wollen, dass unsere Studierenden nach der Uni in ihren Wunschberuf einsteigen können, bestenfalls im Management. Dafür braucht es aber gefestigte Persönlichkeiten, die im Frieden mit sich sind und wissen, was sie wollen. Das ist im Übrigen auch ein ganz wichtiger Aspekt moderner Führungsmerkmale: Genau zu wissen, was man will: Um genaue Ziele definieren zu können. Und die praktischen Erfahrungen, die unsere Studierenden neben der erstklassigen Lehre machen können, führen dazu, dass ihre Persönlichkeiten reifen und Selbstwert entwickeln.
Die Studierendenzahlen an der ZU haben zuletzt stagniert. Woher kommt das?
Mühlhahn: Zunächst ist da der demografische Wandel. Es gibt insgesamt weniger Studierende in Deutschland. Alle Universitäten merken das. Aber ich persönlich glaube, dass da noch mehr dahintersteckt. Zwei Faktoren, die wir noch nicht stark genug im Blick haben: Erstens erreichen nun die Jahrgänge der jungen Menschen, die seit fünf Jahren für den Klimawandel auf die Straße gehen und sich global vernetzt haben, die Ausbildungsstätten. Damals, 2018, als es losging, waren die jungen Menschen im Durchschnitt etwa 15 Jahre alt. All diese jungen Menschen haben höhere Ansprüche an das, was sie im Leben machen wollen und damit auch an das, was sie studieren wollen. Sie haben ein verändertes Wertegefüge, was zu einer veränderten Nachfrage an Studiengängen führt. Zweitens, Künstliche Intelligenz wird Arbeitsplätze und Prozesse nachhaltig verändern. Das ist eine disruptive Technologie und sie trifft uns unvorbereitet. Und den jungen Menschen, die elektronische Medien und KI ohne Berührungsängste verwenden, wissen das längst. Diese beiden Faktoren führen dazu, dass die jetzige Generation an Hochschulbewerber:innen nach modernen Studiengängen fragt, die garantieren können, dass sie später nicht nur überhaupt eine Arbeit finden, sondern auch eine ansprechende.
Was schlagen Sie vor, wie man damit umgeht?
Mühlhahn: Ich bin zunächst einmal der Meinung, dass kleine Universitäten wie die Zeppelin Universität wichtige Seismografen für die Wirtschaft sind. Die sinkende Nachfrage kündigt einen wirtschaftlichen Umbruch von gewaltigem Ausmaß an. Schon allein für den Arbeitsmarkt. Denn die aktuelle sinkende Nachfrage bei Universitäten wird in vier bis sechs Jahren eine sinkende Zahl von Bewerber:innen bei Unternehmen nach sich ziehen. Das ist für Ausbildungsstätten dringlicher als für Unternehmen. Sie müssen sofort reagieren. Unternehmen können das noch vorbereiten. Ich sage es mal so: Wer jetzt klug ist, schaut sich genau an, was die Zeppelin Universität macht und schneidet sich eine Scheibe davon ab. Wir bauen aktuell in Windeseile sechs neue Lehrstühle auf, die sich mit Innovation, Künstliche Intelligenz, IT und insbesondere auch mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Das heißt, wir integrieren die absoluten Megatrends in unsere Forschung und Lehre, damit die Absolventen, die in fünf Jahren die Uni verlassen, vorbereitet sind für den Arbeitsmarkt. Das werden dann gefragte Führungskräfte sein. Wer diese Übergangszeit verschläft, wird es bald schwer haben, gut ausgebildetes Personal zu finden. Denn die wenigen Spitzenkräfte, die es dann geben wird, werden sich aussuchen können, wo sie arbeiten wollen. Und das werden nun mal die modernsten Unternehmen sein.
Der Fachkräftemangel ist sowieso bereits da.
Mühlhahn: Ja, richtig. Aber lassen Sie mich mal eine provokante These in den Raum stellen: Der Mangel an Fachkräften ist noch gar nicht so groß. Was groß ist, ist der Mangel an ansprechenden Arbeitsplätzen. Natürlich wird es schwieriger für Unternehmen, Arbeitskräfte zu finden, wenn es insgesamt weniger Arbeitskräfte gibt. Aber ein Phänomen des angesprochenen Umbruchs ist nun mal, dass die Arbeitnehmer höhere Ansprüche an die Arbeit stellen und auch stellen können, weil die Konkurrenz immer wenige wird. Unternehmen, die den Ansprüchen gerecht werden können, werden auch in Zukunft die passenden Arbeitskräfte finden. Umgekehrt lässt sich das alles aber auch so sehen: KI wird dafür sorgen, dass Tausende Arbeitsplätze verloren gehen. Wer in Zukunft noch Arbeit finden möchte, muss sich für die Arbeitsplätze der Zukunft auch entsprechend ausbilden lassen. Auch dafür wird die ZU bald ein zeitgemäßes Angebot haben. Wir stellen unsere berufsbegleitenden Ausbildungen neu auf.
Auch da setzen die neuen Lehrstühle an?
Mühlhahn: Ganz genau. Wir überlegen uns sehr genau, welche Fähigkeiten in Zukunft gebraucht werden und machen dafür ein Angebot. Das ist im Übrigen der Vorteil einer so kleinen und agilen Universität wie die Zeppelin Universität: Wir können unsere Ausbildung sehr viel schneller auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes der Zukunft ausrichten, als es eine Universität mit 50.000 Studierenden und 5.000 Mitarbeitenden könnte.
Künstliche Intelligenz wird viele Arbeitsplätze vernichten. Man muss es so drastisch formulieren. Die Frage, die sich dabei stellt, ist aber doch: Welche Art von Arbeitsplätzen bleibt übrig?
Mühlhahn: Es sieht danach aus, als würden die eher langwierigen, redundanten und unkreativen Tätigkeiten zukünftig von einer KI übernommen werden. Denn da erzielt sie bessere Ergebnisse als der Mensch. Übrig bleibt das, was die meistens Menschen eigentlich verlangen: kreatives Arbeiten mit Raum zur Gestaltung und zur Persönlichkeitsentfaltung. Deshalb sehe ich in dem Umbruch auch eher eine Chance als eine Gefahr. Natürlich habe ich Verständnis für alle damit verbundenen Sorgen. Aber wenn ich die Potenziale in den Blick nehme, dann sehe ich, dass es mehr Arbeitsplätze als bisher geben wird, die Menschen glücklich machen können.
Auch im Management?
Mühlhahn: Gerade im Management. Da wird es in Zukunft wohl noch stärker um Zukunftsvisionen und strategische Überlegungen gehen. Dafür braucht es Intuition und Vorstellungskraft. Die verorte ich eher bei Menschen als bei einer KI. Genauso wie Einfühlungsvermögen. Sehen Sie, die Gesellschaft wird immer ausdifferenzierter. Mit dieser Ausdifferenzierung der Menschen müssen auch Führungskräfte umgehen können. So etwas hat in der Berufswelt bisher eher eine untergeordnete Rolle gespielt. Modernes Management muss sich auf die unterschiedlichen Lebenswelten und Ansprüche der Arbeitnehmenden einstellen: auf Identitäten und Identifizierungen. Führungskräfte müssen alle Teammitglieder gleich und fair behandeln und gleichzeitig auf jeden Einzelnen individuell eingehen. Flexible Arbeitszeiten und flexible Arbeitsräume werden gefragt. Der eine verlangt ständig Kurzurlaub, der andere lieber alles am Stück. Die eine will lieber im Urlaub arbeiten und die andere ein Urlaubsfeeling am Arbeitsplatz haben. Teams zu leiten, wird immer komplexer werden. Das muss das Management der Zukunft hinbekommen.
Stichwort: New Work. Wird das jetzt endlich im großen Stil denkbar?
Mühlhahn: Das kann ich mir jedenfalls vorstellen. Dass Menschen nicht mehr in stupiden Tätigkeiten gefangen sind, sondern sich die Arbeit immer mehr so gestalten können, wie sie es sich wünschen. Aber das wird nur klappen, wenn es Führungskräfte gibt, die das mitmachen und organisieren können. Das müssen Führungskräfte sein, die sich nicht als Führungskräfte im traditionellen Sinn verstehen. Sondern – erlauben Sie mir bitte, hier ein Bild zu malen –, die sich als Dirigenten verstehen, die einem Orchester vorstehen. Sie geben nur den Takt vor, aber alle Musizierenden spielen ihr eigenes Instrument mit einem eigenen Notenblatt, manchmal spielen sie gleich wie die anderen, manchmal aber auch allein, aber alle zusammen tragen immer dazu bei, dass ein Gesamtkunstwerk entsteht.