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Pionierin des Monats Johanna Nagel

Mit Weitsicht dem Horizont entgegen

von Sebastian Paul
16.05.2024
An der Zeppelin Universität gibt es eine Gemeinschaft, in der man gemeinsam Visionen vorantreiben kann.

Johanna Nagel
Pionierin des Monats im Mai
 
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„Neben vielen Gesprächen über das aktuelle Geschehen in der Welt haben meine Eltern mich insoweit geprägt, als dass sie mir vor Augen geführt haben, wie wichtig es ist, ein klares Ziel zu verfolgen“, bemerkt Nagel. Da war es nur von Vorteil, dass das einzige Kind „In der Wüste“ nicht nur in den Genuss eines bilingualen deutsch-französischen Unterrichts kam, sondern auch in Berührung mit komplexen gesellschaftlichen Phänomenen, historischen Beweggründen oder globalen Zusammenhängen, wie es so schön auf der Website des in dem besagten Osnabrücker Stadtteil gelegenen Gymnasiums heißt.


Aus den Diskussionen in der Familie und im Klassenraum über das aktuelle Geschehen in der Welt entwickelte sich bei Johanna Nagel der Wunsch, Gesellschaft gestalten zu wollen. Mehr noch war es aber ein Engagement, dass mit dem Umstand zu tun hatte, dass während der sogenannten Flüchtlingskrise das niedersächsische Landesaufnahmelager in Osnabrück stationiert war. „Das führte dazu, dass die Sprachlernklassen schnell überfüllt waren und daher jede Unterstützung dringend gebraucht wurde“, bemerkt Nagel. Genau das tat sie zwei Jahre lang, indem sie geflüchtete Kinder und Jugendliche in Grundlagenfächern wie Mathe, Deutsch und Englisch unterrichtete und mit ihnen auch privat viel unternahm. „Letztlich steckte in allem der Versuch, den Geflüchteten das Ankommen in Deutschland zu erleichtern“, erklärt Nagel, die (Klein-)Kindern Werte wie Fairness und Fleiß, Dankbarkeit und Disziplin auch als Trainerin und Schwarzgurtträgerin in der Kampfkunst Wing Tsun vermittelte. Zwei Wochen in den Sommerferien dagegen lernte sie bei einer Herbstakademie an der Universität Osnabrück, wie das deutsche Asylsystem funktioniert und wie es kritisch hinterfragt werden kann.


Das hinter politischen Entscheidungen Einzelschicksale stehen, wurde Johanna Nagel besonders deutlich, als sie nach dem Abitur nach Berlin ging, um ein Praktikum bei Be an Angel e.V. zu absolvieren. „Dort habe ich tiefere Einblicke in die Flüchtlingshilfe gewonnen, weil der Verein Geflüchtete sehr viel kleinteiliger dabei unterstützt, Asyl zu sichern und sich vor Ort zu integrieren. Daher war ich auf direktere Weise mit den Geschichten hinter den geflüchteten Menschen konfrontiert, was die Zeit zu einer prägenden, aber auch herausfordernden machte“, berichtet Nagel.


Weil Johanna Nagel sich durch ein breitgefächertes Interesse auszeichnet, kam für sie nur ein breitangelegtes Studium in Frage. Wie der Zufall so spielt, kamen zwei Personen aus ihrem Bekanntenkreis und eine Studienberatung zum gleichen Ergebnis: die ZU. „Als ich zum ersten Mal vom SPE-Bachelor erfuhr, war ich sichtlich erleichtert, mich nicht für ein Studienfach entscheiden zu müssen. Außerdem bestätigten sich beim Auswahltag die Aussagen, nach denen es an der ZU eine Gemeinschaft gibt, in der man gemeinsam Visionen vorantreiben kann“, beschreibt Nagel.


Johanna Nagel bezog weit vor ihrem Studienbeginn ihr WG-Zimmer. Da ihre Mitbewohnerin im Student Council saß, machte sie in der Wohngemeinschaft auch Bekanntschaft mit der Hochschulpolitik. Als mitten in der Coronapandemie für sie und alle anderen absehbar war, dass das Studium in Präsenz nur von kurzer Dauer sein wird, stand für sie fest: „Ich wollte mich unbedingt einbringen, den Zusammenhalt unter den Studierenden aufrechtzuerhalten.“ Nach der erfolgreichen Wahl überlegte sie sich als Sprecherin des ersten und zweiten Semesters zusammen mit den weiteren Mitgliedern im Student Council, wie das Universitätsleben in der digitalen Welt gestalten werden kann. Neben einem gemeinsam organisierten digitalen Kennenlernevent war es an ihr, sich den zahlreichen Fragen und Probleme derer anzunehmen, die am Anfang ihres Studiums standen. „Durch die vielen Gespräche mit höheren Semestern und der Verwaltung habe ich auch selbst viel über die Abläufe und Strukturen an einer Universität lernen können“, erwähnt Nagel.


Ein Thema, das sie durch ihr bisheriges Studium begleitet, ist die Nachhaltigkeit. Denn mit dem Zeitpunkt ihres Studienstarts erlebte das Thema auch an der ZU einen ungeahnten Aufschwung, das darin gipfelte, dass die Universität sich das Ziel der Klimaneutralität bis 2035 setzte. Um ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit an der ZU und nach außen hin zu schaffen, gründete sich das institutionelle Zukunftsbüro und zugleich eine studentische Initiative gleichen Namens. Johanna Nagel wirkte hier wie dort mit. Zeitweise gleichzeitig erarbeitete sie ein universitäres Klimaschutzkonzept und organisierte eine ganze Nachhaltigkeitswoche mit Workshops, Vorträgen und Diskussionen. „Besonders spannend war es zu sehen, welche Prozesse und Spielräume hinter dem Ziel der Klimaneutralität stehen“, berichtet Nagel, „und dass dieses Ziel nicht im Alleingang, sondern nur in Kooperation mit städtischen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen erreicht werden kann.“


Aus einem völlig anders gelagerten Grund arbeitete Johanna Nagel eng mit der Ludwig-Dürr-Schule in Friedrichshafen zusammen. Die Schule betreut auch Klassen, in denen geflüchtete und migrierte sowie sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche unterrichtet werden. Und genau hier setzt die studentische Initiative Rock Your Life! an, bei der es darum geht, Schüler:innen Studierende zur Seite zu stellen. Johanna Nagel war in der Initiative jahrelang als Mentoring-Vorstand aktiv. „Die Vision von mehr Bildungsgerechtigkeit hat mir von Anfang an zugesagt. Und es hat mich mit viel Freude und Stolz erfüllt, mitverantwortlich dafür zu sein, dass das Mentoring-Programm diese Vision einlöst und den beteiligten Schüler:innen neue Chancen und Perspektiven eröffnet“, erklärt Nagel, die außerdem als Praktikantin bei GoVolunteer e.V. an einer Plattform mitarbeitete, die Ehrenamtliche in Natur- und Artenschutzprojekte bringt. „Dabei haben wir aber auch versucht, geflüchteten Menschen noch ohne Arbeitserlaubnis die Möglichkeit zu bieten, mit einem Ehrenamt einen Zwischenschritt zu gehen und Qualifikationen für den Arbeitsmarkt zu erwerben“, ergänzt Nagel.


Wie kann eine nachhaltige Stadt Friedrichshafen aussehen? Und wie kann ein Nachhaltigkeitskonzept für die Bodenseeregion gestaltet sein? Diesen Fragen ging Johanna Nagel in dem einen oder anderen Seminar nach. Weiter hinaus wagte sie sich, als sie sich intensiver mit der Europäischen Integration beschäftige, sich fragte, wie diese noch gelingen kann, wenn Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Beide Themenfelder kombinierte sie in ihrem Auslandssemester an der Universitetet i Bergen, wo sie die Klimapolitik in Europa, in den USA und in China genauer unter die Lupe nahm.


Um die in den Kursen erlernten Theorien besser erfassen zu können, folgte nach dem Auslandssemester ein Praxissemester. Nicht nur den Horizont zu erweitern, sondern auch den Horizont zu scannen: Darum ging es bei einem Praktikum im Umweltbundesamt in Dessau, bei dem Zukunftsforschung und strategische Vorausschau im Fokus der Betrachtung standen. „Genauer gesagt haben wir in Projekten mit Bundesministerien und Forschungsinstituten daran gearbeitet, wie Klimapolitik weitsichtiger gestaltet werden kann“, erklärt Nagel. Um dagegen ein tieferes Verständnis von der EU-Erweiterung und den damit verbundenen Herausforderungen zu erlangen, zog es Johanna Nagel in die slowenische Hauptstadt Ljubljana und dort zu einem Praktikum in der Deutschen Botschaft. „Slowenien habe ich gezielt gewählt, weil der Mitgliedsstaat eine Vermittlerrolle zwischen der Europäischen Union und den Westbalkan-Ländern einnimmt“, bemerkt Nagel.


Zurück zur Theorie heißt es für Johanna Nagel in ihren beiden letzten Semestern. „Sowohl in meinen aktuellen Kursen als auch in meiner Bachelorarbeit möchte ich mich mit den theoretischen Konzepten hinter der EU-Erweiterung auseinandersetzen“, verrät Nagel. Doch Johanna Nagel wäre nicht Johanna Nagel, wenn es das allein schon gewesen wäre. Nebenbei hat sie einen Werkstudierendenjob bei adelphi – einer unabhängigen Denkfabrik und führenden Beratungseinrichtung für Klima, Umwelt und Entwicklung – angenommen. „Das Projektteam, in dem ich tätig bin, berät Unternehmen und Organisationen, die das EU Eco-Management and Audit Scheme (EMAS) einführen und dadurch ihr Umweltverhalten kontrollieren und verbessern wollen“, erzählt Nagel.


Und wie verhält es sich mit ihrer Zukunft? „Um mein Französisch nicht einrosten zu lassen, kann ich mir zum jetzigen Zeitpunkt einen Master in Europäischer Klimapolitik in Frankreich vorstellen. Mehr noch hoffe ich aber, in einer französischen Universität einen Ort zu finden wie in der ZU.“

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