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Kreativität

Über die Kraft des Ungewissen

Auch wenn Kreativität und Improvisation, darüberhinaus auch Spontaneität, das Leben des Menschen schon immer beeinflusst haben, so gibt es in der soziologischen Handlungstheorie bislang nur wenige Autoren und auch Zugänge, die sich mit diesem Themengebiet auseinandergesetzt haben.

Professor Dr. Udo Göttlich
 
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    Zur Person
    Professor Dr. Udo Göttlich

    Professor Dr. Udo Göttlich ist seit Oktober 2011 nach verschiedenen Gastprofessuren in Klagenfurt, Hildesheim oder München Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Medien- & Kommunikationswissenschaft der Zeppelin Universität. Seine Schwerpunkte liegen im Verhältnis und Zusammenhang von Medien- und Gesellschaftswandel.

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    Factbox
    Zum Weiterlesen: Sammelband „Kreativität und Improvisation"

    Der Umgang mit dem Unvorhersehbaren und die Entstehung von Neuem sind Aspekte menschlichen Handelns, die in soziologischen Theorien bisher zu wenig berücksichtigt wurden, lautet die Devise des Sammelbandes „Kreativität und Improvisation”. Beide Themengebiete stellten für die Soziologie eine möglichkeitsreiche Herausforderung dar. In ihren handlungstheoretischen, methodologischen und kultursoziologischen Reflexionen zeigen die 13 Autorinnen und Autoren, in welchen Theorietraditionen und Praxisfeldern die Phänomene Kreativität und Improvisation eine wichtige Rolle spielen. Herausgegeben wurde der Band von Professor Dr. Udo Göttlich und Professor Dr. Ronald Kurt.

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Sie erläutern, dass Kreativität und Improvisation eine möglichkeitsreiche Herausforderung für die Soziologie darstellen und das Leben der Menschen schon immer beeinflusst haben. Auf welche Fragen soll der Sammelband Antwort-Optionen bieten?

Professor Dr. Udo Göttlich: Auch wenn Kreativität und Improvisation, darüberhinaus auch Spontaneität, das Leben des Menschen schon immer beeinflusst haben, so gibt es in der soziologischen Handlungstheorie bislang nur wenige Autoren und auch Zugänge, die sich mit diesem Themengebiet auseinandergesetzt haben. Es geht hierbei nicht um die Frage, wie Kreativität oder Spontaneität beim Menschen erzeugt werden können. Die handlungstheoretische Frage besteht vielmehr darin, die aller bewussten Zwecksetzung vorausgehende praktische Vermitteltheit des Subjekts mit seiner Welt auf theoretischer Ebene vor Augen zu führen.

Was wird hierdurch ermöglicht?

Göttlich: Eine solche Perspektive eröffnet die klare Sicht darauf, welch rationalistisch verkürztes Bild von Kreativität beispielsweise in den „creative industries“ oder mancher viel besungenen Managementpraxis besteht, bei denen von „Kreativität“ in dem hier verfolgten handlungstheoretischen Sinne zu sprechen, kaum gerechtfertigt ist. Wenn sie so wollen, wird in diesen Kontexten die praktische Vermitteltheit schon wieder einseitig beschnitten und für die Erreichung von kurzfristigen Zielen instrumentalisiert.

Mit Kreativität und Improvisation gilt es, Neuem und Unvorhersehbarem zu begegnen: Welche Facetten des Unvorhersehbaren werden angesprochen?

Göttlich: Handlungstheoretisch gesprochen, geht es um die Frage, wie aus der Reaktion auf Unvorhersehbares in den unterschiedlichsten Handlungssituationen Neues entsteht. Daher finden zunächst all jene Situationen Beachtung, die auch im dominanten rationalen Handlungsmodell Beachtung finden, dort aber als grundsätzlich berechenbar oder vorhersehbar angesehen werden. Hinsichtlich des Ausgangspunktes besteht also kein Unterschied. Vielfach ist es aber keineswegs so, dass wir auf Situationen des Unvorhersehbaren und Neuen bereits mit vollem Wissen und Handlungsroutinen eingestellt sind. Kreativität, Improvisation und auch Spontaneität als in der Handlungstheorie vernachlässigte Stiefkinder bieten an dieser Stelle eine Erweiterung jener Handlungsmodelle, die aus modelltheoretischen Gründen immer schon unterstellen, dass die Lösungswege bekannt beziehungsweise vorhersagbar und eingrenzbar seien. Kreativität wäre daher die alle anderen Handlungstypen und -formen umschließende Dimension, der wir uns für die Deutung solcher Routinen bislang nicht bedienen.

Zum Weiterlesen: Sammelband „Kreativität und Improvisation"


Ihr Beitrag „Medienaneignung und symbolische Kreativität“ beschäftigt sich mit Rezeptions- und Wirkungsforschung und ihren Auswirkungen auf den Medienwandel. Wie lassen sich Ihre Thesen vereinfacht darstellen?

Göttlich: Eine Stoßrichtung meiner Überlegungen besteht darin, mit einer handlungstheoretischen, an der Kreativität des Handelns ausgerichteten Rezeptionsforschung, Fragen und Motive der Medienaneignung thematisieren und analysieren zu können, die in dem von psychologischen Motiven der Suche nach Gratifikationen bestimmten Forschungsfeld keinen Niederschlag finden.
In konvergenten Medienwelten, in denen wir mit der Performativität der Medien konfrontiert sind, stellen sich nicht nur Fragen der Bedürfnisbefriedigung bei der Zuwendung zu bestimmten Medienangeboten. Es geht vielmehr um die Formen symbolischer Kreativität, mit denen wir die von den Medien vermittelten „Wirklichkeiten“ aneignen und für unsere „Kommunikation“ einsetzen, das heißt als Quelle für unsere Orientierung wählen.

Schon in der Einleitung richten Sie besonderes Augenmerk auf die Beeinflussung von sozialen Handlungen durch Medien. Wie weit wird sich diese Tendenz in naher Zukunft ausweiten?

Göttlich: Mit der Mediatisierung des Alltags ist ein Prozess beschrieben, dessen Dimensionen und Folgen vielfach erst in Grundzügen abschätzbar sind. Die Mediennutzung geht in diesem Prozess weit über das hinaus, was bislang unter Medienwirkung verstanden wurde, wenn man begreift, wie Verbreitungs- und Kommunikationsmedien sich in den Rhythmus nicht nur der Nachrichten- oder Unterhaltungsrezeption, sondern beinahe all unserer praktischen Handlungen und Routinen einbinden.

Welche Risiken sind damit verbunden?


Göttlich: Noch vor einer Behandlung der aus heutiger Warte plausibel erscheinenden Risiken braucht es einer (handlungs-)theoretischen Durchdringung der vor unseren Augen ablaufenden stetigen Veränderungen. Solange das nicht geschieht, besteht ein Risiko darin, das als Gefahr wahrzunehmen, was am Ende keine ist. Wer redet heute noch über Massenkultur und die Gefahr, die von den Massen ausgeht?


Bild: Flickr/wsilver

"Kreativität und Improvisation" - Ein Sammelband von Professor Dr. Udo Göttlich

Udo Göttlich, Ronald Kurt (Hrsg.):Kreativität und Improvisation: Soziologische Positionen", Springer VS, 300 Seiten, ISBN-10: 3531182455, ISBN-13: 978-3531182452

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