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Professor Dr. Helmut Willke ist Inhaber des ZU-Lehrstuhls für Global Governance und hat zudem Gastprofessuren in Washington, D.C., Genf und Wien inne. Der studierte Rechtswissenschaftler und Jurist lehrte zuvor in Bielefeld und wurde 1994 mit dem Leibnizpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Willke forscht schwerpunktmäßig in den Bereichen globale Netzwerke und Steuerungsregime, sowie System- und Staatstheorie.
Vor dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Abkommen, dem System fester Wechselkurse, hatte man es gemäß Willke mit einem lose gekoppelten Finanzsystem zu tun, in dem die Nationalstaaten starke Kontrollmöglichkeiten besaßen. Mit der Aufhebung von Bretton Woods im Jahr 1973 entstand ein internationaler Finanzmarktkapitalismus, der die verschiedenen Finanzinstiutionen stärker miteinander vernetzte und die Systemkomplexität erhöhte. Zudem sind Nationalstaaten nach dem Ende von Bretton Woods in einen Standortwettbewerb bezüglich iher Finanzplätze getreten, der zu einem politischen Deregulierungstrend führte. In Deutschland ist dies anhand der Auflösung der sogenannten Deutschland AG, der engen Verflechtung von Banken und Unternehmen, und des Strategiewechsels der Banken hin zum Investmentbanking zu beobachten. In den USA wurde insbesondere mit der Aufhebung des Glass-Steagall-Actes im Jahr 1999 die Möglichkeit für normale Geschäftsbanken geschaffen, dem risikoreichen Investmentbanking nachzugehen.
Helmut Willke, Gerhard Willke: „Political Governance of Capitalism: A Reassessment Beyond the Global Crisis”, Edward Elgar Publishing Ltd, 207 Seiten, ISBN-10: 1781006180, ISBN-13: 978-1781006184
Eine enge Vernetzung verschiedener Akteure und komplizierter Finanzprodukte zeichnen das globale Finanzsystem aus. Das Ergebnis sind kaum kontrollierbare Entwicklungen, deren Wendepunkt hin zur Krise im Vorhinein nur schwer identifizierbar sind. Professor Dr. Helmut Willke widmet sich im Rahmen seines aktuellen Forschungsprojektes der Entstehung systemischer Risiken aus unorganisierter Komplexität und konzentriert sich dabei insbesondere auf das globale Finanzsystem. Im Rahmen des von der deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes unter dem Titel „ Policy responses to systemic risk. National policies and the idea of global financial governance." geht es bis März 2014 vor allen Dingen darum, wie die Politik auf systemisches Risiko reagieren könnte.
Willke argumentiert, dass die Unorganisiertheit des Finanzsystems durch eine fehlende adäquate Organisation entstanden sei. Ganz konkret hätten es die Staaten und internationalen Institutionen verpasst, das mittlerweile stark interdependente gobale Finanzsystem adäquat zu regulieren. Dabei reiche heutzutage eine Regulierung durch den Nationalstaat nicht mehr aus.
Dabei ist gerade angesichts der gestiegenen Komplexität aufgrund der engeren Kopplung der verschiedensten Finanztransaktionen eine effiziente Regulierung notwendig. Laut Willke würden knapp 70 Prozent der Finanzgeschäfte durch neun Banken kontrolliert. Außerdem seien komplizierte Finanzprodukte wie Derivate und die Verbriefung von Kreditforderungen Ausdruck steigender Vernetzung. Willke bezeichnet diese als pro-zyklische Verstärker, die das System als Ganzes aus der Balance bringen können. So entstehe ein systemisches Risiko, das der Vorbote einer Systemkrise sei, die uns 2008 mit unvorhergesehener Strahlkraft ereilte.
Die Aufgabe, der sich Professor Dr. Willke nun stellt, ist, herauszufinden, wie die einzelnen Risiken im Finanzsystem zusammenhängen. Ziel ist es, Indikatoren auszumachen, die eine Identifikation von krisenhaften Entwicklungen ermöglichen. Bisher sei es erst nach einem sogenannten Black-Swan-Moment, einem absolut überraschenden Ereignis, möglich, festzustellen, dass die Entwicklung eines Teilzyklus' nicht gesund gewesen ist. So war es zum Beispiel bei der Hauspreisentwicklung im Jahr 2008 in den USA zu beobachten, die zur Immobilienkrise führte.
Das systemische Risiko des Finanzsystems, das solche unverhersehbaren Ereignisse erzeugen kann, wirke sich laut Willke auch auf andere Bereiche aus. So führe das systemische Risiko im Finanzsystem zu einem systemischen Armutsrisiko und einem systemischen Risiko für die Demokratie. Und das lasse sich schon heute in der politischen Realität erkennen: „Die klassischen Formen der Legitimierung kommen in die Krise, weil schon jetzt wichtige Entscheidungen am Parlament vorbei getroffen werden“, schlussfolgert Willke. Und dennoch ist er sicher: „Die Lösung dieser Probleme ist nichts für Politiker“. Er fordert, dass Probleme in autonome Institutionen wie die Bundesbank ausgelagert werden, um der Komplexität Herr zu werden.
Gleichzeitig sollten die schon bestehenden Institutionen die Vernetzung innerhalb des Systems besser untersuchen. „Die Aufgabe der Institutionen ist die Jagd nach dem Systemrisiko“, sagt Willke.
Bild: CERN