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Christopher Owen studierte Kunstgeschichte und Kulturmanagement am Karlsruher Institut für Technologie sowie Communication & Cultural Management an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Neben seinem Studium beteiligte er sich kuratorisch und konzeptionell an verschiedenen Ausstellungen in Karlsruhe und als Produktionsleitung beim Kulturfestival seekult in Friedrichshafen.
Die Intitative MACH MITTE!, bestehend aus neun Masterstudentinnen und Masterstudenten des Studiengangs Kommunikation- und Kulturmanagement der Zeppelin Universität Friedrichshafen, schuf im Rahmen des Seminars „Kulturindustrie“ unter Leitung von ZU-Professor Dr. Joachim Landkammer eine neutrale Plattform für die Bürgerinnen und Bürger in und um Salem.
Insgesamt wurden in allen elf Ortsteilen Salems die Wünsche, Ängste und Bedenken zur ‚Neuen Mitte‘ erfasst. Dabei füllten die Bürger 270 Fragebögen aus und visualisierten die Nutzungsmöglichkeiten in 50 verschiedenen Moodboard-Konfigurationen.
Hier hat die Gemeinde Salem Informationen zur „Neuen Mitte" zusammengestellt. Zu finden sind die Resultate von MACH MITTE! wie auch die Projektentwürfe der Universität Stuttgart.
In dieser Feldstudie stehen die Wünsche der Bürger im Mittelpunkt. Warum sollen Bürger die besseren Experten sein?
Christopher Owen: Im Fall der Neugestaltung eines Zentrums von Salem bot es sich an, insbesondere die Bedürfnisse und Interessen aus der Mitte heraus, die Meinungen der Bürger Salems, zu befragen. Bereits existierende Pläne waren zuvor auf Widerstand von Teilen der Bevölkerung gestoßen. Die Bürger Salems kennen ihre Gemeinde und das Potenzial am besten und können somit eine gute Einschätzung abgeben. Deshalb haben die Interessen der Bürger den Prozess maßgeblich beeinflusst und zu mehreren Entwürfen von Architekturstudierenden der Universität Stuttgart geführt, die wiederum vielfach interpretiert werden.
Welche Schwierigkeiten haben sich bei der Feldstudie für Sie ergeben?
Owen: Zunächst sahen wir uns mit der geografischen Anordnung Salems konfrontiert. Die Gemeinde besteht insgesamt aus elf Teilgebieten. Ein Ortskern ist nicht vorhanden – das hat Einfluss auf das Zusammengehörigkeitsgefühl in Salem. Die Gemeinde ist vor allem bekannt für das Schloss und das Internat, allerdings sind beide Sehenswürdigkeiten dezentral gelegen und damit losgelöst von der Gemeinde zu betrachten. Da es sich um ein studentisches Projekt handelt, waren wir hinsichtlich der zeitlichen Dimension auch begrenzt.
Und welche Methoden kamen in der Konsequenz zum Einsatz?
Owen: Um wirklich alle Bürger erreichen zu können, haben wir eine Tour durch die elf Ortsteile gemacht und die Bürger mit Hilfe eines zuvor entwickelten Fragebogens befragt. Damit konnten quantitative Daten ermittelt werden. Viel wichtiger war uns jedoch, qualitativ zu arbeiten, um den Befragten den größtmöglichen Spielraum an Darstellungsmöglichkeiten ihrer eigenen Wünsche einzuräumen. Dazu setzten wir neben dem klassischen Fragenbogen verschiedene Medien ein, damit die Bürger unterschiedliche Szenarien in der Gemeinde Salem nachstellen konnten. Dazu gehörten Moodboards, mit denen verschiedene Szenarien bewertet wurden und eine stilisierte Karte, bei der die Bürger selbst planerisch tätig werden konnten. Darüber hinaus führten wir persönliche Gespräche. Der nach unseren Forschungsinteressen zusammen gestellte Methodenmix konnte eine relativ große Ideenbreite generieren.
Im Anschluss wurden die Ergebnisse an die Architekturstudierenden des Stuttgarter Instituts für Raumkonzeption und Grundlagen des Entwerfens (IRGE) weiter gereicht. Welche Ihrer Erkenntnisse können als Ansatzpunkte für das weitere Vorgehen gesehen werden?
Owen: Zunächst erfolgte die Auswertung gemeinsam mit den Architekturstudierenden. Innerhalb eines zweitägigen Workshops haben wir das gesamte Datenmaterial ausgewertet und erste architektonischen Entwürfe erstellt. Im weiteren Verlauf fand ein Bürgerfest statt, bei dem die vorläufigen Ergebnisse präsentiert und erneut Meinungen der Bürger eingeholt wurden. Bei diesem Bürgerfest wurden die Ergebnisse erstmals auch der Stadtverwaltung präsentiert. Als zentraler Ansatzpunkt können die Meinungen der Bürger gegenüber des „Lebensmittelvollsortimenters“ und damit einer neuen Einkaufsmöglichkeit am Schlosssee genannt werden. Unsere Studie ergab, dass es in diesem Punkt keine klaren Haltungen gibt, sondern vielmehr Grauzonen, die in den studentischen Projekten verarbeitet werden konnten. Hier muss ein Mittelweg zwischen den Befürwortern und Gegnern gefunden werden.
Wie steht Salem diesem Prozess gegenüber?
Owen: Hinsichtlich der Partizipation ist das Bedürfnis nach solchen Prozessen sehr groß und wird von der Gemeinde Salem in großem Maße begrüßt. Der Partizipationswunsch ist da und sollte im nächsten Schritt bei der Ortsentwicklung Salem berücksichtigt und wenn möglich noch stärker genutzt werden. Derzeit gibt es Überlegungen, mit einem städtebaulichen Moderationsverfahren weiterzuarbeiten, indem auch in verschiedenen Workshops Szenarien ausgearbeitet werden können. In diesem Punkt können auch die Gewinner des Architekturwettbewerbes berücksichtigt werden.
Und wie könnte das Verfahren auch andernorts angewandt werden?
Owen: Der Wunsch nach Partizipation ist vor allem auf lokaler Ebene vorhanden, wenn die Ergebnisse direkt sichtbar sind. Dabei sollte der Bürger nicht selbst aktiv werden müssen, sondern von politischer Seite zur Partizipation angeregt und die Möglichkeit bereitgestellt werden. Die Möglichkeit von Partizipation soll als gegeben gesehen werden, damit sich der Bürger noch stärker einbringen kann. Dieses Anliegen haben wir auch in unserem Forschungsprojekt verfolgt.
Bilder: Maike Bechtel / MACH MITTE!