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Stephan Schmidt-Wulffen, leitet seit 2013 das Labor für implizites und künstlerisches Wissen der Zeppelin Universität. Er ist seit 2011 Rektor der New Design University St.Pölten. Nach einer Theaterausbildung folgte ein Studium der Philosophie, theoretische Linguistik und Kommunikationsästhetik in Köln, Konstanz und Wuppertal (1987 Promotion in Wuppertal). Von 1992 – 2000 Leitung des Kunstvereins in Hamburg, Teilzeitprofessur an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg; von 2002 bis 2011 Rektor der Akademie der bildenden Künste Wien, Dozent für ‚Geschichte des Ausstellungswesens‘. Lehrtätigkeit an in- und ausländischen Universitäten, u.a. am Bard College (NY), an der Columbia University.
Das Lehrformat "Kreative Performanz" integriert alternative Erfahrungs- und Reflexionsformen in die universitäre Lehre. Gezielt werden in Workshops künstlerischer Praxis körperliches, ästhetisches und emotionales Erfahrungswissen ausgebildet. Damit wird jenen Formen des "Wissens" und "Könnens" Rechnung getragen, welche implizit („embodied“ oder „tacit“) und damit nicht formalisierbar sind, jedoch einen großen Teil unseres Alltagsverstandes, unserer Empathie-Fähigkeit und unseres Weltzugangs ausmachen. In einer von Bildern und medialen Kommunikationsformen bestimmten Gesellschaft wird es zudem immer entscheidender auch andere sinnliche Wissensformen eigene Handlungsdispositive und eigene Lernumgebungen zu reflektieren und auszuloten.
In Kooperation mit Künstlern, Musikern, Medienpraktikern und Interaktions- und Körpertrainern wird unter Einbeziehung von Bild- und Tonmedien an Selbst- und Körperwahrnehmung sowie an der Erschließung "anderer Räume" gearbeitet. Im Vordergrund steht dabei nicht ein künstlerisches Endprodukt, sondern der kollektive Erfahrungsprozess.
Diese sehr junge Forschungsdisziplin beschäftigt sich mit der Frage, wie man Kunst und Forschung zusammen bringen, künstlerische Erfahrungen also in den akademischen Kontext übersetzen kann. Bisher beschäftigen sich nur wenige Universitäten konkret mit diesem Zusammenhang. Eine davon ist die Bauhaus-Universität in Weimar. Hier wird ein bislang einzigartiges Programm zur Angeboten, dass einen kunst- und gestaltungsspezifischen Abschluss anbietet.
Der folgende Link führt Sie zum Bericht der Analyse des Arts-Programms der Harvard-University. Diese weist künstlerische Aktivitäten von Studierenden als Zentral für die Strategie von Drew Faust (Präsidentin Harvard) aus.
Woher stammt der Anreiz das Lernformat „Kreative Performanz“ durchzuführen und warum ist es verpflichtend für alle Bachelor-Studenten?
Schmidt-Wulffen: Wir glauben, dass es eine neue Form von Intelligenz gibt, die sich unter dem Eindruck der digitalen Technologie allmählich herausbildet. Diese steht im Kontrast zu unserer wissenschaftlichen Rationalität. Die kreative Performanz ist die Einübung dieser anderen, gestalthaften Form von Intelligenz. Die Pointe dabei ist natürlich, dass sich dieses Wissen nicht begrifflich oder argumentativ gestaltet und daher auch nicht so vermittelt werden kann. Wir haben es hier mit einer unbewussten und schnelleren Art des Denkens zu tun, die mit körperlichen Erfahrungen und Handlungen verbunden ist. Um diese erfahren zu können, müssen entsprechende Situationen geschaffen werden. Hier liegt der Ansatz für das Lernformat "Kreative Performanz": Es werden verschiedene künstlerische Disziplinen angeboten, damit jeder Studierende eine für ihn interessante Weise finden kann, sich dieser Art von Wissen zu nähern. Prinzipiell scheinen die künstlerischen Disziplinen, in denen jene impliziten Erfahrungen gemacht werden, untereinander kompatibel zu sein. Es besteht kein signifikanter Unterschied, da wir auf eine gestalthafte, ästhetische Intelligenz treffen, welche nicht der Kunst vorbehalten ist. Immer mehr Managementschulen, greifen diesen Aspekt auf. An der ZU begreifen wir die "kreative Performanz" als Möglichkeit, dieses Wissen anzubinden. Damit bewegen wir uns im Feld des Practice Based Research, einer noch sehr jungen Forschungsdisziplin, welche implizites Wissen besser begreifen möchte.
Was hoffen Sie zu erforschen, wo sich implizites Wissen und Forschung doch zu widersprechen scheinen?
Schmidt-Wulffen: Ich teile Ihren Verdacht gegen die Disziplin des Practice Based Research. Doch die "Kreative Performanz" ist eine besonders interessante Form, diese umzusetzen. Unter verschiedenen Erfahrungskonstellationen, sind einige erfolgreich in dem Versuch implizites Wissen erfahrbar zu machen, andere nicht. Im Dialog mit den Künstlern werden jene Situationen fokussiert, in denen dieser Schritt gelingt. So entsteht eine Sammlung. Allerdings wäre es absurd den einen Prozess der Wissensbildung lediglich in den anderen übersetzen zu wollen. Demnach ist Ziel des Lernformates, jene signifikanten Situationen und Aufgabenstellungen ausfindig zu machen, die den Studierenden helfen, in diese andere Form der Wissensproduktion hineinzufinden.
Anhand welcher Aspekte werden die teilnehmenden Künstler ausgewählt?
Schmidt-Wulffen: Momentan ist es gar nicht so leicht, Künstler zu finden, welche an der Umsetzung unserer Arbeit teilnehmen möchten, da sie sich für eine Menge Fragen interessieren müssen, welche nicht zwangsläufig mit ihrer sonstigen Arbeit zusammenhängen. Auch sind viele dieser Künstler schlicht ausgebucht. Ich verlasse mich also stark auf meine Kontakte. Auch versuche ich viele Gattungen zu berücksichtigen, um den diversen Interessen der Studierenden entgegenzukommen. Es gilt hier durchaus noch zu improvisieren, da keine rein rhetorischen Kurse gewünscht sind. In diesen scheint mir die Form der Erfahrung nicht komplex genug. Ich hoffe, dass manche Künstler auf Dauer ein Interesse an dem Forschungsaspekt gewinnen und daher immer wieder teilnehmen. Sie machen schnell Beobachtungen, von denen unsere Forschung profitieren kann und ich habe die Hoffnung, dass sich mit zunehmend häufiger Teilnahme der einzelnen Künstler diese Beobachtungen entwickeln werden. Beispielsweise bemerkten sie bereits eine sehr große Zweckorientierung der Studierenden, welche durch die Bologna-Umstrukturierung zu kommen scheint. Die Frage nach Sinn und Zweck des Lernformates wird sehr häufig gestellt, die Ungeduld eine unerwartete Erfahrung zu bearbeiten ist groß und sehr hinderlich.
Was sagen Sie denjenigen, die Ihrer Arbeit skeptisch gegenüberstehen?
Schmidt-Wulffen: Vor allem die Wirtschaftswissenschaftler forderten eine 1:1-Übersetzung des Nutzens des Lernformates von mir. Ich habe sie gebeten, sich mit Studien der Harvard University auseinander zu setzen, welche davon ausgeht, dass ein großer Teil der Entscheidungen von Top-Managern intuitiv sind. Universitäten haben den Prozess der impliziten Wissensbildung bisher sanktioniert und unterdrückt, dabei spielt er im Beruf eine große Rolle. Aus der Entwicklung der Wissenschaften und des abendländischen Denkens entstand ein Forschungsbegriff, der auf analytischem, synthetisches Denken basiert und jenes assoziativ operierende Denken verdrängt hat. Doch dies wandelt sich. Auch ist die Kunst lediglich eine Möglichkeit implizites Wissen zu erfahren. Es gibt andere Anwendungsbereich, beispielsweise in der Forschung. Der Experimentator im Labor braucht eine künstlerische Ader, um das Misslingen eines Experimentes innovativ in einen neuen Impuls zu verwandeln. Es erfordert intuitives Gespür für den Stand des jeweiligen wissenschaftlichen Diskurses, um sich in seinen Überlegungen zum nächsten experimentellen Schritt orientieren zu können. Dabei entsteht der Gedanke, dass die Experimentalpraxis sich künstlerischer Arbeit stark annähert. Diesen gibt es schon viel zu lange, ohne dass jemand wirklich daran forscht. Wissenschaft ist auch eine Kunst und dieser Zusammenhang wird immer expliziter.
Fotos: ZU/Immanuel Grosser