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Die Bestuhlung im Foyer der Zeppelin Universität ist dreigeteilt. Von der Bühne aus gesehen rechts turnt ein Fotograf durch die Stuhlreihen und lässt seine Kamera klicken; außerdem tippt dort ein Journalist Notizen in seinen Laptop, aus denen später dieser Text entstehen wird. Im zentralen Block sitzen die eigentlichen Gäste der Veranstaltung: Zahlreiche Familienunternehmer und Konzernmitarbeiter haben sich zuvor einen Tag in Workshops mit dem Thema Fachkräftemangel beschäftigt und lauschen nun den fünf Diskutanten auf dem Podium.
Einer dieser Diskutanten ist Stephan A. Jansen. Der Präsident der Zeppelin Universität wendet sich gleich zu Beginn an die Zuhörer im verbleibenden dritten Block links der Bühne: rund dreißig Teilnehmer des „Pioneers wanted“, also Bewerber für ein Studium an der ZU. „Wer von Ihnen kommt aus der Region?“, fragt Jansen und zählt die sich emporstreckenden Hände: „Vier, und einer weiß es offenbar nicht so genau.“
Dann stellt er die entscheidende Frage: „Und wer von Ihnen kann sich vorstellen, nach dem Studium in Friedrichshafen zu bleiben?“ Zögernd melden sich zwei Bewerber. Und liefern damit die – zumindest anekdotische – Evidenz, warum eine Veranstaltung wie diese – zumindest aus Sicht der regionalen Familienunternehmen – nötig ist.
Denn auch wenn es sich nur um eine nicht repräsentative Stichprobe handelte, das Ergebnis ist durchaus repräsentativ. „Die Bodensee-Region ist nicht allzu attraktiv für junge Leute“, bilanzierte Jansen. „Wenn überhaupt, dann entwickelt sich der Wunsch hierzubleiben erst während des Studiums. Nur ganz wenige unserer Studenten ziehen hierher, um langfristig am Bodensee zu leben und zu arbeiten.“
Das Leben in Berlin, München oder Hamburg gilt als hip, und auch kleinere Städte wie Heidelberg oder Tübingen ziehen mit ihrem Ruf als Studentenstädte etliche junge Menschen an. Friedrichshafen dagegen ist… nun ja, eben Friedrichshafen. Wie also kann es gelingen, die Bodensee-Region in einen „Talentmagnet“ zu verwandeln?
Diesen Begriff benutzte Thomas Sattelberger, Vorstandsvorsitzender der ZU-Stiftung und ehemaliger Personalvorstand der Deutschen Telekom AG, und versuchte sich selbst an einer Antwort: „Jungen Menschen muss es Spaß machen, hier zu sein. Skifahren in den Bergen und Schwimmen im See alleine sind keine überzeugenden Argumente. Die Region muss ihr muffiges Image ablegen, wir brauchen eine Gründerszene und mehr Pioniergeist.“ Dabei seien natürlich die mittelständischen Unternehmer gefordert – letztendlich könne das Ziel aber nur gemeinsam erreicht werden: „Es braucht Investitionen in Kultur und Infrastruktur“, appellierte Sattelberger und forderte – mittlerweile ein ZU-interner Running Gag, wie Moderator Tim Göbel erklärte – zum wiederholten Mal „ein vernünftiges Bahnhofsdach, damit man nicht immer nass wird, wenn man mit dem Zug kommt.“
Gegen einen zuverlässigeren Schlechtwetterschutz am Friedrichshafener Stadtbahnhof hätte Helmut Hirner wohl auch nichts einzuwenden. Doch der grundlegenden These Sattelbergers widersprach er: „Ich weiß gar nicht, was der Region fehlen sollte“, bekannte der Sprecher des Wirtschaftsrat für die Sektion Friedrichshafen. „Wir haben doch alles, was das Herz begehrt: beste Bildungsmöglichkeiten und eine traumhafte Landschaft.“
Und dennoch, da war er sich mit Sattelberger einig, gebe es gewaltigen Bedarf an gut ausgebildetem Nachwuchs. Um den zukünftigen Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen, sei man zwingend auf Zuwanderung angewiesen: „Wir müssen noch deutlicher auf unsere Stärken aufmerksam machen und uns für Menschen aus anderen Regionen öffnen – sogar für die aus Bayern.“
Die ausbaufähige Kommunikation der Stärken als größte Schwäche und sonst alles prima? Die studentische Vizepräsidentin der ZU, Michelle Mallwitz, sah das etwas anders. Sie habe schon oft mit Kommilitonen darüber gesprochen, wie attraktiv die Bodensee-Region für Menschen ihrer Generation sei. „Wenn ich die Frau gefunden habe, mit der ich Kinder bekommen will, komme ich wieder zurück“, zitierte Mallwitz einen Freund von ihr. Diese Aussage bringe das Problem auf den Punkt. Schön sei es hier ja, aber Gleichaltrige treffe man eher woanders: „Es gibt einfach kaum junges, kulturelles Leben. Das ist ein ganz entscheidendes Kriterium für mich und meine Generation.“
Dieses Stichwort nutzten die fünf Männer auf dem Podium, um über die sogenannte Generation Y zu räsonieren und sich zu fragen, was junge Menschen heutzutage von ihren Arbeitgebern wohl erwarten würden. „Sensemaking“ statt zwangsläufigem Karriereaufstieg lautete die These von Stephan Jansen: „Wer seinen Arbeitnehmern keinen Sinn bietet, dem laufen die Leute davon.“ Eine Aussage, der sich Thomas Sattelberger anschloss und betonte, dass dieser Wunsch kein Spezifikum der Generation Y sei: „Das gilt für Junge wie für Alte. Auch deshalb würde ich mittlerweile nicht mehr von Arbeitnehmern sprechen. ‚Unternehmensbürger‘ beschreibt das Verhältnis zwischen Firmen und Mitarbeitern viel besser.“
Peter Jany wies als Vertreter der IHK darauf hin, dass mit Generation Y nur ein kleiner, elitärer Zirkel beschrieben werde. Tatsächlich brauche es ebenso Handwerker und Absolventen anderer Ausbildungsberufe: „In der Bodensee Region fehlen momentan 1.500 Akademiker – aber gleichzeitig 8.500 Facharbeiter.“ Und die würden ganz andere Ansprüche stellen: Gehalt und Jobsicherheit seien den meisten Facharbeitern am wichtigsten, während die Generation Y vor allem nach Freiheit und Selbstverwirklichung strebe.
An dieser Stelle schaltete sich mit Michelle Mallwitz die einzige Vertreterin der Generation Y in die Diskussion über eben jene Generation Y ein und bekannte: „Um ehrlich zu sein tue ich mich schwer mit dieser Zuschreibung. Vor kurzem war ich noch Generation Praktikum und hatte schlechte Jobaussichten. Jetzt soll ich plötzlich Generation Y sein, nach der sich angeblich alle Firmen die Finger lecken. So ganz kann ich das noch nicht glauben.“
Diese leise Kritik schien die restlichen Diskutanten zu überzeugen. Statt der weiteren Psychologisierung der Generation Y widmeten sie sich abschließend der Frage, welchen Beitrag Universitäten zum Kampf gegen den Fachkräftemangel leisten könnten. „Wir müssen Brückenbauer zwischen Ausbildungs- und Praxisdimension werden“, forderte Jansen und wehrte sich gleichzeitig dagegen, von Unternehmen als reine „Arbeitsmarktzertifikationsmaschinen“ angesehen zu werden.
Das drängendste Problem der nächsten Jahre sei die Herkunftsabhängigkeit im deutschen Bildungssystem: „Eine OECD-Studie nach der anderen haut uns das um die Ohren, mittlerweile haben wir uns sogar eine offizielle Rüge vom UN-Vertreter eingehandelt.“ Genauso wichtig wie qualifizierte Zuwanderung sei es, das vorhandene Potential auszureizen. „An der ZU versuchen wir, zum Beispiel mit unseren Diversitätsstipendien, junge Menschen für ein Studium zu gewinnen, die keinen typisch akademischen Hintergrund haben. Aber das sind nur kleine Schritte, und der Weg hin zu mehr Diversität und Bildungsgerechtigkeit ist leider noch sehr lang.“
Titelfoto & Zeichnung: Tanja Föhr (CC BY-NC-SA 2.0)
Text: wissenschaftsjahr (CC BY 2.0) | INSM (CC BY-ND 2.0)| Florian Gehm