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Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just-in-Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt.
Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
Derzeit liegt das frühstmögliche Renteneintrittsalter der Lufthansa-Piloten bei 55, der Durchschnitt bei ca. 59 Jahren. Diese Untergrenze will die Konzernführung nun auf 60 Jahre anheben, wobei nur Mitarbeiter mit weniger als 30 Dienstjahren betroffen sind. Für jedes fehlende Dienstjahr soll das Eintrittsalter um 2 Monate erhöht werden. Noch ist das frühe Ausscheiden aus dem Dienst ein Privileg der Lufthansa-Piloten, für das Cockpitpersonal der Tochterunternehmen Lufthansa Cargo und Germanwings gilt bereits eine Altersgrenze von 60 Jahren. Der Konzern begründet die Umstrukturierungspläne mit Kostensenkungsbedarf und langfristiger Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit.
Die Pilotenvereinigung Cockpit hält die Übergangsversorgung dagegen für kostenneutral und wirft der Lufthansa Betrug an ihren Mitarbeitern vor. Sie beruft sich auf die körperlichen Anstrengungen, wie z.B. lange Arbeitszeiten, Zeitverschiebung oder Strahlenbelastung, und verlangt die Beibehaltung des "individuellen" Versorgungssystems. Es habe keine Angebote seitens der Unternehmensführung gegeben und auch weitere Verhandlungen seien nicht kompromissorientiert, argumentiert die "VC".
Im Alter von 55 Jahren mit 60% des letzten Gehaltes in den bezahlten Vorruhestand gehen - wie zeitgemäß ist diese Form der Übergangsversorgung?
Prof. Dr. Alexander Eisenkopf: Auch wenn das tatsächliche Renteneintrittsalter der Lufthansa-Piloten bei ca. 59 Jahren liegt, erscheinen solche Privilegien unzeitgemäß.
Allein die Streiks im September und Oktober betrafen tausende Reisende weltweit und dürften die Lufthansa einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Wie bewerten Sie das Verhalten von Konzernvorstand und Gewerkschaft?
Eisenkopf: Wir wissen, dass gut organisierte Spartengewerkschaften wie die Pilotengewerkschaft Cockpit über ein erhebliches Machtpotential verfügen, das sie ausspielen, um Partikularinteressen durchzusetzen. Das Lufthansa-Management muss dem entgegenhalten, um die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Existenz und die Arbeitsplätze aller Mitarbeiter zu sichern.
Die Umsatzeinbußen der Lufthansa nicht berücksichtigend, welche ökonomischen Folgen ergeben sich aus diesen Streikwellen?
Eisenkopf: Seit einiger Zeit ist die Zahl von Arbeitskämpfen im Verkehrssektor, vor allem aufgrund der gestiegene Streikbereitschaft kurzfristig nicht ersetzbarer Spezialisten in Monopolbereichen (z.B. Piloten, Lokführer, Fluglotsen, Schleusenwärter), erheblich angestiegen. Bei solchen Streiks werden mitunter erhebliche Schädigungen unbeteiligter Dritter bewusst in Kauf genommen. Z.B. werden Passagiere, die kurzfristig nicht auf andere Verkehrsmittel ausweichen können, quasi in „Geiselhaft“ genommen. Angesichts der starken internationalen Vernetzung der Verkehrssysteme kommt es im Streikfall zudem regelmäßig zu negativen grenz-überschreitenden Externalitäten in erheblichem Ausmaß.
Schadet sich das streikende Flugpersonal am Ende selbst?
Eisenkopf: Ein schlechteres Image und Schelte in der Öffentlichkeit lassen sich bei mehr Geld auf dem Konto durchaus ertragen.
In Frankreich konnte sich AirFrance zeitweise schneller mit ihren Piloten einigen. Worin liegen die Unterschiede zur Situation der LH?
Eisenkopf: Bisher gibt es dort keine abschließende Einigung mit den Piloten. Das Problem wurde lediglich vertagt. Der zweiwöchige Streik der Air France-Piloten hat die Air France nach eigenen Schätzungen fast eine halbe Milliarde Euro gekostet. Dagegen sind die Streikfolgen bei der Lufthansa derzeit noch überschaubar.
Welche Auswirkungen hat die starke internationale Konkurrenz, primär aus Asien und den Emiraten, auf die Verhandlungsstrategie der Lufthansa?
Eisenkopf: Der härter gewordene Wettbewerb zwingt das Management zu einer konsequenten Verhandlungsstrategie gegenüber den Piloten, denn man muss ja das Gesamtunternehmensinteresse im Blick haben.
Ist der Konflikt, den wir derzeit erleben, symptomatisch für den Zustand des deutschen Luftverkehrs? Sind derartige Situationen auch bei anderen Fluggesellschaften abzusehen?
Eisenkopf: Nein. Aber er ist symptomatisch für andere Erbhöfe an monopolistischen Schaltstellen im Verkehrssektor (z.B. Fluglotsen und Lokführer) mit überkommenen Privilegien.
Was erwarten Sie sich von den folgenden Verhandlungen? Ist eine Einigung wahrscheinlich oder dürfen sich Flugreisende auch in Zukunft auf Flugausfälle einstellen?
Eisenkopf: Bis zu einer endgültigen Einigung ist noch mit zahlreichen Streikaktionen zu rechnen. Spieltheoretisch befinden wir uns in einer Situation, in der weder das Management noch die Gewerkschaft nachgeben darf. Letztere würde bei zu frühem Einlenken ihre Existenzberechtigung in Frage stellen. So wird ein Verteilungskampf zu Lasten Dritter, nämlich der Passagiere, inszeniert.
Titelbild: angeloangelo / flickr.com (CC-BY 2.0)
Bilder im Text: Felix Lennart Hake
Vereinigung Cockpit (Pressematerial)