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Veronika Caspers studierte von 1986 bis 1992 Anglistik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung an der Universität Bonn und an der Ohio University in Athens, Ohio. In Bonn promovierte sie zum Thema politische und religiöse Rhetorik. Sie arbeitet heute freiberuflich als Dozentin, u.a. an der Berufsakademie Ravensburg, und als Sprach-Koordinatorin an der Zeppelin Universität. Zu ihren Interessen gehören Sprachgeschichte, Semantik und Pragmatik.
Warum haben Sie das Wort ausgewählt?
Dr. Veronika Caspers: Sprache ist ein Medium, das wir täglich und wie selbstverständlich verwenden. Aber Sprache ist auch das Medium, ohne das der Kontakt zu unseren Mitmenschen und unserer dinglichen Umwelt nicht möglich ist.
Ein Buchtitel aus meiner Studienzeit ist mir nie aus dem Kopf gegangen: „Language – the Loaded Weapon“. Wir sollten uns deutlich machen, dass Sprache genau das sein kann: eine Waffe, ein Mittel der Manipulation unseren Mitmenschen gegenüber. Und genau deshalb spielt sie eine so entscheidende Rolle. Selbst ein freundlich scheinender Kommentar wie „This is an interesting idea, but…“ ist ja in Wirklichkeit eine harsche Kritik und Ausdruck, dass diese Idee verworfen wird. Wir sollten also unseren Sprachgebrauch genauer reflektieren. Die Verletzung, die von einer Äußerung ausgehen kann, liegt nicht notwendigerweise in der Intention des Senders, sondern in der Art, wie der Empfänger sie interpretiert.
Ohne Sprache können wir nicht nur kein Verhältnis zu unseren Mitmenschen aufbauen, auch unsere Umwelt erschließen wir uns sprachlich, indem wir Dingen Bezeichnungen geben. Kinder lernen den Zusammenhang zwischen Dingen und ihren Denotationen im Rahmen des Spracherwerbs, bei Jugendlichen und Erwachsenen erfolgt diese Verbindung durch mehr oder weniger strukturiertes Lernen – und mehr oder weniger erfolgreich.
Es ist einer der faszinierenden Aspekte des Sprachenunterrichts, dass Muttersprachler in der Regel ihre Sprache korrekt beherrschen, Lerner einer Fremdsprache oft aber die grammatikalischen (z.B. syntaktischen) Regeln besser kennen als Muttersprachler, sie aber nicht anwenden. Eines der Rätsel, das sich für mich wahrscheinlich nie lösen wird, ist die Frage, wie es sein kann, dass Lerner eine „inkorrekte Form“, z.B. eine falsche Zeit, verwenden, aber auf Nachfrage die richtige Regel nennen.
In welchem wissenschaftlichen Zusammenhang haben Sie das Wort zuletzt benutzt?
Caspers: Im Kontext von „Academic English“. Im Fall von Englisch spielt das gewählte Register eine entscheidende Rolle, und das gilt besonders für den wissenschaftlichen Bereich. Das Englische unterscheidet zwischen einem formellen Register mit entsprechendem Wortschatz (oft mit Lehnwörtern aus romanischen Sprachen) und hypotaktischem Stil einerseits und einem "Colloquial Register" (meist mit Wörtern germanischen Ursprungs). Und dieses "Colloquial Register" ist den meisten bekannt. Die Unterschiede zu einem Sprachgebrauch, wie er im Arbeitskontext (Business English) verwendet wird, sind den meisten Lernern eines mittleren bis hohen Sprachniveaus auch noch bekannt. Das akademische Register hingegen muss wie neue Vokabeln gelernt werden. Und genau das ist oft das Problem: Da unsere Studierenden ja „Englisch können“, wie sie in Praktika, Auslandsaufenthalten, usw. bewiesen haben, fehlt oft die Erkenntnis, dass die von ihnen bisher verwendete Form der Sprache für wissenschaftliche Kontexte nicht angemessen ist. Auch metasprachliche Aspekte kommen hinzu: Nicht umsonst beschreibt die höchste Ebene des Sprachgebrauchs nach dem Europäischen Referenzrahmen, das Niveau C2, ein Sprachniveau, „auf dem man Philosophie studieren könnte“.
Was braucht man „wirklich“, um eine Sprache zu erlernen? Grammatik, Vokabular?
Caspers: Was ist eigentlich Grammatik? Die meisten verstehen sie präskriptiv, d.h. die Grammatik regelt, wie wir sprechen sollen. Tatsächlich ist die Grammatik in der Linguistik jedoch deskriptiv, d.h. sie beschreibt den tatsächlichen Sprachgebrauch der Muttersprachler. Die Regeln der Syntax (Satzbau) und Morphologie (Wortbildung) ändern sich nur sehr langsam, das Vokabular einer Sprache ändert sich dagegen schneller – wie wir an all den neuen Bezeichnungen für technische Entwicklungen sehen. Also doch eher Vokabeln lernen als Grammatik?
Jahrelang war das Motto des modernen Fremdsprachenunterrichts: „fluency before accuracy“. Es war somit das Ziel, Kursteilnehmer möglichst zum Sprechen zu animieren, wichtig war lediglich die Verständlichkeit. Was sollte an einem Satz wie „You sign contract here, we always friends“ schon falsch sein? Beide Seiten verstehen sich doch. Der Schwerpunkt lag somit deutlich auf dem Vokabular. Das Ergebnis war die Entstehung einer neuen Weltsprache: "broken English".
An die Stelle des „korrekten“ Sprachgebrauchs (der den syntaktischen, morphologischen usw. Regeln folgt) rückte somit der „angemessene“ Sprachgebrauch – und dann kann ein Satz wie der oben genannte durchaus den Regeln der Grammatik widersprechen, aber trotzdem angemessen sein.
Was sollen Prüfungen messen (können)?
Caspers: Offensichtlich kann es nicht das Ziel einer akademischen Fremdsprachenausbildung sein, Studierenden einen Sprachgebrauch beizubringen, der zwar situativ angemessenen ist, aber nicht den grammatikalischen Beschreibungsregeln der Sprache entspricht. In Prüfungsleistungen prüfen wir somit beides, denn in bestimmten Situationen wie z.B. dem „Academic English“ zeichnet sich das Register sowohl durch Korrektheit in Syntax, Morphologie, usw. als auch durch „appropriateness“ im Wortschatz aus. Und gerade das Beispiel des wissenschaftliche Sprachgebrauchs zeigt sehr deutlich, dass dies ein Gebrauch der Sprache ist, der formal gelernt wird – denn nicht jeder beherrscht die wissenschaftliche Ausdrucksweise seiner Muttersprache.
Titelbild: Stéfan / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0)
Bilder im Text: Lars Plougmann / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0); gravitat-OFF / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0); Flazingo Photos / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0); Daniel Silliman / flickr.com (CC-BY-NC-ND 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Maria Tzankow & Florian Gehm