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Raimar Stange, wurde 1960 in Hannover geboren, studierte dann Literaturwissenschaften und Philosophie. Er lebt und arbeitet als freier Kurator und Kritiker in Berlin und Wien und ist Korrespondent für diverse Zeitschriften und Zeitungen, wie etwa die Kunst-Bulletin oder das Spike-Magazin. Weiterhin musiziert Stange als Bassist im Art Critics Orchestra.
Für Kunstkurator und Autor Raimar Stange ist die Figur des Fans höchst ambivalent. Er zeichnet sich nicht nur durch die Nutzung von Popkultur aus, sondern er ist auch „jemand, der diese Nutzung in Form von Identifikation für seine auktoriale Konstruktion von Identität einzusetzen versucht“, so Stange. Unter Identität versteht Stange keinen biologisch vorgegeben oder starren Kern. Die Identität setzt sich vielmehr aus verschiedenen Seiten zusammen und formt somit etwas Multiples. So ist der Einzelne etwa nicht nur zuverlässiger Arbeitskollege und liebevoller Vater, sondern gleichzeitig passionierter Rolling Stones-Fan und Motorradfahrer. Das eine schließt das andere nicht aus, was wiederum bedeutet: Die Tatsache, dass man Rihanna-Fan ist, ihre Musik hört und sich wie sie kleidet, hat sehr wohl Einfluss auf die eigene Identität.
Dies widerspricht einem Fan-Bild, das diesen als passiven und unreflektierten Rezipienten darstellt. Laut Stange wurzeln diese gegensätzlichen Darstellungen der Figur des Fans in verschiedenen theoretischen Ansätzen. Auf der einen Seite steht die Schule des Behaviorismus, die mit ihrem berühmten Beispiel, dem Pawlowschen Hund, die klassische Konditionierung preist. Auf den Fan übertragen bedeutet dies: Der Star agiert, der Fan reagiert - reflexartig und gedankenlos. Auf der anderen Seite sprechen die Vertreter der Cultural Studies oder etwa der Philosoph Jacques Rancière dem Einzelnen zu, als Fan zu „sehen, fühlen und verstehen“ und sich dadurch ein eigenes Gesicht zusammenstellen. Es herrscht vielmehr ein diskursives Spiel zwischen Star und seinen Anhängern.
Die ambivalente Rolle des Fans stellt Stange pointiert am Bild des Papageien dar. In älteren Kulturen galt der Papagei als heilig, „weil er dort als sprechendes und dressiert zutrauliches Tier für ein harmonisches Verhältnis von Kultur und Natur“ stand. Heutzutage ist dieses Tier vielmehr Sinnbild für Eitelkeit geworden, da es über Dinge redet, von denen es angeblich keine Ahnung hat, und nur nachplappert.
Wie spielerisch mit der Trennlinie zwischen passivem und aktivem Fandom umgegangen werden kann, zeigt Stange an den Videoinstallationen der in Berlin lebenden Künstlerin Candice Breitz auf. Sie beschäftigt sich in ihren Arbeiten vorwiegend mit der Frage, welchen Einfluss Popmusik auf das Leben der Rezipienten hat. So castete sie in einer öffentlichen Ausschreibung für eine Videoinstallation 30 Madonna-Fans, die einzeln vor laufender Kamera Madonnas Hit „Like a Prayer“ sangen.
Laut Stange stellt diese Installation gleich zwei Portraits dar: das des Fans sowie das des Künstlers, betrachtet durch die Augen seines Fans. Gleichzeitig ist es ein Beispiel für den aktiven Rezipienten. Zum einen singen alle Fans eine eigene Interpretation von Madonnas Hit – mal schief, mal mit mehr oder weniger Enthusiasmus, aber es ist ihre eigene Variante. Zum anderen fällt der Kleidungsstil einiger Fans auf, da sie stark der Madonna der 1980er Jahre ähneln – blondierte Korkenzieherlocken, viele Ketten und tief ausgeschnittene Oberteile. Dies deutet Stange als identitätsstiftendes Indiz für die Verbindung von Fan und Star. Die Madonna der 1980er Jahre war „lust- und fantasievoll“, sie stand für den Widerstand gegen Rollenklischees von Frau und Mann und war besonders in der Schwulenbewegung einflussreich. „Natürlich machen diese Fans noch persönliche Erfahrungen, die nichts mit Madonna zu tun haben“, so Stange. Aber sie kann ein Anstoß für das Ausleben dieser Erfahrungen gewesen sein und die Möglichkeiten, die jemand sein kann, erweitert haben.
Ob der Fan sich allerdings auch heutzutage noch genauso selbst verwirklichen kann – wie etwa die Teilnehmer in Breitz Videoinstallation – stellt Stange in Frage. Er konstatiert vielmehr die Mutation des aktiven Fans hin zu einem nachplappernden Papageien. Das Fan-Dasein werde „nicht mehr aktiv verkörpert, sondern passiv kopiert.“ Es käme oftmals nur noch zu einer reproduktiven und keiner produktiven Verwandlung. Der Fan wird zum eigenen Klischee, in dem er genau das erfüllt, was man von ihm erwartet. Auch hier bezieht sich Stange auf ein weiteres Werk der in Südafrika geborenen Künstlern Breitz. Für das Foto „Abba Monument“ sollten sich selbst ernannte Fans der schwedischen Popgruppe ABBA in Szene setzen. Was man letztendlich sieht, sind in Merchandising-Artikel gekleidete Fans, die in typischen Fanposen – in die Luft gerissene Arme – in die Kamera grinsen. Für Stange wirkt dies „künstlich, albern und selbstdarstellend.“ Es gehe immer mehr um das Image und wie man auch als Fan auf sein Gegenüber wirke.
Gerade das Problem des Images wird durch die neuen Medien und sozialen Netzwerke gefördert. Die zwischenmenschliche Komponente fällt immer mehr weg, man kommuniziert nur noch via und mit Bildern. „Wir sehen nur noch Bilder von Bildern“, sagt Stange. Auch hier wird der Einzelne wieder zur Reproduktion und sogar zur „Prothese des Computers“. Für das Verhältnis zwischen Star und Fan fehlt somit immer mehr eine Schnittstelle, die identitätsstiftende Momente schafft.
Das Verschwinden des aktiven Rezipienten ist aber nicht nur ein Phänomen des Fandoms, sondern eins der „Postdemokratie“. Diese sei laut Stange durch permanente Inszenierung charakterisiert, wobei die eigentlich treibenden Kräfte der permanente Konsum und der sich ausbreitende Kapitalismus sind. Diesen Zeitgeist findet Stange exemplarisch in der aktuellsten Sinalco-Werbung, in der alle Darsteller „Die Sinalco schmeckt“ nachplappern, sich nur über die Ware definieren und mit ihr identifizieren. „Es ist kein lustvolles Miteinander erkennbar, alle sind gleichgeschaltet“, konstatiert Stange.
Wohin der Weg führen wird, weiß er allerdings auch nicht. Genauso stellt sich die Frage, ob sich das Fan-Dasein vor dreißig Jahren von den heutigen von Stange dargestellten Dimensionen so drastisch unterscheidet. Auch damals hatte nicht jeder Beatles- oder Madonna-Fan die Gelegenheit, sein Idol live und in Farbe zu sehen. Auch können soziale Netzwerke und die neuen Medien bis dahin ungeahnte identitätsstiftende Möglichkeiten schaffen, indem die Follower dem Idol bei Twitter minutiös folgen oder sich in Foren mit der Community über sein Vorbild austauschen. Zudem stellt sich die Frage, ob das Problem des passiven Rezipienten möglicherweise nur für personenfixiertes Fandom gilt und nicht für andere Formen. Wie viele Harry Potter-Fans gibt es, die vergeblich auf einen Brief aus Hogwarts warten, und Frauen, die nach dem Schauen von „Friends“-Folgen zum Friseur rannten, um sich den Haarschnitt von Rachel verpassen zu lassen.
Titelbild: Kmeron / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bilder im Text: Karen van den Berg / Zeppelin Universität
Farrukh / flickr.com (CC BY-NC 2.0)
Sara B. / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Grimme Online Award / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm und Alina Zimmermann