ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Nach seinem Studium zum Diplom-Kaufmann promovierte Kormann 1968 mit Auszeichnung an der Universität Erlangen-Nürnberg zum Thema "Die Steuerpolitik der internationalen Unternehmen". Danach war er zunächst als Unternehmensberater tätig, bevor er als Vorstand für Finanzen und Controlling in die Geschäftsführung der heutigen Voith AG wechselte. Nach seiner achtjährigen Amtszeit als Vorstandsvorsitzender übernahm er 2008 mehrere Honorarprofessuren, darunter an der Universität Leipzig und der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.
Die deutsche Sprache, die sonst so differenziert ist, erzählt Kormann, hat nur einen Begriff für Glück. Jede andere Sprache – sei es griechisch, lateinisch oder englisch - hat mehrere. Der jeweilige Sprachgebrauch verdeutlicht die unterschiedlichen Konzepte von Glück, ergänzt ein Mitdenker aus dem Publikum: „`Glück haben´ im Deutschen zeigt einen Besitzstand an. Im Amerikanischen gibt es den `Pursuit of happiness`: Glück ist im Grundverständnis der Amerikaner verfolgbar. Die Franzosen haben eine weniger gehetzte Einstellung. Sie sprechen von der `bonheur´, also der glücklichen Stunde, und verstehen Glück als einen Zustand, der kommt und geht. Das sind also ganz unterschiedliche Arten, auf Glück zu schauen."
Glück hat viele Facetten. Glück mag empfinden, wer mit seiner Situation und seinem Leben zufrieden ist. Das sei eine passive Spielart von Glück. Kormann geht es im Zusammenhang mit Unternehmensstrategien mehr um das Zufallsglück. Seine Ausgangs-Hypothese: Wirtschaftlicher Erfolg hängt nicht nur von einer guten Geschäftsidee, einem vorhandenen Bedarf oder unternehmerischem Know-how ab, sondern auch vom glücklichen Zufall. Start-ups bzw. Unternehmensgründer brauchen bei ihrem Vorhaben zweimal Glück, ist Kormann überzeugt, "einmal Glück für den Start: Also wir brauchen eine `Idea´ und einen `Need´. Nur dann können wir eine Innovation geschäftlich umsetzen. Und dann braucht man nochmal Glück in der Umsetzung." Über qualitative Erhebungen in ganz Deutschland will er herausfinden, welche Management-Aufgaben sich aus dieser Perspektive ableiten lassen. Work in Progress.
Kormanns Argumente für die Existenz des glücklichen Zufalls in unternehmerischen Erfolgsstories sind ganz konkret. Er illustriert seine Sichtweise mit Fällen aus der Wirtschaftsgeschichte. Robert Bosch beispielsweise hatte in den ersten Jahren seines Unternehmens nicht die zündende Idee, die ihn für viele Jahrzehnte zum weltweit größten Automobilzulieferer machen sollte. Eigentlich wollte der Ingeneur und Erfinder seine Firma zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar veräußern. Wie der Zufall es wollte, kam dieser Verkauf aber nie zustande:
Ein europäischer Manager, beschreibt Kormann, sitzt nicht da, dreht Däumchen und wartet darauf, dass das Glück an die Tür klopft und den unternehmerischen Erfolg bringt. Der Manager muss agieren, optimieren, immer. Das bekommt er so beigebracht. Wie viel Umsatz sein Unternehmen auch abwirft, wie stark es auch expandiert, es geht immer noch besser. Dies sei eine typisch europäische Unternehmer-Mentalität, erklärt Kormann, und vergleicht dieses Verständnis von Glück in der Strategie mit dem der Chinesen. Die verhalten sich im Glücksfall nämlich gänzlich anders:
Jeder hat Erfahrungen mit Glück - sei es im privaten oder im geschäftlichen Bereich. Genau diese nutzt Kormann für seine Studie. Und machte die Zuhörer seiner Sommerfest-Veranstaltung zu Fallgebern, um den Zusammenhang zwischen Glück und Strategie zu systematisieren. "Wann hatten Sie Glück?" Mit dieser Frage richtete er sich an sein Publikum und löste damit einen lebhaften Austausch aus. Das Ergebnis sind die Take-Home-Empfehlungen, die zeigen, wie man (auch unternehmerisch) dem Glück auf die Sprünge helfen kann. Die folgenden Absätze erzählen einzelne Stories und fassen fünf gemeinsam erarbeitete Ideen zusammen.
"Wir haben während des Studiums ein Unternehmen gegründet, einen Businessplan geschrieben für das erste Geschäftsjahr, den natürlich auch an Investoren kommuniziert, und hatten dann die Nachfrage im Januar deutlich überschätzt, hatten keinen Erfolg mit diversen Marketing-Kampagnen. Aber: Das Grundrauschen der PR hat funktioniert, ein großer Fernsehsender ist auf uns aufmerksam geworden und hat eine große Reportage über uns gebracht. Und obwohl alle Kampagnen gescheitert waren, hatten wir so einen herausragenden Monat. Der ist so nicht replizierbar, wir hatten in der Situation aber großes Glück, weil wir den Investoren sagen konnten, dass wir die Zahlen weit übertroffen haben."
Wichtige Regel, um das Glück zu provozieren: Nicht stehenbleiben und passiv werden. Man muss immer etwas tun. Kormann: "Und weil ich eben nicht genau weiß, was funktioniert, muss ich möglichst viel tun."
Glück haben ist keine Selbstverständlichkeit. Der bewusste Umgang mit dem Glück ist eine notwendige Voraussetzung, um produktiv mit diesem Zufallsfaktor umzugehen:
Kormann: "Das Normale ist nicht das Glück. Das Normale ist das Scheitern. Da gibt es auch eine Fehlsichtigkeit in der Forschung, weil die Interviews für die Forschung immer nur diejenigen geben, die Glück gehabt haben. Der gescheiterte Unternehmer gibt keine Interviews. Deswegen unterschätzen wir den Anteil des Scheiterns."
Idee aus dem Publikum: "Planen wir doch einfach mal das Unglück, oder gehen wir davon aus, dass es passiert. Im Unglück selber stecken schon so viele Chancen, dass man, wenn man darauf vorbereitet ist, schon wieder sehr viel Glück haben kann. Und außerdem ist man dann nicht so unglücklich, wenn das Unglück passiert. Rechne mit dem Unglück."
"Ich bin Arzt und wollte unbedingt an einer Universitätsklinik Ausbildung machen, weil ich wusste: Das ist die beste Ausbildung. Es war aber klar, dass in Freiburg, wo ich unbedingt hinwollte, auf dem Schreibtisch des Professors immer 50 Bewerbungen hin- und hergehen und man eigentlich keine Chance hat. Ich hab aber gesagt: `Ich will dahin´. Und dann bin ich einfach hingegangen, hab bei dem Prof an die Bürotür geklopft und gesagt: `Ich will hierher.´ Und da hat er gesagt: `Wenn Sie nächste Woche anfangen können, dann brauch ich diese 50 Dinger nicht durchzulesen.´ Und deswegen bin ich jetzt dort Arzt geworden, wo ich es wollte."
Kormann: "Hilfreiche Menschen durch Zufall kennenlernen und sie an sich binden. Akquisition aus einem glücklichen Kontakt heraus. Das setzt Offenheit voraus. Wenn ich offen bin, mit jemandem zu reden, kommt vielleicht aus jedem 100sten Kontakt was raus."
„Ich war 35 Jahre Zahnarzt, habe meine Praxis hier verkauft und in Uganda eine Praxis eingerichtet, die ich betreue. Ich habe nie so viel Glück und Freude empfunden wie dort.“
Kormann: „Auch ein Aspekt: das Glück des Helfens. Glück empfindet derjenige, der etwas bewirkt und auch derjenige, der die Hilfe angenommen hat. Diese Regel gilt auch in der Gründerszene: Junge Unternehmensgründer brauchen Business Angels, also Mentoren, die mit guten Tipps helfen und nicht nach Geld fragen."
Titelbild: Martin Fisch / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
Bilder im Text: Dennis Skley / flickr.com (CC BY-ND 2.0); @christiane-stoll / flickr.com (CC BY-NC 2.0); ZU; Andreina Schoeberlein/ flickr.com (CC BY-ND 2.0)