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Professor Dr. Karen van den Berg hat den Lehrstuhl für Kulturtheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität inne. Sie studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel, wo sie auch promovierte. Von 1993-2003 war sie Dozentin für Kunstwissenschaft am Studium fundamentale der Privaten Universität Witten/Herdecke. Seit 1988 realisiert sie als freie Ausstellungskuratorin zahlreiche Ausstellungsprojekte in öffentlichen Räumen und in Kunstinstitutionen – zuletzt mit den Ausstellungsreihen „Politics of Research“ und „Pari Mutuel“ im Flughafen Berlin Tempelhof.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Theorie des Inszenierens und Ausstellens; Kunst und Öffentlichkeit; Kunstvermittlung und Politik des Zeigens; Kunst und Emotionen (insbesondere Kitsch und Schmerz); Rollenmodelle künstlerischen Handelns; Altern und künstlerische Alterswerke; Soziale Effekte von Bildungsarchitekturen.
Was muss ein moderner Hochschulbau heutzutage mitbringen und was zeichnet den ZF Campus der ZU darüber hinaus aus?
Prof. Dr. Karen van den Berg: Heutzutage machen sich immer mehr Architekten und Bauherren Gedanken darüber, wie man das mittlerweile Jahrhunderte alte Raumprogramm von Universitäten für die veränderten Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts neu interpretieren kann. Innovative Hochschulgebäude deuten die herkömmliche Trennung von Funktionsbereichen wie Hörsälen, Bibliotheken, Seminarräumen, Mensen oder Büros weiter. Sie fragen, wie diese einzelnen Funktionsbereiche im sogenannten Post-Internet-Zeitalter vielleicht neu zu denken und zu gestalten sind. Was verändert sich durch das, was Charles Handy „New Work“ nannte? Und was durch den Bologna-Prozess, der von Universitäten fordert, ihre „differentia specifica“ herauszuarbeiten? Im schlechtesten Fall führen die Bologna-Anforderungen und der verschärfte Wettbewerb zu exaltierter Imagearchitektur, im guten zu neuen Ideen und Raumformen, in denen man einfach lieber und besser arbeitet als in schnöden Funktionsbauten.
Beim ZF Campus der ZU ist es dank Stephanie Kaindl, Paul Grundei und dem gesamten Team um as-if Architekten gelungen, eine solche neue zeitgemäße Raumform zu entwickeln: die Zwischenräume. Wirklich überraschend ist daher am neuen Campusgebäude denn auch die Durchlässigkeit der unterschiedlichen Arbeits- und Aufenthaltsbereiche – dies provoziert ungeplante informelle Begegnungen und erzeugt ein lebendiges kreatives Ökotop. Dadurch wird unser Campus zu einem Ort, an dem sich Studierende und der Lehrkörper nicht nur zwischen Lehrveranstaltungen und (geistiger) Nahrungsaufnahme hin- und herbewegen, sondern eine dynamische Gemeinschaft auf Zeit sichtbar und erfahrbar wird.
Oberstes Prinzip bei der Planung war zudem, einen aneignungsoffenen Raum zu schaffen, einen Raum, der dazu einlädt, sich selbst darin einzurichten. So kam auch der Gedanke auf, den gesamten Campus als Schreiboberfläche zu konzipieren, was sich in den beschreibbaren Tafelwänden und in der Idee der Vorhänge in den Zwischenräumen ausdrückt. Sie sollten dem Haus den Charakter einer offenen, dynamischen Werkstatt verleihen, das Haus in einen intellektuell anregenden Co-Working Space verwandeln.
Neben einer neuen Raumordnung war aber noch eine zweite generellere Überlegung zentral: Die Rolle von Universitäten in der Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt, Universitäten sind längst keine Elfenbeintürme mehr. Der Anteil der Studienberechtigten eines Jahrganges liegt seit Jahren bei mehr als 50 Prozent. Außerdem wird heute von Hochschulen erwartet, dass sie nicht nur Ausbildungsfabriken sind, sondern auch etwas zum intellektuellen und kulturellen Leben einer Stadt beitragen: Universitäten sollten im Idealfall diskursive Anregungsarenen sein, von der die Umgebung und die Gesellschaft als Ganze profitiert. Deshalb war es auch so wichtig, den ZF Campus der ZU als einen wirklich einladenden, offenen, durchlässigen Ort zu konzipieren, der sich zur Umgebung hin öffnet.
„Man sieht sich…“: Dieser Satz ist im neuen Campusgebäude Programm. Können Sie das an einigen Beispielen näher erläutern?
van den Berg: Gemeint sind damit zwei Aspekte: Einerseits die Lichtdurchlässigkeit und Transparenz durch die vielen Glasflächen und die Einsichtigkeit der Räume. Diese verdankt sich zunächst ganz schlicht der Notwendigkeit, dass man Licht in die Räume bringen musste, obwohl ja im Grunde der gesamte Innenhof bebaut wurde. Dieses Problem haben as-if Architekten durch die kleinen Innenhöfe und die großen geschwungenen Glasflächen ungemein elegant gelöst. So läuft man nicht durch fensterlose Gänge, sondern offene, lichtdurchflutete Co-Working-Spaces.
Der zweite Aspekt – der mit dem Motto „Man sieht sich…“ angesprochen ist – besteht darin, dass die Architektur von as-if eine sehr lebendige Choreographie in das Haus legt. Wir haben im Neubau keine Korridore, sondern Raumzonen, die zugleich Aufenthaltsorte sind. Hier läuft man sich über den Weg. Wenn man morgens in die Universität kommt, sieht man die Köche, die in der Mensa ihre Arbeit beginnen, man sieht Studierende in der Bibliothek, man sieht das Team vom Check-in und die ersten Lehrveranstaltungen, Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden, die sich schon mal einen Kaffee holen. Das ist schon eine sehr eigene Qualität und eine ungemein soziale Erfahrungsdichte, und man muss sich schon sehr viel Mühe geben, um sich dieser zu entziehen.
Kunst spielt auf dem ZF Campus der ZU eine wichtige Rolle: Würden Sie uns einen Einblick in die künstlerischen Interventionen geben?
van den Berg: Eine der großen Herausforderungen bestand darin, die Disziplinararchitektur der Kaserne nicht zu kaschieren oder gar zu verleugnen, sondern so umzuinterpretieren, dass daraus etwas anderes wird. Wie macht man aus einer rigiden Militärordnung einen kreativen Arbeitsort? Dabei kam auch der Künstler Harald F. Müller ins Spiel, der das Farbkonzept für den Campus entworfen hat. Mit den krassen, etwas subversiven Farbklängen beim Check-in und in den Treppenhäusern, dem frechen Silber der Außenfassade und den schwarzen Tafelfarben ist das wirklich sehr klug gelöst worden. Die farbigen Treppenhäuser lassen die Korridore nicht mehr öde erscheinen, man läuft durch eine Farbschleuse, die durch ihre Forschheit die alte militärische Ordnung souverän übertrumpft.
Mit weiteren Interventionen – wie der Neonskulptur von Alfredo Jaar, dem Archiv für Soziale Plastik von Christof Salzmann oder dem Digitalfilm „Standard Time“ von Mark Formanek ist es zudem sehr gut gelungen, einen bestimmten intellektuellen Geist sichtbar zu machen, der kritisch, nachdenklich, freigeistig und feierlich zugleich ist und daran erinnert, was für ein ungemeines Privileg es ist, dass unsere Gesellschaft sich solche Orte wie diese Universität leistet.
Die Geschichte des Areals reicht weit zurück: Auf dem Gelände des ZF Campus der ZU entstand im Zweiten Weltkrieg eine Flakkaserne, die später von der französischen Besatzung genutzt wurde. Wie geht die moderne Architektur mit dem historischen Erbe um?
van den Berg: Die organischen Formen, die Rundungen die großzügige Choreografie des Gebäudes, die frechen Farben und Schreibflächen, die auf schöne Weise hedonistische Dachterrasse – all das wird durch die teilweise olle, teilweise gar nicht so schlechte Kasernenarchitektur nur noch gesteigert. Das Kasernengebäude sollte nicht nur aus Kostengründen möglichst weitgehend im Originalzustand erhalten bleiben, es sollte auch gezeigt werden, dass Friedrichshafen und die Universität in die Militärgeschichte verstrickt sind und ohne diese nicht denkbar wären.
Gerade das alte Dach zeigt, dass die historische Substanz eine Atmosphäre erzeugt, die man gar nicht neu bauen könnte. Das Gebäude gewinnt durch die sichtbaren Zeitschichten, die eben nicht nur an das Schöne und Gute erinnern auch eine Bedeutungstiefe. Von der Terrasse aus sieht das Dach aus wie eine alte Stadtmauer und selbst solche alten Stadtmauern, die wir immer so pittoresk finden, verdanken sich ja meist militärischen Erwägungen oder zumindest Ausgrenzungsgeschichten.
Eine andere Zeitschicht des Fallenbrunnenareals kommt zudem durch die Bepflanzung von den Landschaftsarchitekten atelier le balto ins Spiel. Sie haben versucht, etwas vom Wilden, Struppigen und Ungeordneten des Fallenbrunnengeländes zu erhalten, etwas von dem Verwunschenen, Überwucherten, das sich ausbreitete, nachdem das französische Militär abzog und Teile des Geländes sich selbst überlassen waren. Gartenarchitektur erzeugt ja nicht selten unfreiwillig sehr öde Ordnungen – atelier le balto dagegen wollten eher Inseln eines heimischen borstigen Ökotops auf dem Gelände verstreuen, was auf der Dachterrasse besonders gut gelungen ist.
Das Interessante am Fallenbrunnengelände ist ja, dass es ein merkwürdiges Areal ist zwischen Militärarchitektur, Landwirtschaft, Wald, Industriegebiet, Bildungsareal, Wohnsiedlung und Alternativkultur. Seine Qualität könnte auch in Zukunft darin bestehen, diese Gegensätze gerade nicht zu harmonisieren, denn sie sind anregend. Auch das Unangenehme der Vergangenheit sichtbar zu halten, damit zu leben und es umzudeuten, macht das Areal interessanter als eine bloße Überformung der Gebäude. Dieser Gedanke ließe sich sicher noch weiterentwickeln.
Wie ist es den Architekten gelungen, ein Spannungsfeld zwischen Neubau und Altbau zu erzeugen?
van den Berg: Indem die Architekten Kontraste herausgearbeitet haben, ohne Brüche zu erzeugen, die Räume ineinanderfließen und in der Materialsprache ohne Anbiederung doch harmonieren. Besonders gelungen finde ich, dass die Außenfassade des Altbaus – inklusive des gleichen silbernen Anstriches – sich innen fortsetzt. Diese Übergänge sind immer auch Brüche, aber erst beim zweiten Hinsehen.
Was sind für Sie persönlich die Hauptattraktionen des neuen Campusgebäudes?
van den Berg: Ganz klar die Dachterrasse, dann das Forum! Das Innovativste aber sind die Zwischenräume und die Lehrräume. Was mir daran imponiert, ist, dass all diese Räume dazu einladen, sie auf ganz unterschiedliche Weise nutzen.
Vorstellung und Wirklichkeit weichen oftmals weit voneinander ab, in der Planungs- und Bauphase lässt sich zwar ein (Zusammen-)Leben auf dem späteren Campus denken, aber nicht fühlen: Wovon sind Sie am meisten
überrascht, wenn Sie heute den ZF Campus der ZU betreten?
van den Berg: Positiv überrascht war ich vor allem von dem Effekt der Dachterrasse und davon, wie schnell die see|e der ZU vom SeeCampus an den Fallenbrunnen umgezogen ist und wie lebendig der Ort heute wirkt. Eine eher unangenehme Überraschung war, dass Mensa und Küche viel zu klein sind, weil in der Planungsphase noch damit gerechnet wurde, dass es eine Hauptmensa im Heizhaus geben würde.
Und gibt es eine riskante Idee, die nicht umgesetzt wurde?
van den Berg: Riskant war die Idee, die Zwischenräume und Lehrräume wie flexible aneignungsoffene Werkstätten zu gestalten, in denen Studierende mit ihren Projekten überall sichtbar sind, etwa mit mobilen Projektcontainern und Displays – das ist nicht konsequent umgesetzt worden, geblieben sind davon nur die beschreibbaren Tafelwände. Ähnlich sieht es aus mit der Möblierung und Nutzung, die noch überaus ausbaufähig sind. In der Planungs- und Bauphase war hierzu eine ganze Reihe innovativerer Ideen entwickelt worden – in Workshops mit Studierenden, Professor*innen, Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung und mit externen Expert*innen. Im Vergleich zu diesen Ideen sieht die Möblierung und Nutzung gerade der Lehrräume heute doch vergleichsweise konventionell aus: Hier hätte ich mir mehr Varianz und Spielräume zwischen traditionellen Settings und experimentelleren Anordnungen gewünscht. Ähnliches gilt für die Bibliothek: Dort waren wirkliche Entschleunigungs- und Lümmelzonen geplant, die das Lesen auf Sitzkissen und Sofas ermöglichen sollten. Für diese gewagteren Ideen fehlte am Ende der Mut. Allerdings ist die Architektur ja offen für Aneignung, daher habe ich die Hoffnung, dass es nochmals eine Phase geben könnte, in der man über solche experimentelleren Einrichtungen erneut nachdenken kann. Das würde ich mir genauso wünschen wie ein funktionierendes autonomes studentisches Café und eine weitere Belebung des gesamten Areals!
Titelbild:
| Andreas Meichsner (alle Rechte vorbehalten) / andreasmeichsner.de
Bilder im Text:
| Andreas Meichsner (alle Rechte vorbehalten) / andreasmeichsner.de
| Andreas Meichsner (alle Rechte vorbehalten) / andreasmeichsner.de
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm