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Botschafter Dr. Emil Brix begann seine Karriere im diplomatischen Bereich als Generalkonsul in Krakau direkt nach der Wende. Anschließend folgten Auslandsdienste als Botschafter Österreichs in London und Moskau. Im Jahr 2017 wurde er von Bundeskanzler Sebastian Kurz zum neuen Direktor der Diplomatischen Akademie Wien ernannt – eine der renommiertesten Universitäten für den höheren diplomatischen Dienst in Europa und gleichzeitig der einzige außenpolitische Think Tank Österreichs. Er gilt als einer der Südosteuropa-Experten des Landes und setzt sich auf europäischer Ebene stark für eine Integration der Balkanländer in die EU ein.
Teil der Debatte seien vor allem altbekannte Argumente, dass es sich um Staaten handele, die sich ständig bekriegen würden. Oft wird betont, dass die Staaten noch nicht bereit seien für Europa, dass sie noch vieles lernen müssten. Was allerdings 1990 bei der friedlichen Umgestaltung Jugoslawiens – mit Ausnahme von Serbien und Herzegowina – gelungen ist, sei eine enorme Bereicherung. Wir würden immer wieder vernachlässigen, dass es sich um lediglich 16 Millionen Menschen handelt, die bei einer Integration des Balkans hinzukommen würden. Verglichen mit den derzeitig in Europa lebenden 500 Millionen, sei das „gar nichts“.
All diese Vorwürfe sieht Brix nur als noch evidenteren Grund, die Balkanstaaten in Europa aufzunehmen und so Stabilität zu sichern. Und wenn es darum gehe, ob Großbritannien oder die Balkanstaaten wichtiger für Europa seien, sei die Antwort für ihn eindeutig. Denn die Balkanstaaten seien ein kultureller Bestandteil Europas und von enormer Wichtigkeit für Stabilität, Sicherheit und die Erreichung geopolitischer Ziele.
Nach all den aufmunternden und idealistischen Vorstellungen, die die Studierenden äußern, muss Dr. Brix zugeben: „Wenn man Realist ist, muss man sagen: Die Vereinigten Staaten von Europa wird es nicht geben. Nicht in meiner Lebenszeit und nicht in Ihrer!“ Trotzdem plädiere er für „Balkanlust“, gerade weil diese Region geografisch so nahe liegt – und das nicht nur für ihn als Österreicher. Mit Slowenien und Kroatien wären wir bereits einen ersten Schritt gegangen und diese Mission sollte hier nicht ihr Ende finden. Kleinstaaten sind sicher kompliziert, aber sie sind auch wichtig für die „politische Hygiene“. Denn es gehe nicht darum, dies zu überwinden, sondern vielmehr darum, dies zu gestalten.
Das Wort Balkan kommt aus dem Türkischen und ist eine Zusammensetzung der Wörter „Blut“ und „Honig“. Brix nimmt diesen Namen wörtlich und weiß: „Ein bisschen fehlt uns die Begeisterung, das Herzblut und das Engagement in der Diskussion – ein bisschen Blut und Honig fände ich gut für Europa!“
Er wünsche sich, dass Europa nicht an Erweiterungsmüdigkeit erkranke. Denn wir könnten nicht warten, bis die Bundeskanzlerin entscheidet, wann sie geht oder wie sie geht. Und wir könnten auch nicht warten, wann Macron sich entscheidet, ob er für oder gegen die Gelbwesten sei. Wir müssen Handeln – so viel ist für den Gast des Abends klar. Von den Personen im Publikum erhofft er sich ein Verständnis für das Problem. „Wir haben nicht die Zeit, um mal zu sehen. Das Mitteleuropa mit dem Fall der Berliner Mauer, das wir 1990 hatten, ist heute am Balkan“, erklärt er die inneneuropäische Herausforderung unserer Zeit. Diese würde ihn besonders an viele Situationen in der Vergangenheit erinnern und die Chance darstellen, die Staaten Südosteuropas Schritt für Schritt zu integrieren und Teil des Projekts Europa werden zu lassen.
Titelbild:
| Tom Grimbert / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bild im Text:
| Louis Müller / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm