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Georg Jochum, geboren 1968 in Köln, studierte als Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und schloss sein Studium 1993 mit der ersten juristischen Staatsprüfung ab. Im Jahr 1996 promovierte er zum Thema „Materielle Anforderungen an das Entscheidungsverfahren in der Demokratie“, ein Jahr später folgte die zweite juristische Staatsprüfung, im Jahr 2003 habilitierte Jochum zum Thema „Die Steuervergünstigung“. Nach Tätigkeiten als Rechtsanwalt, wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen wurde er im Jahr 2007 zum außerplanmäßigen Professor an der Uni Konstanz ernannt. Im gleichen Jahr wurde Jochum Mitglied in der wissenschaftlichen Kommission der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes.
Jeder kennt ihn, viele wollen ihn loswerden: den Solidaritätszuschlag, kurz Soli. Was verbirgt sich rechtlich dahinter? Eine Abgabe, eine Steuer, eine Gebühr?
Prof. Dr. Georg Jochum: Der Solidaritätszuschlag ist nach der finanzverfassungsrechtlichen Einordnung eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer. Seine Einnahmen fließen ausschließlich dem Bundeshaushalt zu. Die Ergänzungsabgabe geht auf das Finanzverfassungsgesetz des Jahres 1955 zurück und sollte es ermöglichen, außergewöhnliche Finanzbedarfe des Bundes zu finanzieren.
Der Soli sollte, eigentlich befristet für ein Jahr, ab 1991 unter anderem die Kosten der Deutschen Einheit dämpfen. Wofür war der Soli darüber hinaus gedacht?
Jochum: Der Soli 1991 ist in der Tat 1992 ausgelaufen. Er wurde dann 1995 für die sogenannten Solidarpakte wieder eingeführt. Damit diente er der Finanzierung besonderer Ergänzungszuweisungen des Bundes an die neuen Bundesländer und anderer finanzschwacher Bundesländer. Das Gesetz 1995 sah eine Befristung nicht vor, was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht erforderlich ist.
Nun soll der Soli abgeschafft werden. Kritiker sagen, dass er dafür viel zu stark im Bundeshaushalt eingeplant ist. Können wir uns die Abschaffung überhaupt leisten?
Jochum: Der Solidaritätszuschlag ist kein Mittel zur Finanzierung des allgemeinen Haushalts. Dazu sind die Einnahmen aus der Einkommensteuer und den anderen Steuern da. Das zeigt sich auch darin, dass das Bundesverfassungsgericht fordert, dass die Sätze gering sein müssen, um die Steuern, an die er geknüpft ist, nicht auszuhöhlen. Das heißt es muss ein besonderer Finanzbedarf bestehen, den allein der Bund zu tragen hat. Dieser Finanzbedarf besteht nicht mehr. Das hat der Bundesrechnungshof in einem Gutachten zum Soli in diesem Sommer festgestellt.
Auch um den Kostenausfall abzumildern, soll der Soli nicht für alle Deutschen wegfallen. Wer soll weiterhin zahlen müssen?
Jochum: Der Soli soll ab 2021 für alle Personen wegfallen, die als Einzelperson weniger als etwa 75.000 Euro beziehungsweise als Eheleute 150.000 Euro, solange diese Einkünfte nicht aus Kapitalanlagen oder Kapitalgesellschaften stammen. Unternehmen und ihre Eigentümer zahlen den Soli weiter vom ersten Euro an.
Das klingt nicht danach, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Wäre dieser Vorschlag verfassungsgemäß oder -widrig?
Jochum: In der Tat! Das Gesetz sagt: Kapitalgesellschaften und ihre Eigentümer sind immer leistungsfähig. Deswegen zahlt der freiberufliche Zahnarzt mit 75.000 Euro Jahreseinkommen keinen Soli, während der mittelständische Handwerker, der den Fehler gemacht hat, sein Unternehmen in der Form einer GmbH zu führen, rund 1.300 Euro Soli auf denselben Gewinn zahlen muss. Diese Unterscheidung ist allenfalls ideologisch zu rechtfertigen, nicht sachlich. Sie ist willkürlich und verfassungswidrig.
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Teilabschaffung angekündigt. Wie schätzen Sie die Chancen ein?
Jochum: Da ich diese Beschwerde mit vorbereitet habe, möchte ich mich zu den Chancen nicht äußern. Nur so viel: Wenn sie chancenlos wäre, hätten wir dem Bundesverband sicher davon abgeraten.
Glauben Sie eigentlich daran, dass der Soli jemals abgeschafft wird?
Jochum: Ich gehe davon aus, dass der Soli mit Ablauf des Jahres 2019, das heißt dem Ende des Solidarpaktes 2 verfassungswidrig wird. Damit bin ich nicht allein, sondern neben vielen anderen Experten teilt auch der Bundesrechnungshof diese Auffassung. Daher wird er früher oder später abgeschafft. Ich gehe davon aus, dass auch der Bundesfinanzminister das weiß.
Es geht auch nicht um den Soli. Es geht um Parteipolitik. Die SPD will in der Koalition beweisen, dass sie etwas gegen die (vermeintliche) soziale Schieflage tun will, in dem sie die sogenannten Besserverdienenden höher besteuert. Das ist ein politisch legitimes Ziel, was allerdings durch eine Veränderung des Einkommensteuertarifs zu erreichen wäre. Dazu benötigt man aber die Zustimmung des Bundesrates und außerdem wäre das eine Steuererhöhung, was die CDU/CSU nicht will. Da die 20 Prozentpartei SPD ihr eigentliches Ziel auf verfassungsgemäßen Weg nicht erreichen kann, soll dies eben durch die verfassungswidrige Teilabschaffung des Soli erreicht werden. Das kommuniziert die SPD auch recht offen.
Das Vorgehen zum Soli ist also ein klassischer Kuhhandel: Die CDU/CSU kann sagen, es ist eine Steuersenkung; und die SPD kann sagen, die „bösen“ Unternehmer und andere Reiche werden nicht entlastet. Dafür spricht auch das Timing: Damit die Wähler bei der Bundestagswahl auch dankbar sind, wird der Soli erst mal noch ein Jahr in voller Höhe verfassungswidrig weiter erhoben und dann gesenkt. Würde man ihn schon 2020 senken, dann hätten sich die Wähler möglicherweise schon daran gewöhnt. Ob sich das am Ende für die SPD auszahlt, ist allerdings fraglich, denn es könnte sein, dass ausgerechnet im Wahljahr die Verfassungswidrigkeit festgestellt wird.
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Redaktionelle Betreuung und Umsetzung: Florian Gehm