ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Bertram Rusch studierte Betriebswirtschaft an der Berufsakademie Dresden, wo er sich unter anderem mit der Erfahrungskurvenexistenz im Dienstleistungssektor auseinandersetzte. Schwerpunkt seines Masterstudiums in Corporate Management & Economics an der Zeppelin Universität war die Schnittstelle aus Wirtschaft und Kommunikation. Zur Zeit arbeitet er als Redakteur und Fotograf für ZU|Daily.
Der Begriff der künstlerischen Intervention beschreibt nach einer Definition der Forscherin Professor Dr. Ariane Berthoin Antal eine Form der Integration künstlerischer Prozesse in ein Unternehmen. Im Gegensatz zu bereits seit längerer Zeit bestehenden Kollaborationsformen – wie zum Beispiel der interpretativen Nutzung von Kunstwerken in Personalentwicklungsprojekten oder auch von Sponsoring – geht es bei ihnen um die aktive und gestaltende Teilnahme der Künstler an Arbeits- oder Veränderungsprozessen in Unternehmen.
Europäische Beispiele für künstlerische Interventionen finden sich in einem Forschungsbericht von Professorin Dr. Ariane Berthoin Antal vom Wissenschaftszentrum Berlin. So beispielsweise die "BBC Creative Archive License Group", die gemeinsam mit einer Künstlerin ein neues Konzept zum Angebot von Video-Archivmaterial entwickeln wollte (Intermediär Interact aus Großbritannien).
Der Kern des Kunstgreb-Vorgehens war das konkrete methodische Werkzeug, das Künstler erlernen und in den Unternehmen anwenden sollten. Der methodische Rahmen, genannt „KU-Modell“, fußte auf einem von Kunstgreb erstellten Praktikerkonzept, das verschiedene Methoden zu Kreativitätstechniken vereinte und den Künstlern eine einheitliche Vorgehensweise für ihre Interventionen beibringen sollte. Als Hauptziele nannten die Initiatoren von Kunstgreb (zu Deutsch: Kunstgriff) einerseits die Ausbildung der Künstler und breitere Nutzbarmachung ihrer Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt, andererseits die Bereitstellung innovativen Denkens für die Unternehmen. In einem gemeinsamen Lernprozess mit Künstlern sollen neue Lösungen für Produkte, Prozesse oder Verbesserungen in der Kommunikation erreicht werden.
Kunstgreb setzte dabei auf versierte Künstler mit mindestens vier Jahren Erfahrung in ihrem Feld. Die vorbereitende Ausbildung erstreckte sich über circa acht Wochen, im Anschluss folgten zwei Praxisphasen in Unternehmen, die im Rahmen einer insgesamt neunmonatigen Ausbildung durchgeführt wurden, die sechs Praxisbereiche umfasste: Fachkenntnisse über Unternehmen und Unternehmensführung, Kommunikation, Prozessumsetzung, Projektmanagement, Kreative Prozesse und Ideenentwicklung.
Gerade in der Wirtschaftskrise steht die Kunst- und Kulturbranche scharf in der Kritik: Ihr gesellschaftlicher Wert lässt sich schwer messen und somit ist kaum aufzuwiegen, wieviel finanzielle Unterstützung mithilfe von Steuergeldern gewährt werden soll. Gerade aus ökonomischer Perspektive ist dabei oft nicht klar, wo der Mehrwert ihrer Produkte liegt.
Doch diese Wahrnehmung scheint sich langsam zu wandeln: Im Juni 2010 postulierte die Europäische Kommission in einem Grünbuch, die Kultur- und Kreativindustrien verfügten über großes Potenzial, zu wirtschaftlichem Wachstum beizutragen. Eine Möglichkeit, dieses Potential nicht in kurzzeitigen Strohfeuern verglühen zu lassen, sind Kooperationen zwischen Unternehmen und Künstlern. Doch obwohl es hier zahlreiche Beispiele gibt, fehlt es bisher an breiter Forschung. Bertram Rusch hat sich in seiner ZU-Masterthesis „Artists in Business. Untersuchung künstlerischer Interventionen zur Innovationsförderung in Unternehmen“ damit auseinandergesetzt, wann derartige Kooperationen gelingen und woran sie scheitern können.
Laut Rusch war die Motivation vieler Unternehmen, die mit Künstlern zusammenarbeiten, „frischen Wind“ in die Organisationen zu holen: „Sie wollten konventionelle Prozesse überwinden, selbst wenn der Ausgang der Projekte vollkommen unklar war. Auf Künstlerseite dagegen steht klar der finanzielle Aspekt, aber auch eine starke Neugier, das eigene künstlerische Wissen in anderen Fachbereichen anzuwenden.“ Durch Interventionen sollen der Arbeitsalltag unterbrochen und emotionale Prozesse in Organisationen angestoßen werden – indem Mitarbeiter in bestimmten Bereichen wie ihrer Kommunikation, Arbeitsweise oder in der Produktentwicklung beispielsweise durch Musik, Bewegung oder Malerei „ästhetisch sensibilisiert“ werden. Eine dänische Stadtbibliothek habe beispielsweise beim Plan, einen neuen Service für jüngere Generationen zu entwickeln, auf die kreative Unterstützung von Künstlern gesetzt, so Rusch. Oder ein Dachverband für Campingplätze wollte mit Hilfe der Ideen von Künstlern neue Zusatzservices für seine Kunden entwickeln.
Doch die Hemmschwelle für Unternehmen sei hoch, Künstler in ihre Betriebe zu holen. Die Parteien arbeiteten oft sehr unterschiedlich, sagt Rusch. Eine besondere Rolle in der Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Unternehmen kommt deshalb sogenannten „Intermediären“ zu. Das sind Organisationen, die Künstler und Unternehmen zusammenführen und den daraus entstehenden Prozess betreuen. Sie planen und administrieren die Interventionen, bieten Orientierung und Expertise für beide Seiten und fungieren als Übersetzer zwischen den Parteien, indem sie steuern, beraten und schlichten.
Rusch beleuchtete die Herangehensweise des dänischen Intermediärs „Kunstgreb“ (zu Deutsch: Kunstgriff), der über 60 künstlerische Interventionen in Unternehmen durchführte. Für die Forschungsarbeit führte Rusch Interviews mit sieben Künstlern und vier Unternehmensvertretern, die an Projekten in dem Bereich teilnahmen. „Die Suche nach Interviewpartnern war jedoch keineswegs leicht. Es gibt Interventionskonzepte – teilweise seit vielen Jahren – in Schweden, Spanien, Frankreich, Belgien oder Dänemark – aber noch kein derartiges in Deutschland“, sagt Rusch.
Eines der Ergebnisse von Ruschs Forschungsarbeit ist die Erkenntnis, dass es nicht unbedingt aufwändige Maßnahmen braucht, um die Arbeitsroutine zu durchbrechen und Mitarbeiter entscheidend zu öffnen: Schon das Ändern von Sitzordnungen, ein Raumwechsel für Meetings oder der Einsatz kurzer Musikstücke zeigte Auswirkungen auf die Konzentration der Mitarbeiter. Dass schon kleine Eingriffe Veränderungen bewirken, ist laut Rusch auch deshalb interessant, weil bisher noch kaum erforscht wurde, wie viel Irritation ein Unternehmen und seine Mitarbeiter vertragen.
Die Interventionen durch Kunstgreb waren klar strukturiert: Die Künstler traten sehr angepasst auf und agierten eher passiv-moderierend. Die aktive Einbringung ihres fachspezifischen Wissens war nicht vorgesehen. „Ein hoher Mitarbeitereinbezug ist zwar nützlich für langfristige Wirkungen in den Unternehmen und wurde auch positiv wahrgenommen. Gleichzeitig entstehen hier zwei potentielle Schwachstellen für die Effektivität", so Rusch - wenn zum einen nur wenige Mitarbeiter teilnehmen könnten und Künstler zum anderen eher angepasst wie normale Berater agierten. Dabei erwarteten die Unternehmen von den Künstlern eigentlich einen gewissen Grad an Irritation. Rusch: „Schließlich haben sie sich explizit für Künstler entschieden.“
Der Einsatz von eher passiv agierenden Künstlern als Kreativitätsmoderatoren kann laut Rusch sinnvoll sein, wenn der Kreativitätstransfer auf die Mitarbeiter gelingt. Im Innovationsbereich zeichnet sich aber ab, dass die Künstler ein bestimmtes Niveau an unternehmensrelevantem Fachwissen mitbringen sollten, um das Kreativitätspotential der Interventionen voll auszuschöpfen. „Sonst läuft man Gefahr, nur einfache Brainstormings mit Mitarbeitern durchzuführen.“ Wenn Unternehmen dann noch die ökonomische Perspektive beisteuern, sind laut Rusch die wichtigsten Voraussetzungen dafür gegeben, dass beide Seiten voneinander profitieren.
Bilder: Bertram Rusch