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Professor Dr. Bruno Preilowski hat an der ZU eine Gastprofessur für Methoden in Verhaltens- und Hirnforschung inne und ist Mitbegründer des Hugo-Eckener-Labors für Experimentalpsychologie und Hirnforschung. Der approbierte Klinische Neuropsychologe war am California Institute of Technology in Pasadena (USA) als Mitarbeiter von Roger W. Sperry an der sogenannten „Split-Brain“-Forschung beteiligt, für die Sperry 1981 den Nobelpreis für Medizin erhielt. Neben Forschungsschwerpunkten in der Zerebralen Asymmetrie und der Gehirnplastizität widmet er sich auch besonders entwicklungsbedingten schulischen Lernproblemen.
Auf der Verhaltensebene ergeben sich indirekte Hinweise auf die Gehirnplastizität durch kontrollierte Lernexperimente bei gesunden Versuchspersonen sowie aufgrund von entwicklungspsychologischen Studien und Beobachtungen von Verhaltens- und Leistungsänderungen bei Patienten nach Hirnschädigungen. In der letzten Zeit wurden aber auch vor allem Methoden verwendet, mit denen man die durch Erfahrung verursachten Veränderungen von Repräsentationen im Gehirn nachweisen kann: Im Tierversuch durch Einzelzellableitungen; im Humanbereich durch bildgebende Verfahren, wie beispielsweise strukturelle oder funktionelle Kernspinnuntersuchungen. Beide Methoden sind sehr aufwändig und für Tier wie Mensch belastend sowie mit sehr hohen Kosten verbunden. Eine neue, kostengünstigere und nicht belastende Methode – die Nah-InfraRot-Spektroskopie (NIRS) - ist in der Erprobung.
Bis 2008 war Bruno Preilowski im klinischen und experimentellen Bereich an der Plastizitätsforschung unter Verwendung der gängigen Methoden beteiligt. An der ZU versucht er, die Thematik in die dort geplante Forschung einzubauen. Dazu gehört der Erwerb von Kulturtechniken, wie Lesen und Schreiben sowie die damit verbundenen Schwierigkeiten einiger Kinder. Das Ziel ist ein besseres Verständnis dieses Problems und die Nutzung der gewonnenen Erkenntnisse für eine Therapie von entwicklungsbedingten Lese-Rechtschreib-Schwächen. Neben den klassischen neuropsychologischen Methoden wird er auch den Einsatz der neuen NIRS-Technik erproben. Darüber hinaus könnten Messungen der Augenbewegungen und der physiologischen Erregung bei den die betroffenen Kinder sehr belastenden Lese- und Schreibbemühungen hilfreiche Hinweise für Diagnostik und Therapie liefern.
Wie verändert sich das Gehirn in der Pubertät?
Professor Dr. Bruno Preilowski: In der Pubertät sind bestimmte Bereiche des Gehirns, insbesondere der Frontallappen, noch nicht ausgereift und nicht voll funktionsfähig. Neuere Untersuchungen deuten an, dass es unter anderem in der Pubertät gleichzeitig zu einer starken Vermehrung von Nervenzellverbindungen kommt, die im Nachhinein wieder selektiv beschnitten werden. Solche Phasen werden als besondere Perioden der Gehirnplastizität bezeichnet, weil die selektive Ausmerzung von Verbindungen durch Erfahrungen beeinflusst wird. In solchen Phasen ist das Gehirn also besonders formbar und zwar im positiven wie negativen Sinne. Psychiater haben die Pubertät einmal als eine „Periode der entwicklungsbedingten Unzurechnungsfähigkeit“ bezeichnet. Denn die Unreife, die Verletzlichkeit und die Beinflussbarkeit spiegeln sich auch im Verhalten wieder.
Warum verändert sich das Gehirn überhaupt?
Preilowski: Darüber können wir nur spekulieren. Der Mensch wird zwar mit einem fast vollständigen Komplement von Nervenzellen geboren, aber wegen des engen Geburtskanals darf der Kopf bei der Geburt nicht zu groß sein. Deshalb findet die Reifung dieser Zellen und die Vervielfältigung ihrer Verbindungen untereinander erst nach der Geburt statt. Dieser Entwicklungsprozess dauert zweieinhalb Jahrzehnte und währenddessen scheint es besonders ausgeprägte plastische Phasen zu geben, wie die während der Pubertät.
Welche Chancen ergeben sich durch die leichte Beeinflussbarkeit des Gehirns in dieser Zeit?
Preilowski: Durch die besondere Plastizität des Gehirns ergeben sich vor allem sogenannte „windows of opportunity“, beispielsweise für den Erwerb von wichtigen sensorischen, motorischen und kognitiven Funktionen. Aber das Gehirn ist in dieser Zeit auch besonders anfällig für schädigende Einflüsse. „Kritisch“ im Sinne der Entwicklungsbiologie sind diese Perioden, weil die in dieser Zeit erfolgten Veränderungen am Ende der Phase nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Die Pubertät kann man aber nicht uneingeschränkt als eine „kritische Phase“ bezeichnen, weil sie sich über mehrere Jahre erstreckt und bisher noch kein Entwicklungsalter bestimmt werden konnte, zu dem sich Veränderungen nicht wieder rückgängig machen ließen.
Und inwiefern können negative Einflüsse das Nervensystem in dieser Zeit beeinflussen?
Preilowski: Die Phasen besonderer Plastizität werden durch spezifische und für die Entwicklung wichtige Umwelterfahrungen gekennzeichnet. In den frühkindlichen Phasen sind das vor allem visuelle, auditive, taktil-kinästhetische und motorische Erfahrungen. Auch wichtig sind Körper- und Blickkontakt mit den engeren Bezugspersonen, Sprache und emotionale Zuwendung. Diese Erfahrungen scheinen auch eine Rolle in der Zeit der Pubertät zu spielen, aber besonders starke Einflüsse vermutet man durch soziale Kontakte außerhalb der Familie. Wenn soziale Erfahrungen negativ sind oder fehlen, kann es zu dauerhaften Fehlverhaltensweisen kommen.
Können Fähigkeiten in der Pubertät besonders ausgeprägt werden?
Preilowski: Es gibt zu diesem Komplex keine wirklich wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse. Kontrollierte Experimente verbieten sich ja schon aus ethischen Gründen. Wir haben also nur Erfahrungsberichte und zumeist posthoc-Auswertungen von Beobachtungen über die Jugendlichen, die in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Situationen aufgewachsen sind. Aber soweit ich es beurteilen kann, scheint diese Phase keine Möglichkeit zu bieten, vollkommen neue Fähigkeiten zu entwickeln. Eher lassen sich Veranlagungen und Neigungen besonders fördern und Fertigkeiten durch Übung leichter verbessern. Und zumindest kann man in dieser Zeit leichter als im späteren Alter ein Verständnis und eine Offenheit für die sozialen, musischen und wissenschaftlichen Bereiche schaffen, zu denen sich der Jugendliche nicht unmittelbar befähigt oder hingezogen fühlt.
Muss sich die Schulbildung verändern, um auf diese Entwicklungen während der Pubertät positiver einzuwirken?
Preilowski: Das würde ich so nicht fordern. Auch ohne die wissenschaftlichen Erkenntnisse der neueren Hirnforschung wussten gute Pädagogen und Psychologen schon seit – ja man kann schon sagen Jahrhunderten – um die besonderen Probleme von Kindern und Jugendlichen und auch darum, wie man sie dennoch bildet. Vielleicht können die Neurowissenschaften einen Beitrag dazu leisten, die „schlechten“ Pädagogen darauf aufmerksam zu machen, welche dauerhaften negativen Einflüsse ihr interesseloses, defensives und negatives Verhalten gegenüber ihrem Beruf und den Schülern haben können. Manchmal mag es auch helfen, sich an das noch unfertige Gehirn zu erinnern, wenn ein Kind ein unbegreifliches Verhalten an den Tag legt oder von einem Tag auf den anderen heftigen Stimmungswechseln unterliegt oder plötzlich wie ausgewechselt erscheint. Ich als Neurowissenschaftler kann nur darauf hinweisen, dass es eben, neben dem Einfluss der Umwelt, auch den der Genetik gibt.
Ein ausführlicher Artikel zum Thema Gehirnplastizität „Die delikate Balance zwischen temporärem Wahnsinn und Demenz“ von Bruno Preilowski erscheint im AUF-Magazin der Zeppelin Universität am 25.01.2012.
Fotos: nicolasberlin / photocase.com