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Politische Kommunikation

Neue Medien verstehen lernen

Journalisten müssen Klarheit schaffen und die Bedeutung erklären, auch wenn das mehr Zeit in Anspruch nimmt und Menschen langweilt.

Professor Dr. David Altheide
 
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    Zur Person
    Professor Dr. David Altheide

    Der Soziologe und Kommunikationsforscher Professor Dr. David L. Altheide, Emeritus Regents Professor an der School of Justice and Social Inquiry der Arizona State University, ist einer der Pioniere der Mediatisierungsforschung. In zahlreichen Büchern und Artikeln beschäftigt er sich mit den langfristigen Auswirkungen des Medienwandels auf die moderne Gesellschaft. Er ist dreifacher Preisträger des Cooley Awards und wurde 2005 mit dem „George Herbert Mead-Award for lifetime contributions from the Society for the Study of Symbolic Interaction” geehrt.
    Mit Beginn des neuen Semesters hat der Soziologe Prof. David L. Altheide von der Arizona State University seinen sechswöchigen Besuch als Gast des ZU-Forschungsverbundes „Mediatisierte Moderne“ an der Zeppelin Universität angetreten. Auf Einladung von Juniorprofessor Dr. Marian Adolf absolviert er seinen Aufenthalt als „Fulbright Senior Specialist“. In dieser Rolle berät er die Kollegen im Rahmen der Weiterentwicklung von Forschung und Lehre.

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    Factbox
    Mohammed-Schmähvideo

    Das Mohammed-Schmähvideo „Innocence of Muslims" löste eine Welle der Gewalt in der arabischen Welt aus. Das in den USA von Nakoula Basseley Nakoula produzierte Video enthält herablassende und beleidigende Darstellungen des Propheten Mohammed. Nachdem das Video am 23. Juni 2012 in einem kleinen Kino zur Aufführung kam, kursierte es bereits ab Juli auf Youtube. Seit Anfang September wurde es in der arabischen Welt verbreitet und führte zu Protesten vor US-amerikanischen und anderen westlichen Einrichtungen. Zahlreiche Menschen kamen ums Leben – so auch der amerikanische Botschafter in Libyen, J. Christopher Stevens (Links zu Statements hierzu von US-Präsidenten Barack Obama und US-Außenministerin Hillary Clinton).

    Ein Mitglied der pakistanischen Regierung setzte ein Kopfgeld auf den Produzenten des Videos aus. Dieser wurde am 28. September 2012 in Los Angeles festgenommen.

    Die deutsche und amerikanische Regierung verurteilten die Inhalte des Videos. Russland hat die Verbreitung Anfang Oktober sogar untersagt. Deutschlands Innenminister Hans-Peter Friedrich plädiert dafür, eine Aufführung des Videos in Deutschland zu verbieten. 

    Forschungsverbund Mediatisierte Moderne

    Mediale und gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen sich gegenseitig. Der interdisziplinäre Forschungsverbund „Mediatisierte Moderne“ beschäftigt sich mit den kommunikativen Grundlagen des sozialen Wandels und untersucht sowohl empirisch als auch theoreisch den Zusammenhang von Kommunikation und Gesellschaft, Medien und Kultur.

    Jüngste Publikationen von Professor Dr. David Altheide

    Zu seinen jüngsten Buchveröffentlichungen zählen „Terrorism and the Politics of Fear“ (2006) und „Creating Fear: News and the Construction of Crisis“ (2002) die als Debattenbeiträge im Gefolge von 9/11 Stellung bezogen.

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    Mehr ZU|Daily
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    Das Internet eröffnet die Möglichkeit, repräsentative Demokratie als Herrschaftsform eines souveränen Volkes zu verwirklichen, legt aber auch Zwänge auf, sagt Professor Dr. Dirk Heckmann.
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    Die Grenzen zwischen Politik, Kunst und Kultrurräumen reißt Anahita Razmi mit ihrer Kunst bewusst ein. Ein Beispiel dafür ist ihre Tanzperformance auf den Dächern Teherans, die in einer Videoinstallation an der ZU zu sehen ist.
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Welche Rolle spielt die Berichterstattung über das Mohammed-Schmähvideo angesichts der Ausschreitungen in der arabischen Welt? 


Professor Dr. David L. Altheide: Vor allen Dingen sollten wir die Macht des Internets und konkreter die Rolle sozialer Netzwerke in unserem Leben anerkennen. Besonders interessant an der aktuellen Situation ist für mich, dass eine einzelne Person für die Entstehung dieses Videos verantwortlich ist. Vor einigen Jahren hätte die Stimme einer Person die Aufmerksamkeit seiner Freunde erregt, aber hier hat es ein Individuum paradoxerweise geschafft, Staatsoberhäupter zu beschäftigen und massive Ausschreitungen und Zerstörungen auszulösen.

Mohammed-Schmähvideo


Warum wird die Stimme eines Einzelnen so ernst genommen?

Altheide: In der internationalen Diplomatie ist die Realität der neuen Medien noch nicht angekommen. In der Vergangenheit wurden Vorkommnisse dieser Art von Staatsoberhäuptern sanktioniert, weil die globale Kommunikation mehr oder weniger mit offiziellen Positionen übereinstimmte. Es hatten schlichtweg nur sehr wenige Menschen Zugang zu diesen Medien. Die aktuelle Situation ist vergleichbar mit einem soziologischen Experiment: Ist es möglich, dass eine Person, tausende von Personen und Diplomaten weltweit gegen sich aufbringen und sogar inoffizielle Morddrohungen von Regierungsrepräsentanten provozieren kann?

…und es war möglich.

Altheide: Das zeigt uns, wie mächtig die neuen Medien schon sind. Das Problem liegt nun darin, dass weite Teil der Welt ihre Erwartungen, die diplomatischen Kanäle sowie die Reaktionsgeschwindigkeit und -art noch nicht daran angepasst haben. Doch das ist dringend notwendig, da mediale Phänomene wie das Mohammed-Video zur Normalität gehören werden.

Wie sollten Regierungen konkret damit umgehen?

Altheide: Vor allen Dingen sollten die Staatsoberhäupter und ihre Mitarbeiter eine Art Ausbildung zum Wesen der neuen Medien und der durch sie hervorgebrachten kommunikativen Umwelt durchlaufen. Außerdem ist es entscheidend, dass die Regierungen verdeutlichen, dass dies Ansichten einer einzelnen Person sind und diese nicht akzeptiert und unterstützt werden. Aber angesichts der existierenden Technologie und der Freiheit, die von den Vereinigten Staaten und großen Teilen der zivilisierten Welt hochgehalten wird, müssen wir diese Meinungsäußerung so hinnehmen. Präsident Obama sagte kürzlich in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung, dass er es uneingeschränkt akzeptiere, dass sich einzelne Personen im Netz über ihn lustig machen und ihn beschimpfen. Er finde das zwar nicht gut, aber so funktioniere eine freie Gesellschaft nun mal.

Die neuen Medien seien enorm mächtig, doch weite Teile der Welt hätten unter anderem ihre Reaktionsgeschwindigkeit und -art daran noch nicht nicht angepasst, sagt Altheide.
Die neuen Medien seien enorm mächtig, doch weite Teile der Welt hätten unter anderem ihre Reaktionsgeschwindigkeit und -art daran noch nicht nicht angepasst, sagt Altheide.

Das durch die Medien vermittelte Bild über die Ausschreitung in der arabischen Welt zeigt aber, dass eine Distanzierung der Regierungen vom Video die Situation nicht entschärft.

Altheide: Der wichtigste Aspekt ist, dass die meisten Menschen in der muslimischen Welt die gewaltsamen Ausschreitungen nicht unterstützen. Religiöse Menschen allgemein, eine gewisse Grundbildung vorausgesetzt, unterstützen in aller Regel keine Gewalt. Es ist schlichtweg ein Fehler, zu behaupten, dass die Ausschreitungen die Reaktion der arabischen Welt auf das Video ist. Typischerweise sind es bestimmte Gruppen in einem Land, in einem politischen System, die diese Situation zu ihrem eigenen Vorteil nutzen.

Die Medien vermitteln uns also ein falsches Bild von der arabischen Welt?

Altheide: Das liegt in der Natur der Massenmedien. Sie brauchen spektakuläre Bilder, zeigen Gewalt und verwenden einfache Geschichten: Die muslimische Welt gegen die Vereinigten Staaten zum Beispiel. Es müsste viel mehr Mühe aufgebracht werden, um das Geschehen in einen Kontext einzuordnen. Es sollte berichtet werden, was andere Menschen, die nicht in das einfache Deutungsschema passen, zu sagen haben. Es sollten die vier oder fünf anderen Seiten einer Geschichte gezeigt werden, um die Komplexität zu verdeutlichen.

Aber damit würde die Massenmedien nicht mehr ihrer Systemlogik folgen: dem Präsentieren von einfachen Wahrheiten.


Altheide: Natürlich, das ist Teil der Medienlogik. Aber ich bin nicht sicher, ob die Regierungen wirklich die gegenwärtige Dynamik des Medienwandels erkannt haben, verstehen, wie die verschiedenen Medien funktionieren, welchen Einfluss sie haben und wie sie die Machtverhältnisse ändern. Medien bieten heutzutage auch für einzelne Personen eine Plattform, die es ermöglicht, die Interessen von sehr kleinen gesellschaftlichen Gruppen zu verfolgen. Darauf sollten wir vorbereitet sein, weil dieses Phänomen häufiger auftreten wird.

Forschungsverbund Mediatisierte Moderne


Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk sagte, Terrorismus ist die Kunst, von sich reden zu machen.

Altheide: Das ist der entscheidende Punkt. Politiker spielen gern mit dem Diskurs über Angst und der Gefahr, die angeblich überall lauert. Sie benutzen dies für ihre eigenen politischen Zwecke. Bestimmten Zuschauergruppen wird es so sehr einfach gemacht, sich eine Meinung über die andere Seite, zum Beispiel der muslimischen Welt, zu bilden. Aber die Medien vermitteln eben oftmals ein falsches Bild, sie thematisieren diesen Konflikt zwischen Ost und West und lassen ihn real erscheinen. Und das dient natürlich bestimmten politischen Interessen.

Kann die mediale Berichterstattung einen Konflikt gar verschlimmern?

Altheide: Sie kann einen Konflikt anheizen und Stereotypen verstärken. Dann heißt es: Wir gegen die anderen, anstatt die Diversität und Komplexität eines Konfliktes zu beleuchten. Aber der entscheidende Punkt bei der Berichterstattung über Ausschreitungen in der arabischen Welt, die die Bilder von brennenden Häusern hervorbringen, ist die Deutung dieser Bilder. Wie interpretieren wir sie, natürlich verurteilen wir die Vorgänge, aber was bedeuten sie konkret? Man kann es Rebellion, Aufstand, oder schlicht strafbare Handlung nennen, und diese Bezeichnung spielt eine Rolle. Aber es macht einen Unterschied, ob man diese Vorgänge dann so darstellt, als wäre es die geschlossene Reaktion der muslimischen Welt. Deswegen ist Journalismus so wichtig, und einer der wichtigsten Berufe überhaupt. Journalisten müssen Klarheit schaffen und die Bedeutung erklären, auch wenn das mehr Zeit in Anspruch nimmt und Menschen langweilt. Sie müssen weiterhin Wege finden, die Komplexität solcher Ereignisse und Komplexität an sich zu beschreiben. Wenn sie es nicht tun, nehmen die Menschen falsche Eindrücke mit.



Anmerkung der Redaktion: Aus Redaktionssicht sind wir uns der Tatsache bewusst, dass es sich durch diese Berichterstattung nicht nur um eine erneute Darlegung der viel beachteten Reaktionen auf das Video, sondern durch die Betrachtung der Debatte auch um eine weitere Drehung in dessen Rezeption handelt.


Bild: bluefinlabs.com

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Zeit, um zu entscheiden

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