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Professor Dr. Klaus M. Leisinger ist Präsident des Stiftungsrates der Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung und Professor für Soziologie an der Universität Basel. Am Lehrstuhl für Soziale Ungleichheit, Konflikt- und Kooperationsforschung liegen seine Forschungsschwerpunkte bei Entwicklungspolitik, Unternehmensethik und Globalisierung. Er arbeitete als Berater für Organisationen wie den UN Global Compact, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, der Beratungsgruppe für Internationale Agrarforschung der Weltbank, die Asian Development Bank sowie die Entwicklungskommission von Lateinamerika. Außerdem ist er Kuratoriumsvorsitzender des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik, Mitglied des Expertenrats der Ethischen Globalisierungsinitiative und des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Leisinger verbrachte mehrere Jahre als Geschäftsführer eines pharmazeutischen Regionalbüros in Ostafrika.
Der Global Compact der Vereinten Nationen ist eine Initiative von Unternehmen. Sie verpflichten sich, in ihrer Unternehmenstätigkeit Grundsätze in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung zu beachten. Der Global Compact operiert seit Juli 2000 und hat mittlerweile 8.700 Teilnehmer aus mehr als 140 Ländern. Dazu gehören große Konzerne, kleine und mittelständische Unternehmen wie auch wissenschaftliche Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen.
Kritiker bezeichnen den Global Compact als Werbeinstrument, bei dem beteiligte Unternehmen vom Ruf der Vereinten Nationen profitieren, ohne ernsthafte Verpflichtungen einzugehen.
Das European Center for Sustainability Research | ECS ist eine unabhängige Plattform für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung an der Zeppelin Universität mit dem Anspruch, Nachhaltigkeit als vielschichtige Problemlage zu erfassen und einen Deutungs- und Forschungsansatz zu entwickeln, der eine neue und umfassende Sicht der Nachhaltigkeit widerspiegelt. Neben der wissenschaftlichen Grundlagenforschung in diversen Disziplinen zum Thema Nachhaltigkeit will es es zu einer dynamischen Entwicklung der Nachhaltigkeitsforschung beitragen. Dazu soll ein starkes Netzwerk aus anerkannten Forschungseinrichtungen etabliert und der aktive Austausch und die Zusammenarbeit durch Netzwerkarbeit und regelmäßige Veranstaltungen aktiv gefördert werden.
Wenn Großunternehmen Menschen wären, würden sie wahrscheinlich als schizophren, mindestens aber als höchst ambivalent eingestuft werden. Einerseits verstoßen gerade große Konzerne immer wieder gegen insbesondere in der westlichen Welt herrschende Wertvorstellungen. Kinderarbeit global produzierenden Textilherstellern, unterlassene Wartungsarbeiten von Ölkonzernen oder Arbeitsrechtsverstöße in der Kommunikations- und IT-Branche sind nur einige Beispiele dafür. Solche Nachrichten schaden dem Image der betroffenen Unternehmen und Branchen. Schon vor einiger Zeit hatten 81 Prozent der Deutschen laut Infratest dimap wenig oder gar kein Vertrauen in Großunternehmen. Auf der anderen Seite entedecken teilweise dieselben Unternehmen derweil ihre Rolle als „Corporate Citizen“, also als verantwortungsvolles Mitglied der Gesellschaft neu.
Konzerne bewegen sich innerhalb eines Interessenspluralismus’. Auf den internationalen Geschäftsfeldern herrschen unterschiedliche Vorstellungen darüber, was gut oder schlecht, fair oder unfair ist. Die genannten Beispiele zweifelhaften Verhaltens sind Ausdruck von Dilemmata, vor denen Unternehmen stehen. Sie sind für den Soziologen Professor Dr. Klaus M. Leisinger innerhalb wachsender Komplexität maßgeblich für den augenblicklichen Globalisierungsstand und durch kein Patentrezept zu lösen. Im Oktober diskutierte er dies im Rahmen der ‚Sustainability Lecture and Discussion Series’ des European Center for Sustainability Research (ECS) an der Zeppelin Universität.
In einem Dilemma ziehen alle verfügbaren Handlungsoptionen ungewollte Folgen nach sich ziehen. Oder aber jede Handlung bedeutet, dass auf die positiven Folgen der jeweils anderen Option verzichtet werden muss. Im Fall von schlechten Arbeitsbedingungen besteht die Wahl zwischen höheren Kosten und möglichen Imageverlusten. Doch nicht nur Unternehmen, auch Verbraucher stehen vor Dilemmata und verhalten sich ambivalent. Der Gesamtumsatz von fair gehandelten Produkten ist laut TransFair-Geschäftsführer Dieter Overath seit 2002 um das Achtfache gestiegen. Doch die Konsumenten sind bei weitem nicht konsequent: Meldungen über katastrophale Arbeitsbedingungen und Ausbeutung bei der Produktion des iPhone 5 haben offenbar nicht vom Kauf des Mobiltelefons abgeschreckt. Das iPhone und die Fairtrade-Schokolade gelten beide als schick. Provozieren letzten Endes die Verbraucher das ambivalente Verhalten von Unternehmen? Angenommen, Kunden könnten verantwortlich handelnde Unternehmen identifizieren, würden ihre Produkte bevorzugen und auch zu höheren Preisen kaufen. Dann hätten Unternehmen ein ernsthaftes Interesse an moralischem Verhalten. Angenommen, eine Unternehmensleitung hätte sich hierzu entschlossen, leicht wäre eine konsequente Umsetzung noch lange nicht. Denn Unternehmen werden zwar oft personifiziert, doch vielmehr ist jeder Konzern eine Organisation, in deren Namen tausende Menschen handeln.
Professor Dr. Klaus M. Leisinger kennt die praktische und die wissenschaftliche Seite dieser Frage. Er ist Präsident des Stiftungsrates der Novartis Stiftung, war als politischer Berater auf UN-Ebene tätig und ist an der Universität Basel Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Soziale Ungleichheit, Konflikt- und Kooperationsforschung.
Laut Leisinger kann ein verantwortliches Verhalten auf Mitarbeiterebene nur durch ganzheitliche Führung umgesetzt werden. Die müsse sich in der Auswahl, Beurteilung und Beförderung von Mitarbeitern niederschlagen. Anreizkriterien sollten so gestaltet werden, dass Mitarbeiter, die gegen die Werte verstießen, sanktioniert und gegebenenfalls sogar entlassen werden könnten, denn: „Die moralische Normalverteilung ist in einem Konzern nicht schlechter oder besser als bei der Caritas. Und wenn der Gute im Unternehmen der Dumme ist, sollten Sie nicht damit rechnen, dass sie mehr als die 10 bis 15 Prozent Idealisten im Unternehmen auf Ihre Seite bekommen.“
Und auch dann zählt weiterhin laut Leisinger: „Schwarz-Weiß-Fragen sind Intelligenzfragen“, nur seien in der Realität die wenigsten Antworten schwarz-weiß. Selbst wenn sich ein Unternehmen dem Global Compact der Vereinten Nationen verschrieben hat, ist selten klar, wie seine konkrete Umsetzung aussieht.
Der Compact fordert unter anderem einen Ausschluss von Diskriminierung in Bezug auf Beschäftigung und Beruf. Für Leisinger bezeichnend ist hier der Fall Indiens. In der indischen Gesellschaft ist das Kastensystem die traditionelle Gesellschaftsordnung. Gemäß dieser wird man in der Konzernleitung nur Brahmanen, Angehörige der höchsten Kaste, und bei den Reinigungskräften nur Harijanis, Zugehörige der Unberührbaren, finden. So etwas kann man als Diskriminierung werten und dagegen vorgehen, beispielsweise, indem man eine gleichmäßige Repräsentanz der einzelnen Kasten in der Geschäftsleitung durchsetzt. Hier treffen jedoch laut Leisinger die Wertvorstellungen unterschiedlicher kultureller Sozialsysteme aufeinander. Westliche Vorstellungen über Fairness und Gerechtigkeit stoßen dabei an ihre Grenzen. „Lasst uns da nicht überheblich oder arrogant sein“, fordert er: „Es ist keineswegs so, dass am deutschen oder amerikanischen Wesen die Welt genesen muss.“
Unbequem und aufwändig ist die Auseinandersetzung mit solchen Situationen, in denen es kein richtig oder falsch gibt. Trotzdem sollte sie in jedem Fall stattfinden und zwar am besten im respektvollen Dialog mit so vielen Stakeholdern wie möglich, so Leisinger. Auch wenn es für Pharmakonzerne beispielsweise leichter wäre, sich nur mit Vertretern der eigenen Branche zu umgeben, als mit Kritikern von Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen. Leisinger: „Aber wo wollen wir lernen? Bei denen, die nur gleich reden und gleich denken wie wir?“ Verantwortungsvolles Handeln beachtet die verschiedenen Faktoren und Interessengruppen, die das Unternehmen beeinflussen und von denen es gleichzeitig auch beeinflusst wird. Und ein solches Handeln zahlt sich nach einer aktuellen Studie von TNS Emnid aus. 81 Prozent der befragten Vertreter aus Wissenschaft, Fachjournalismus, Wirtschaftspolitik und Großkonzernen glauben demnach, dass es Unternehmen, die schon heute CSR-Strategien verfolgen, im Vergleich zu anderen Unternehmen in zehn Jahren besser gehen wird.
Bild: dioxin (flickr)