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Dr. Marian Adolf ist Juniorprofessor für Medienkultur und Mitglied des Karl-Mannheim-Lehrstuhl für Kulturwissenschaft an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen am Bodensee. Seine besonderen Forschungsinteressen liegen in der Mediensoziologie, den Media Cultural Studies und der kritischen und konstruktivistischen Epistemologie. Zuvor lehrte und arbeitete der gebürtige Österreicher bereits in Wien, Innsbruck und Mannheim.
Einen unerwarteten Aufschwung erlebte die Financial Times Deutschland nach zwölf Jahren in ihren letzten Zügen vor allem in den verschiedenen sozialen Netzwerken. Um sich mit Anstand zu verabschieden, hatte sich Chefredakteur Sven Oliver Clausen mit seiner Truppe einiges ausgedacht. Die Benefizauktion der FTD-Devotionalien brachte mehr als 40.000€ für die Organisation „Reporter ohne Grenzen" ein. Spitzenreiter unter den Erinnerungsstücken war eine Originalzeichnung von Karl Lagerfeld, die für 11.700 Euro den Besitzer wechselte. Mit einem Ergebnis von 1.910 Euro landete die mutmaßlich größte Seite der Financial Times Deutschland, die je existierte (rund 300x200 Zentimeter bedruckte Leinwand auf Holz gespannt) auf Platz 2. Ein Heuschrecken-Setzkasten wechselte für über 1200 Euro den Besitzer.
Die letzte Ausgabe wurde mehrfach nachgedruckt, der Online-Shop brach unter dem enormen Ansturm immer wieder zusammen. Derweil feierten die FTD-Mitarbeiter bei ihrer Abschiedsparty im Hamburger Edelfettwerk laut Berichten bis 6 Uhr morgens.
Bereits seit Jahren wird über das Ende der klassischen Zeitung orakelt. 2009 schloss sich sogar Medienmogul Rupert Murdoch im Fernsehsender Fox den Spekulationen an: „Ich sehe den Tag kommen, in vielleicht 20 Jahren, wo es kein Papier und keine Druckfarbe und Rotationsmaschinen mehr gibt." Immerhin zwei Prozent aller weltweit vertrieben Medien sollen unter Murdochs Einfluss stehen; eine gewichtige Meinung. Neben ihm deuten tausende Blogger im Netz der Tageszeitung eine schwarze Zukunft. „Print ist tot!“, ist da zu lesen, „Hat Printjournalismus eine Zukunft?“ wird an anderer Stelle gefragt.
Für Marian Adolf, Juniorprofessor für Medienkultur an der Zeppelin Universität, ist es zu simpel, vom Ende der Tageszeitung zu sprechen: „Meiner Meinung nach erleben wir trotz der aktuellen Häufung kein Artensterben der Tageszeitung.” Für Adolf hat die „Flurbereinigung der deutschen Printmedienlandschaft” sehr wohl auch strukturelle Gründe, bedarf aber der individuellen Analyse. „In einigen Fällen treffen spezifische und strukturelle Probleme nun zusammen", erklärt Adolf die aktuelle Entwicklung: „Das sind einerseits sinkende Erlöse auf dem Print-Anzeigenmarkt bei gleichzeitiger Umverteilung der Werbebudgets. Die Einbrüche 2008 und 2009 konnten nach Erholung der wirtschaftlichen Situation in Deutschland nicht gänzlich wettgemacht werden. Andererseits wissen wir, dass das Mediennutzungsverhalten sich verändert. Generell gilt: je jünger, desto Internet.“ Für Adolf ist letztlich eine Analyse des Einzelfalls nötig. Warum ein Medium scheitert, habe so viele Ursachen, dass sich nichts pauschalisieren ließe: „So war die Frankfurter Rundschau seit Jahren defizitär; der Zeitpunkt der Einstellung hätte also auch schon um einiges früher kommen können“, sagt Adolf.
Doch trotz aller Tendenzen: Vor allem für die Betroffenen kam das Ende ihrer Arbeitgeber plötzlich und mit besonderer Härte. „Wie geht es jetzt weiter?“, fragte man von „Deutschlandradio Kultur“ Anfang Dezember den Chefredakteur der kürzlich „verstorbenen“ Financial Times Deutschland, Sven Oliver Clausen. Kurz davor hatte die Financial Times auf Facebook zu möglichen Alternativen zu ihr selbst gepostet: „Deine Mudda liest das Handelsblatt.“ Tausenden gefiel das. Erst in den letzten Wochen rund um ihr Ende generierte das 2000 gegründete Wirtschaftsmagazin das Interesse, das das Medienhaus Gruner und Jahr über eine Dekade vermisst hatte. Man wolle sich „mit Anstand“ verabschieden, erklärte Clausen diese „kleine Welle an Kreativität“. Und weiter: „Die meisten haben jetzt die letzten Wochen wirklich dafür gearbeitet, dass wir würdevoll unsere Arbeit beenden, und sich noch gar keine Gedanken über ihre Zukunft gemacht.“
Bei mehr als 340 Tageszeitungen, so der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger im aktuellen Zeitungsjahrbuch, könnte man schnell von trügerischer Sicherheit für die Zukunft des Sektor ausgehen und die aktuellen Verluste beiseite schieben. Marian Adolf möchte „generelle Weissagungen über die Zukunft der Tageszeitung“ lieber in das „Reich der Spekulation“ verbannen. Denn auch, wenn sich in den letzten Monaten schlechte Meldungen im Printbereich häuften: „Es scheint mir trotzdem höchst unwahrscheinlich, dass die Tageszeitung als mediale Gattung aussterben wird“, erklärt Adolf. Schließlich gebe es auch genügend Beispiele, die zeigten, wie die Zeitung heute noch funktioniere: „Beispielsweise als Gratiszeitung in Ballungsgebieten geht es ihr sehr gut. Aber nicht nur am Boulevard kann man auch heute noch erfolgreich Print machen. Die ZEIT zeigt, wie Qualität und Erfolg zusammengehen können!“
Doch trotz zunächst teils konstanter Leserzahlen existiert ein Phänomen, das kein Zeitungshaus ignorieren kann: „Mit dem Aufstieg des Internet und seinen neuen Plattformen und Angeboten wird auch die Tageszeitung von der Umstrukturierung des Mediensystems erfasst. Wie das neue Gefüge aussehen wird, ist eine Frage, die nicht nur die Wissenschaft brennend interessiert“, gibt Adolf zu. „Der Trend scheint jedoch klar: Empirische Untersuchungen zeigen, dass sich unser Mediennutzungsverhalten weiter individualisiert. Unsere Medienrepertoires werden breiter und bunter. Es ist anzunehmen, dass die Vielfalt des Medienangebots weiter steigt, noch mehr special interest, noch mehr Experiment. Als Leitmedien, die wir weiterhin brauchen werden, haben die 'big player' einen eindeutigen Überlebensvorteil, so auch im Printbereich."
Mögliche nachhaltige Modelle werden momentan in der Praxis genauso wie in der Wissenschaft heiß diskutiert. Für die langjährige Medienschaffende Sabine Haas kommt es in Zukunft vor allem auf Multidisziplinarität an. In einem Blog schreibt sie: „Die Probleme und Herausforderungen, denen Zeitungsverlage gegenüberstehen, erscheinen mir sehr vielfältig. Nicht alle sind digital begründet, und nicht alle lassen sich digital lösen. Legt man diesen Tunnelblick erst einmal ab, finden sich auch mehr Perspektiven zur Weiterentwicklung als bislang diskutiert.“ Adolf unterstreicht diese These, auch abseits der reinen Inhaltsproduktion. Denn: „Nicht nur die wirtschaftliche Zukunft der Tageszeitungen hängt auch an der Entwicklung neuer Bezahl- und Erlösmodelle im professionellen Journalismus“, eröffnet Adolf ein neues, heiß diskutiertes Themenfeld. Wie die Zukunft des Print in der Konkurrenz oder sogar im Zusammenspiel mit dem Internet aussehen wird, wissen heute weder Praktiker noch Wissenschaftler: „Da suchen zurzeit alle nach dem Stein der Weisen“, gibt Adolf zu.
Fotos & Grafik: Financial Times Deutschland