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Kartellrecht

Ein anderer Ansatz wäre sinnvoll

Unternehmen brauchen Rechtssicherheit, um effizient agieren zu können. Deswegen wäre es sinnvoll, Kooperationen von vornherein zu erlauben, wenn sie bestimmte Merkmale erfüllen.

Professor Dr. Peter Kenning
 
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    Zur Person
    Professor Dr. Peter Kenning

    Professor Dr. Peter Kenning ist seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Zeppelin Universität. Kenning promovierte und habilitierte an der Universität Münster und ist einer der Begründer der neuroökonomischen Forschung. Als erster deutscher Ökonom schaffte es Kenning, Artikel in sowohl wirtschafts- als auch neurowissenschaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen. Seine grundlegenden Kenntnisse der Hirnforschung erarbeitete sich Kenning unter anderem an der Harvard Medical School. 

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    Factbox
    Gesetze zum Kartellrecht

    Paragraph 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen untersagt allgemein jegliche Art von Abrede zwischen Marktteilnehmern, die sich verhindernd, einschränkend oder verfälschend auf den Wettbewerb auswirken.
    Ausnahmeregelungen finden sich in Paragraph 2GWB, so etwa der Verweis auf Gruppenfreistellungsverordnungen. Dabei handelt es sich etwa um Vertriebs- oder Franchisesysteme, in denen Preisstrukturen durchgesetzt werden können, wenn sie im Vorfeld genehmigt wurden. Werden Preisbindungen im Vorfeld nicht genehmigt, obliegt es dem Unternehmen, diese Maßnahmen per Effizienzeinrede im Nachhinein zu begründen, andernfalls drohen kartellrechtliche Sanktionen.

    Intra- und Interbrandwettbewerb

    Interbrandwettbewerb:
    Hier handelt es sich um Wettbewerb zwischen Unternehmen der selben Wettbewerbsstufe. Absprachen werden hier als horizontale Wettbewerbsbeschränkung bezeichnet. Die Hersteller konkurrieren mit Ihren Produkten auf der selben Wertschöpfungsebene.


    Intrabrandwettbwerb:
    So wird der Wettbewerb zwischen Marktteilnehmern unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen bezeichnet. Preisbindungen sind hier grundsätzlich ebenso untersagt, es gibt jedoch Ausnahmen, beispielsweise die Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften, Gruppenfreistellungsverordnungen oder Lizenzverträge. Darüber hinaus regelt ein sog. Diskriminierungsverbot, dass kleinere Händler nicht mit Androhung von Nichtbelieferung vom Wettbewerb ausgeschlossen werden können, etwa durch Hersteller mit hoher Marktmacht. 

    Verbrauchertypen

    Bei verletzlichen Verbrauchern handelt es sich um diejenigen, die sehr wenige Vorkenntnisse besitzen, beispielsweise über Finanzprodukte, Energiemärkte oder Lebensmittel. Die vertrauenden Verbraucher dagegen verlassen sich zum Beispiel darauf, dass der Staat im Zweifel eingreift. Die Verantwortungsvollen sind diejenigen, die am stärksten selbst Informationen beschaffen, also etwa bei der Stiftung Warentest oder bei Verbraucherzentralen. Das Forscherteam um Professor Dr. Peter Kenning geht davon aus, dass der Preis in diesen Gruppen unterschiedliche Funktionen übernimmt. Zum Beispiel, dass der verletzliche Verbraucher aus der Preisinformation auf die Qualität des Gutes schließt: „Was nichts kostet, ist auch nichts.“ Und umgedreht: Teurere Produkte hätten eine bessere Qualität. Der zweite Aspekt ist problematisch für die Markenartikelindustrie, weil diese in der Regel versucht, mit dem Preispegel höhere Qualitäten im Markt sichtbar zu machen.

    Aufruf zur Studienteilnahme

    Das Institut von Peter Kenning benötigt noch Probanden für die Studie zu Verbrauchertypen. Bitte registrieren Sie sich auf der Website (klick) und unterstützen Sie aktiv die Forschung und damit empirisch fundierte wettbewerbspolitische Entscheidungen. 

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    Dossier
    Affektive und kognitive Verhaltensstrategien zur Überwindung von Informationsasymmetrien im Konsumgüterhandel – eine empirische Analyse mit kartellrechtlichen Implikationen
    Wobker, I., Kenning P. (2012).
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    Hä...?
    Haben Sie Fragen zum Beitrag? Haben Sie Anregungen, die Berücksichtigung finden sollten?
    Hier haben Sie die Möglichkeit, sich an die Redaktion und die Forschenden im Beitrag zu wenden.
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Sie plädieren für eine Lockerung des Per-se-Verbots vertikaler Preisbindungen. Worum handelt es sich bei diesen Preisbindungen genau?


Peter Kenning: Wir reden da in der Regel von Vereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern in Bezug auf die Abgabepreise an den Endkonsumenten. Als Beispiel, Ferrero liefert Nutella an Lidl, eine vertikale Preisbindung würde bedeuten, dass Lidl bei einer entsprechenden Vereinbarung mit Ferrero das 400-ml-Glas für 1,79 Euro verkaufen müsste. 


Welche Voraussetzungen müssen denn erfüllt sein, damit man von einer rechtswidrigen vertikalen Preisbindung sprechen kann?

Kenning: Sie muss kodifiziert sein oder faktisch gelebt werden. In der Realität ist der Nachweis in der Regel sehr schwer, da das Per-Se-Verbot dazu führt, dass entsprechende Vereinbarungen nicht explizit in die Verträge aufgenommen werden. Eben, weil sie wettbewerbsrechtlich verboten sind. Es kann allerdings faktische Preisbindungen geben, wo zum Beispiel ein starker Markenhersteller über Machtausübung versucht, die Preisbindungen durchzusetzen. Das sind dann Verhaltensweisen, die vom Kartellamt nahezu regelmäßig aufgedeckt, angeprangert und bebußt werden.

Zum Nachlesen: Gesetze zum Kartellrecht


Inwieweit können sich Unternehmen denn heutzutage vom Per-se-Verbot befreien?


Kenning: Kooperationen sind dann erlaubt, wenn sie dem Verbraucher nutzen, wie es Paragraph 2GWB kodifiziert. Dieser Verbrauchernutzen kann in einer Effizienzverbesserung bestehen, zum Beispiel in der verbesserten Distribution der Güter oder auch in der Verbesserung des technischen Fortschritts. Durch diese Ausnahmen versucht man unter anderen, Innovationskooperationen zu befördern. Im dynamischen Wettbewerb besteht aber in der Realität ein wesentliches Problem der Unternehmen darin, diesen Nachweis für die sogenannte Effizienzeinrede zweifelsfrei zu erbringen. So müssen die Effizienzvorteile nachprüfbar sein, spezifisch sein, und schließlich muss nachgewiesen werden, dass sie vorteilhaft für den Verbraucher sind. Das ist juristisch relativ komplex und gelingt nur selten. Unternehmen brauchen hingegen Rechtssicherheit, um effizient agieren zu können. Deswegen wäre nicht nur nach meiner Meinung ein anderer Ansatz sinnvoll. Dieser sollte Kooperationen von vornherein erlauben, wenn klar ist, dass sie bestimmte Merkmale erfüllen.


Aber wird nicht auch hier Wettbewerb unterbunden und eine langfristige Entwicklung beeinträchtigt – abgesehen von vielleicht einzelnen Unternehmenserfolgen?


Kenning: Bei Kooperationen und auch bei Fusionen geht es immer um ein Abwägen zwischen einem Zuwachs an Marktmacht und möglichen Effizienzvorteilen. Gerade wenn der Kunde keine Ausweichmöglichkeiten hat, ist eine erhöhte Marktmacht problematisch. Das ist aber auf vielen Märkten, auf denen das Per-se-Verbot ebenfalls gilt, nicht der Fall. Hier herrscht nach wie vor Wettbewerb. Zudem sollte man unterscheiden, um welchen Wettbewerb es eigentlich geht. Im Lebensmittelhandel, der in jüngster Zeit ja häufiger von kartellrechtlichen Interventionen betroffen war, unterscheiden wir zum Beispiel zwei Arten: Den Interbrand- und Intrabrandwettbewerb.


Was versteht man darunter?


Kenning: Intrabrandwettbewerb besteht darin, dass eine Marke bei mehreren Händlern, zum Beispiel Rewe und Lidl, geführt wird, die miteinander im Wettbewerb stehen. Hier ist das Per-se-Verbot wohl wenig sinnvoll. Wenn ein Hersteller seine Preise binden möchte, sollte er die Möglichkeit dazu haben, wenn der Kunde hinreichend Ausweichmöglichkeiten hat. Im Interbrandwettbewerb stehen hingegen verschiedene Hersteller im Wettbewerb. Funktioniert dieser Wettbewerb, hätte der Kunde auch bei Preisbindungen im Intrabrandbereich jeweils die Ausweichmöglichkeit zwischen preislich verlässlich positionierten und preislich in Wettbewerb stehenden und mit entsprechender Varianz ausgestatteten Produkten. Es gäbe dann einen Wettbewerb der Preisbindungssysteme. Momentan benachteiligt man eine bestimmte Preispolitik, ohne dass es dafür einen sachlichen Grund gibt. Dies führt meiner Meinung nach dazu, dass die Angebotsvielfalt durch den Schutz starker Marken und die Erweiterung der Vielfalt durch den Schutz von Investitionen und Innovationen unnötig gefährdet wird.

Zur Information: Intra- und Interbrandwettbewerb


Sie forschen zu verschiedenen Verbrauchertypen, die unterschiedlich auf Preise reagieren. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Verbot vertikaler Preisbindung?


Kenning: Wir unterscheiden grundsätzlich drei verschiedene Verbrauchertypen: Die verletzlichen, die vertrauenden und die verantwortungsvollen Verbraucher. Diese drei Typen unterscheiden sich mit zunehmendem Grade in ihrer Informiertheit. In unserem laufenden Experiment versuchen wir, die Wirkung von Preisvarianz marktformenspezifisch auf diese Verbrauchertypen zu quantifizieren. Beispielsweise könnte eine Erkenntnis sein, dass schlecht informierte Kunden, die Verletzlichen, durch viele unterschiedliche Preise in Bezug auf die Qualität unsicher werden und eher zu einer Konsumzurückhaltung neigen. Dies wäre aus wohlfahrtsökonomischer Sicht problematisch.

Zur Information: unterschiedliche Verbrauchertypen


Somit wirken die Preisunterschiede im Handel teilweise negativ auf bestimmte Konsumenten...


Kenning: Zumindest vermuten wir dies. Unsere Hypothese ist, dass die Verbraucher nicht in gleicher Weise von variierenden Preisen profitieren und eventuell eine Gruppe zu Lasten der anderen davon profitiert. Und die Konsumzurückhaltung in einer Gruppe kann auch Auswirkungen haben, beispielsweise in Form eines Rückgangs von Dienstleistungen im Handel. Wenn fachlich kompetente Beratung etwa durch Käufe im Internet nicht refinanziert werden kann, leiden hier ebenfalls bestimmte Verbrauchergruppen. Da diese Zusammenhänge noch nicht hinreichend erforscht sind, hoffen wir, mit unseren Arbeiten einen nicht nur wettbewerbsrechtlich, sondern auch verbraucherpolitisch relevanten Beitrag leisten zu können. 



Bild: vauvau/flickr.com

Mehr zum Thema: Studie von Wobker/Kenning


Aufruf zur Studienteilnahme


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Zeit, um zu entscheiden

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