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Daniel Oppold studierte Politik- und Verwaltungswissenschaften (PPM) an der Zeppelin Universität. Sein Praxissemester absolvierte er unter anderem im Büro für Zukunftsfragen in Vorarlberg. Seit dem Abschluss seines Bachelorstudiums arbeitet Daniel Oppold in der Organisationsentwicklung der Holding eines Sozialdienstleistungsunternehmens. Im Herbst 2014 möchte er sein Masterstudium angehen.
Das Büro für Zukunftsfragen ist eine Stabsstelle im Amt der Vorarlberger Landesregierung, die direkt dem Landeshauptmann zugeordnet ist. Sie ist mit der Förderung und Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements beauftragt. Für die BürgerInnenräte leistet das Büro für Zukunftsfragen Unterstützung bei der Zufallsauswahl, Moderatorensuche und Moderatorenausbildung. Außerdem stellt es die bisher gesammelten Erfahrungen mit dem Beteiligungsverfahren in Open-Source Manier zur Verfügung.
Die BürgerInnenräte gehen auf einen Idee (Wisdom Councils) aus den USA zurück.
Die Gemeinde Wolfurt führte 2006 als erste Kommune in Österreich die Methodik eines Wisdom-Council unter dem Namen BürgerInnenrat durch. Seitdem wurden in Vorarlberg über 30 BürgerInnenräte auf kommunaler, regionaler und sogar landesweiter Ebene durchgeführt. Mittlerweile wenden auch Kommunen in Deutschland, Südtirol und der Schweiz das Verfahren an. Im Herbst 2012 fand der erste bundesweite BürgerInnenrat in Österreich statt. Aufgrund des großen Erfolges der BürgerInnenräte, hat der Vorarlberger Landtag Anfang des Jahres ein Bekenntnis zur Bürgerbeteiligung in der Landesverfassung verankert und somit einen rechtlichen Grundstein für die Entwicklung der partizipativen Demokratie im Land gelegt.
Was ist der BürgerInnenrat?
Daniel Oppold: Ein einfaches, kostengünstiges und effektvolles Bürgerbeteiligungsverfahren. Ein BürgerInnenrat setzt sich aus 12 bis 15 zufällig ausgewählten Personen zusammen, die grob das gesellschaftliche Spektrum einer Gemeinde, Region oder eines Landes abbilden sollen. Während einer eineinhalbtägigen Klausur werden gemeinsam Lösungs- und Verbesserungsvorschläge zu allgemeinen oder konkreten Problemen erarbeitet. Ein BürgerInnenrat wird immer von erfahrenen und speziell geschulten Moderatoren begleitet.
Wie finden sich die Mitglieder eines BürgerInnenrates zusammen?
Oppold: Ein BürgerInnenrat kann verschiedene Initiatoren haben. Meist lädt der Bürgermeister ein. Es ist aber auch möglich, das Verfahren durch eine Bürgerinitiative zu starten. Aus dem Melderegister werden dann per Zufallsprinzip 12 - 15 Personen ausgewählt und dazu eingeladen, sich unter Anleitung eines erfahrenen Moderators mit der aufgeworfenen Fragestellung zu beschäftigen. Für jede Anwendung eines BürgerInnenrates wählt der Zufallsgenerator die Teilnehmer erneut aus.
Es kann also theoretisch jeden Wahlberechtigten treffen?
Oppold: Ja. Natürlich hat dieses Prinzip auch seine Herausforderungen. Bevor sich 15 Personen zur Teilnahme bereit erklären, müssen manchmal bis zu 500 Bürger angeschrieben werden. Die meisten haben keine Zeit, sehr oft wissen die Eingeladenen aber auch schlicht nicht, was es mit dem Rat auf sich hat und sagen deshalb ab. Dadurch findet immer eine Art Selbstselektion statt, denn manche Bevölkerungsgruppen sagen eher zu als andere. Man versucht diese Effekte durch eine Nachrekrutierung auszugleichen, indem man dann speziell unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen einlädt. Je größer die Diversität der Gruppe, desto besser ist das für den Verlauf und die Ergebnisqualität.
Nimmt mit der Diversität nicht auch das Chaos zu?
Oppold: Genau das ist ja unbedingt gewollt. Verschiedene Sichtweisen sollen aufeinander treffen, die Leute sollen ihre eigenen Präferenzen und Normvorstellungen hinterfragen und sich an den Sichtweisen anderer reiben.
Und dabei entstehen gute Ideen?
Oppold: Ja, definitiv. Der Ablauf des Rates selbst ist zwar ein Prozess, der auf den ersten Blick chaotisch wirkt. Die Moderationsmethode lässt ein gewisses Chaos zu und kommt dabei aber zu grandiosen Ergebnissen. Das Ganze lässt sich schwer auf ein paar einfache Erklärungen herunter brechen – eigentlich sollte es jeder einmal selbst erlebt haben.
Wie laufen die Treffen des BürergInnenrats konkret ab?
Oppold: Ein BürgerInnenrat tagt meist von Freitagnachmittag bis Samstagabend. Ein bis zwei Wochen später werden die Ergebnisse im Rahmen eines Bürgercafés vorgestellt. Nach der Ergebnispräsentation berät eine sogenannte Resonanzgruppe darüber, wie die Ergebnisse und aufgeworfenen Themen weiterverfolgt werden können. Die politischen Gremien schließen dann den Kreis, indem sie über das weitere Vorgehen debattieren und über die Form der Umsetzung entscheiden.
Der BürgerInnenrat selbst kann also keine Entscheidungen treffen?
Oppold: Richtig, es ist ein beratendes Instrument, das lediglich Lösungsvorschläge für gemeinwohlrelevante Fragen erarbeitet. Denn letztlich dürfen ja nur politisch legitimierten Gremien Entscheidungen treffen. Darin liegt aber auch seine Stärke, denn oft werden auch unkonventionelle und kreative Denkrichtungen oder Lösungen angestoßen, die im normalen politischen Entscheidungsprozess gar nicht zutage kommen könnten.
Von welchen Faktoren ist der Erfolg eines BürgerInnenrats abhängig?
Oppold: Der wichtigste Faktor ist die adäquate Anbindung des Verfahrens an den politischen Prozess, den es beraten soll. Der größte Fehler ist, an der falschen Stelle, zum falschen Zeitpunkt oder auch mit unklarer Zielsetzung zu beteiligen. Das Verfahren sollte zur Ideengenerierung eingesetzt werden, zu einem Zeitpunkt, an dem nur wenige oder noch keine Entscheidungen getroffen wurden.
Außerdem müssen die Bürger genau wissen, an was sie beteiligt werden, was der Entscheidungsspielraum ist und wie ihr Engagement letztlich in die politische Entscheidungsfindung einfließt.
Weitere qualitative Erfolgsfaktoren sind die Moderationsmethode und die Gruppenzusammensetzung. Die Gruppe sollte aus möglichst unterschiedlichen Menschen und Ansichten bestehen.
Entsteht auch bürgerschaftliches Engagement über den Rat hinaus?
Oppold: Ja, es gibt zahlreiche Beispiele für Projekte, die im Anschluss an einen Rat entstanden sind, in denen Bürger die Themen in Eigenregie weitergetragen haben. Die Teilnahme an dem Verfahren ermutigt eben auch, sich in anderer Form einzubringen.
Halten Sie den BürgerInnenrat für ein Mittel zu mehr Bürgerbeteiligung?
Oppold: Ja! Meiner Meinung nach ist die Aktivierung der Teilnehmer sogar wichtiger als perfekt ausgearbeitete und umsetzbare Lösungen für ein konkretes Problem. Es geht darum, dass Bürger ihre eigene Verantwortung für Veränderungen erkennen und wahrnehmen. Dass sie sich nicht auf eine konsumistischen Haltung zurückziehen und erwarten, dass „die da oben“ alles regeln.
Ich halte den BürgerInnenrat tatsächlich für ein sehr zukunftsweisendes Modell, das unsere Gesellschaft vorwärts bringen kann – weg vom Individualismus hin zu mehr Gemeinwohl orientiertem Denken.
Gibt es auch Kritiker dieser Laien-Politikberatung?
Oppold: Ich würde nicht sagen, dass es Gegner gibt. Es gibt gewisse Ressentiments, die man auf verschiedenen Ebenen findet. Es kann passieren, dass sich Gemeinderäte überflüssig oder in Konkurrenz gesetzt fühlen. Dann kann es beispielsweise auch Vorbehalte von Seiten der Verwaltung geben, die glaubt dass die Expertensicht dabei zu kurz kommt. Aber die meisten dieser Vorbehalte sind unbegründet und gehen darauf zurück, dass das Verfahren und seine Zielsetzung noch nicht richtig verstanden werden.
Wie sehen die Teilnehmer den Rat und das Verfahren im Allgemeinen?
Oppold: Anfangs natürlich oft mit Skepsis, was sich schon allein daran zeigt, dass bis zu 500 Einladungen verschickt werden müssen. Nach anfänglicher Zurückhaltung sind die meisten aber sehr begeistert dabei und würden hinterher sofort wieder mitmachen.
Bilder: Büro für Zukunftsfragen des Landes Vorarlberg (Titel & Text)