ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Maximilian Nagel studierte Politik- und Verwaltungswissenschaften (PPM) an der Zeppelin Universität. Während seiner Praktika in Public Affairs Beratungen in Berlin und Brüssel arbeitete er für verschiedene private Online-Sportwetten-Anbieter.
Sein Interesse am Politikfeld des Glücksspiels veranlasste ihn, seine Abschlussarbeit über die Novellierung des Glücksspielstaatsvertrags zu schreiben.
Der Glücksspielvertrag ist ein Staatsvertrag zwischen den deutschen Bundesländern. Im Juli 2012 trat der neue Glücksspielvertrag in Kraft. Diese Neuregelung war ein langes Ringen zwischen den Bundesländern.
Zuvor galt der alte Glücksspielvertrag von 2007. Er galt von 2008 bis 2011. Doch nicht nur sein Auslaufen, auch europäisches Recht machte eine Novellierung nötig: Neben dem Verbot von Online-Glücksspiel räumte der Glücksspielstaatsvertrag den staatlichen Anbietern von Lotto und Oddset ein Monopol über Lotto und Sportwetten ein. Bereits Ende Januar 2008 startete die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland mit dem Vorwurf, dass ein Verbot von Online-Glücksspiel nicht konform mit europäischem Recht und somit auch der Vertrag nicht kohärent sei. Außerdem behandelte der Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klagen von acht privaten Anbietern. Im September 2010 urteilte der EuGH, dass Deutschland seine Regelungen weder zufriedenstellend implementiert noch konsistent umgesetzt habe. Es wurden mögliche Zielkonflikte von staatlichen Lottoanbietern auf Grund von zu aggressiver Werbung sowie die Nicht-Kanalisierung des unregulierten Marktes beklagt.
Der neue Glücksspielvertrag galt zunächst seit 01. Juli 2012 in 15 Bundesländern, da Schleswig-Holstein ein eigenes marktliberaleres Glücksspielgesetz verabschiedet hatte. Unter neuer Regierung beendete Schleswig-Holstein seinen Sonderweg und trat im Januar 2013 dem Glücksspielvertrag bei.
Der neue Glücksspielvertrag ermöglichte auch ein Sponsoring des Profisports durch private Wettanbieter. Besonders auffällig war dies in der Fußball-Bundesliga: 15 der 18 aktuellen Erstligavereine haben Sponsoring-Deals mit Wettanbietern abgeschlossen - nur 5 davon mit den staatlichen Anbietern.
Zentral in Ihrer Arbeit waren die Online-Sportwetten. Welche Stellung hatten diese im Glückspielvertrag?
Maximilian Nagel: Der Deutsche Glücksspielvertrag von 2008 verbietet eigentlich Online-Sportwetten aller Art. Dieses Ziel wurde jedoch in keiner Weise erreicht. Private Anbieter traten häufig mit einer Lizenz aus den Steuerparadiesen Malta oder Gibraltar auf. Die Dienstleistungsfreiheit des europäischen Binnenmarkts erlaubte das ihnen, obwohl es das deutsche Gesetz nicht vorsah. Der deutsche Markt war eine Grauzone. Der staatliche Anbieter Oddset und die vielen verschiedenen privaten Anbietern wie Bwin oder Betfair befanden sich im Wettbewerb ohne Waffengleichheit.
Welche Auswirkungen hat das?
Nagel: Zum einen verliert der deutsche Fiskus viel Geld: Der Umsatz des deutschen Glücksspielmarkts im Bereich der Online-Sportwetten wird auf 7,3 Milliarden Euro geschätzt. Der Umsatz der legalen staatlichen Anbieter beträgt lediglich 185 Millionen Euro.
Außerdem hat eine Öffnung des Glücksspielvertrages Auswirkungen auf den Profisport: Gerade den Fußballvereinen winken hohe Sponsorengelder. Viele große Mannschaften der restlichen europäischen Länder haben schon lange private Anbieter von Online-Sportwetten als Trikot-Sponsoren. Das ist auf dem deutschen Markt erst seit dem neuen Glücksspielvertrag von Juli 2012 möglich.
Im Ringen um eine Erneuerung des Glücksspielvertrages ging es um die Öffnung des Glücksspielmarktes für private Anbieter. Was wurde konkret diskutiert?
Nagel: Zunächst ist zu sagen, dass Online-Glücksspiel in Deutschland auf Länderebene reguliert wird. Es haben sich drei verschiedene Möglichkeiten herauskristallisiert. Von den SPD-Ländern wurde ein Modell favorisiert, das den Erhalt des staatlichen Monopols im Bereich der Online-Sportwetten vorsah. Auf der Gegenseite stand eine komplette Öffnung des Glücksspielmarktes im Bereich der Online-Sportwetten. Dies strebte insbesondere die ehemalige Landesregierung von Schleswig-Holstein an. Eine Art Konsens war ein Konzessionsmodell, welches eine limitierte Anzahl von Lizenzen für private Anbieter vorsah.
Die Auseinandersetzung fand aber nicht nur auf politischer Ebene statt. Um was ging es noch?
Nagel: Es lassen sich zwei antagonistische Lager bilden, die durchaus viel auf einer philosophischen Ebene argumentiert haben. Glückspiel ist ein Spiel mit den Träumen der Menschen. Das Spiel führt aber häufig zur Verarmung derjenigen, die der Anziehungskraft des Reichwerdens nicht widerstehen können. Beim Glücksspiel herrscht keine Sozialverträglichkeit – pathologisches Spielen zerstört Familien und Menschen. Es ist die Aufgabe des Staates seine Bürger vor den Lüsten des Glücksspiels zu schützen, zumindest nach Ansicht des konservativen Lagers. Sie strebten einen Erhalt der gegebenen Zustände an, also den Erhalt des Monopols.
Welche Position hatte das liberale Lager?
Nagel: 1784 forderte Immanuel Kant seine Mitmenschen dazu auf, Dinge nicht mehr länger einfach nur hinzunehmen, sondern sie in Frage zu stellen und als mündiger Bürger selbst Verantwortung zu übernehmen. „Woher nimmt sich ein Souverän das Recht, einem mündigen Individuum zu sagen, wie es sein Leben zu leben hat?“, war eine ihrer Fragen. Der Mensch solle den Mut haben, die Dogmen der Gesellschaft nicht ohne weiteres hinzunehmen, denn Verantwortung könne er nur in Freiheit wahrnehmen. Angestrebt würde ein Staat, der seinem Bürger neutral gegenüber tritt.
Am Beispiel des Glücksspielmarktes beudetet dies: Der Mensch solle selbst für sich entscheiden, ob er über das Medium des Internets Wetten platzieren möchte oder nicht und dadurch Verantwortung für sein Handeln übernehmen.
Wo stand denn Deutschland beim Thema Glückspiel im Vergleich zu anderen EU-Staaten?
Nagel: Betrachtet man die anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union so fällt in der Tat auf, dass Deutschland mit der Öffnung ein wenig hinten dranhängt. Beispielhaft für die Problematik ist der Status nach den Verhandlungen von Dezember 2011. 15 Landesregierungen haben sich auf ein Konzessionsmodell mit 20 Lizenzen für Online-Sportwetten geeinigt, nur Schleswig-Holstein ist seinen eigenen Weg gegangen und hat ein liberaleres Modell verabschiedet.
Es wäre jedoch falsch zu sagen, dass sich einzig Deutschland mit der Öffnung schwer tat. Schließlich war der Glücksspielsektor europaweit ein staatliches Monopol mit großer finanzieller Bedeutung.
Inwiefern zeigt der deutsche Glücksspielvertrag eine Handlungsunfähigkeit des Föderalismus?
Nagel: Die Aushandlung des Glücksspielstaatsvertrags hat dem deutschen Föderalismus in der Tat seine Grenzen aufgezeigt. Die ehemalige Landesregierung von Schleswig-Holstein ist den eigenen „egoistischen“ Interessen gefolgt, hat wider die föderalen Gepflogenheiten gehandelt und ein eigenes Glücksspielgesetz verabschiedet.
Was hat sich seit Ihrer Arbeit auf dem Glückspielmarkt getan? Haben die Entwicklungen Sie überrascht?
Nagel: Nein, das haben sie nicht. Seit der Abgabe meiner Arbeit ist die Landesregierung von Schleswig-Holstein dem Glücksspielstaatsvertrag der anderen 15 Bundesländer beigetreten. Das Problem ist, dass in Schleswig-Holstein bereits mehrere Lizenzen für Online-Sportwetten vergeben wurden. Die Bewerbungsphase für den Glücksspielstaatsvertrag der restlichen Länder läuft aber noch. Bisher ist nicht geklärt, was mit den durch Schleswig-Holstein bereits vergebenen Lizenzen geschehen wird.
Ein weiteres Problem ist der numerus clausus von 20 Lizenzen des Glücksspielstaatsvertrags. Über 100 Unternehmen haben sich um eine Lizenz beworben, eine diskriminierungsfreie Auswahl dürfte daher schwer werden. Wenn ein 21. Anbieter keine Lizenz erhält, obwohl er die gleichen Vorlagen erfüllt wie die anderen 20, wird er klagen.
Generell ist meiner Meinung nach davon auszugehen, dass sich der Glücksspielstaatsvertrag auch erheblich ändern wird, um Online-Poker und Online-Casinospiele zu regulieren.
Bilder: flickr (FreeRishad), realmadrid