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Michael Bauer ist stellvertretender Vorsitzender der Gruppe "Middel East and International Affairs Research" und Nahost-Experte am Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München. Neben seiner Arbeit in München ist Bauer Gastdozent an der Chulalongkorn Universität in Bangkok und an der Zeppelin Universität. Bauer studierte unter anderem Politikwissenschaften in München und Aberystwyth und legt den Schwerpunkt seiner Forschung auf regionale Sicherheiten und den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Transformationsprozess in den Arabischen Welt. Zudem beschäftigt sich Bauer ausführlich mit der Rolle der Europäischen Union und sicherheitspolitischer Thematiken.
Die "Middle East and International Affairs Research Group" (MEIA) ist eine nichtstaatliche Organisation, die sich eine Stärkung der internationalen Beziehungen und Verständigung zwischen Europa, dem Nahen Osten, Nordafrika und der Golf-Region als Ziel gesetzt hat, um den politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Austausch zu stärken.
Zusammen mit Wissenschaftlern und Studierenden der Zeppelin Universität und der American University in Beirut wurden auf der Konferenz "Social Impacts of the Arab Srping" die politischen Folgen und die dramatischen sozialen Konsequenzen des Arabischen Frühlings diskutiert. Damit leistet die Diskussion einen Beitrag zum dreijährigen Projekt „Brücke zur arabischen Welt“, das die Zeppelin Universität gemeinsam mit der American University in Beirut durchführt.
Der "Arabische Frühling" zieht sein Band seit nunmehr zweieinhalb Jahren durch Nordafrika und den Nahen Osten, lässt Länder entweder mit Wahlen und Verfassungen oder auch im blutigen Bürgerkrieg zurück. Fast täglich berichten westliche Medien über die Gewalt in Syrien. Nach UN-Einschätzungen ließen allein dort bereits 70.000 Menschen ihr Leben im Kampf für die Freiheit. Doch trotz medialer Aufmerksamkeit, internationalen Militäreinsätzen und etlichen Machtumschwüngen scheint der Aufstand häufig vergebens.
Viele Proteste gingen in den letzten Jahren vor allem von jungen und gebildeten Menschen aus. „Diese Gruppen verlangten vor allem politische und wirtschaftliche Partizipation. Heute muss man leider feststellen, dass sich die Situation seit Beginn der Aufstände keineswegs verbessert hat.“, berichtet Bauer. Gerade in den Transformationsstaaten ließe sich eine ganze Reihe von Unsicherheiten beobachten. So führten beispielsweise politische Unwägbarkeiten dazu, dass die Tourismuszahlen in Nordafrika stark zurückgingen: „Kairos Souvenir-Händler suchen händeringend nach Abnehmern; die Touristen fehlen diesen Ländern besonders“, erklärt Bauer. Aber auch ausländische Investoren hielten sich sehr stark zurück.“
Nicht nur männliche Jugendliche und Studenten rebellierten, vor allem Frauen und Minderheiten mischten sich vermehrt in die Protestbewegungen ein. Für sie seien die Ergebnisse ähnlich gering ausgefallen, erklärt Bauer. Zwar seinen Frauen- und Minderheitenrechte in diesen Ländern noch nie sonderlich hoch geachtet worden, eine wesentliche Verbesserung sei aber nicht erkennbar. Einzig Tunesien könne ein kleines Vorbild für diese Gruppen sein: „Frauen haben hier traditionell eine stärkere Stellung in der Gesellschaft als in anderen nordafrikanischen Staaten. Sie können sich daher relativ stark in den politischen Prozess einbringen und starten Protestaktionen, wenn es um die Formulierung der Verfassung geht.“ Davon abgesehen müsse man zwischen den Formulierungen der Verfassungen und den gesellschaftlichen Realitäten unterscheiden: Nordafrikas Gesellschaften waren schon immer äußerst konservativ, betont Bauer und hebt vor allem die Unterschiede zwischen urbanen und ländlichen Gebieten hervor.
Denn fast noch häufiger als um politische Partizipation, ging es in unzähligen Demonstrationen zunächst um den Zugang zu Grundbedürfnissen. „Schließlich sind die Chancen, an Bildung oder sauberes Trinkwasser zu kommen auf dem Land noch weit schlechter als in den urbanen Gebieten“, bemängelt Bauer.
Gerade auf dem Land wurde die Herrschaft der Zentralregierungen noch wesentlich kritischer gesehen, als in urbanen Gebieten. „Um aber direkt politische Freiheit einzufordern, war der generelle Leidensdruck dort viel zu groß“, beschreibt Bauer. Deshalb plädiert der Münchener Forscher für eine Unterscheidung zwischen städtischen und ländlichen Gebieten: „Wenn Sie auf den Tahrirplatz schauen, dann sehen Sie dort säkulare Träger des Protests; eine kleine Gruppe, welche die Aufstände entfacht und vermarktet hat.“ Auf dem Land hingegen stellten sich die Menschen vollkommen andere Fragen: „Da geht es weniger um Freiheitsrechte, die in den Hauptstädten gefordert werden, sondern um die Sicherung von Grundbedürfnissen.“ Denn auch im Bezug auf Sozialnormen seien die ländlichen Gebiete auch heute noch stark konservativ. Minderheitenrechte und Mitbestimmung haben dort einen ganz anderen Stellenwert als in der urbanen Jugend, erklärt Bauer.
Besonders dieser urbanen Jugend gelang es, den Protest in die Öffentlichkeit zu tragen. Entscheidend sollen dabei vor allem digitale Medien gewesen sein wie Facebook und Twitter. Aber Bauer hebt auch Wikileaks hervor: „WikiLeaks war ein wichtiger Bestandteil der ersten Protestbewegungen“, erklärt er. So sei aus Botschaftsdepeschen der Amerikaner in Tunis öffentlich bekannt geworden, wie skrupellos sich der Clan rund um die Ehefrau von Machthaber Ben-Ali bereichert hatte: „Das wusste man zwar, aber man sprach höchstens hinter vorgehaltener Hand darüber. Jetzt konnte man es schwarz auf weiß mit Stempel der USA lesen.“ Es sei also deutlich erkennbar, dass die strukturellen Defizite dieser Länder schon deutlich länger bestünden. Für Bauer sei die Frage lediglich gewesen, wann diese Systeme zusammenbrechen: „Facebook und Twitter waren eher ermöglichende Faktoren. Voraussetzung für den Bruch mit dem System war die heruntergewirtschaftete Politik selbst“, sagt Bauer. Facebook ersetze nicht die Leute auf der Straße, die den Protest umsetzen und tragen können.
„Wie es in Syrien weitergeht, ist die eine große Frage“, antwortet Bauer. Als wesentliches Problem identifiziert er die vielen verschiedenen Konfliktparteien. Ob Iran, Türkei, Saudi-Arabien, Katar, die USA oder Russland: Gerade externe Mächte hätten ihre Finger im Spiel. Bauer hofft auf „eine Annäherung zwischen den USA, den Golf-Staaten oder der Türkei einerseits und Russland und dem Iran andererseits.“ Erst wenn Russland und der Iran von ihrer Unterstützung für das Regime abließen, sei der Weg für einen Neuanfang frei. Allerdings: „Ein Interessensausgleich zwischen den externen Akteuren ist enorm schwer. Dazu kommt, dass bereits so viel Blut vergossen und so viel Unrecht getan wurde, dass noch sehr umfangreiche Rechnungen offen sind, selbst wenn man es schafft, diesen Konflikt zu deeskalieren.“ Während sich auch die Rebellen weiter radikalisieren, fällt es schwer, eine Grenze zwischen „Gut“ und „Böse“ zu ziehen, wie es die Medien gerne versuchen: „Je länger dieser Krieg andauert, umso blutiger wird er,“ lautet das ernüchternde Fazit von Bauer.
Bilder: FreedomHouse (Titel), Denis Bocquet, FreedomHouse (Text)