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Kommunikation

Die Soziologie der Elektro-Szene

Was die Social-Media-Kanäle angeht, scheint Musik eher das Vehikel für soziale Aktivität zu sein.

Florian Grote
 
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    Zur Person
    Florian Grote

    Florian Grote beendete im Jahr 2006 sein Studium der Angewandten Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg; bereits während seines Studiums erhielt er ein Stipendium des STEIM Institutes Amsterdam zur Forschung an experimentellen Musikinterfaces. Seitdem lehrt er unter anderem an der Leuphana Universität Lüneburg und der Hochschule der Künste Bern. Grote promoviert an der Zeppelin Universität bei Professor Dr. Dirk Baecker. Zudem ist er Product Designer für Musiktechnologie beim Unternehmen Native Instruments in Berlin.

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    Factbox
    Methodik der Studie

    Grotes Studie nutzt einen Mixed-Method-Ansatz zur Erhebung und Analyse empirischer Daten. Als Quellenmaterial werden einerseits Interviews und teilnehmende Beobachtungen, andererseits umfassende, zeitlich strukturiert erfasste Abbildungen der öffentlichen Online-Kommunikation genutzt. Dieses Material wurde mittels qualitativer Methoden analysiert, um soziale Funktionen und Prozesse im Feld zu identifizieren. In einigen Bereichen wurden die Ergebnisse der qualitativen Analyse mit quantitativen Methoden weiter untersucht, zum Beispiel, um generalisierte Aktivitätsmuster vergleichbar zu machen. Darüber hinaus wurden einige exemplarische Kommunikationsprozesse in den Fallstudien detailliert nach der Methode der sozialen Formenanalyse modelliert, um mehrdimensionale Zusammenhänge zwischen Kontexten der beobachteten Kommunikation darstellen zu können.

    Untersuchungsgegenstand: E-Musik-Szene in Berlin

    Grotes Studienfeld umfasste eine weitgehend im Internet organisierte Elektromusik-Szene von bestimmten Labels in Berlin auf insgesamt 50 Veranstaltungen. Der innere Kreis an Künstlern umfasste 14 Personen. Durch die spezielle Ankündigungsform der unterschiedlichen Konzerte überschnitten sich deren Besucher oft. Laufkundschaft war auch deshalb rar, weil die Konzerte selten mit Flyern oder Plakaten angekündigt, sondern weitgehend über die Social-Media-Präsenzen der Labels und Künstler beworben wurden.

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Für Ihre Studie zum Kommunikationsverhalten in der elektronischen Musikszene sind Sie in die Tiefen des Internets, aber auch die der Clubs eingetaucht. Wie sind Sie dabei vorgegangen? 


Florian Grote: Ich habe die Kommunikation, die auf bestimmten Social-Media-Seiten eines Labels stattfindet, beobachtet und dokumentiert. Als ich 2008 angefangen habe, war dafür vor allem Myspace relevant, inzwischen findet das fast alles auf Facebook statt. Und dann habe ich auch die Kommunikation auf Veranstaltungen dieser Labels untersucht und nach Unterschieden oder Gemeinsamkeiten gesucht.

Mehr zur Methodik der Studie


Warum haben Sie dafür gerade die elektronische Musikszene gewählt?

Grote: Vom elektronischen Bereich habe ich mir eine gewisse Technologieaffinität erhofft. Ich wollte schauen, wie dieser gesellschaftliche Bereich der Kommunikation durch die Nutzung des vernetzten Computers beeinflusst ist. Da sieht man vor allem, dass in der elektronischen Musik viele wirtschaftliche Aspekte – dass die Labels umgekrempelt werden und alles auf digitale Distribution hinausläuft – schon sehr weit fortgeschritten ist. Es bestand die Hoffnung, dass sich dort die am breitesten ausgeprägten Kommunikationsformen finden lassen.

Sie betonen, dass der Fokus im Internet von Myspace zu Facebook gewandert ist. Wird dort anders kommuniziert?


Grote: Auf Facebook nahm die Marketing-Seite in den Kommentaren ein bisschen ab, weil sie generalisierter über Likes laufen kann. Myspace ist damals ertrunken in reinen Marketing-Kommentaren, die nur noch darauf hinausliefen auf Sätze wie: „Hey, ich habe eine Veranstaltung die ähnlich ist wie deine, klick mal."
Ich habe auf Nutzerseite den Eindruck, dass die soziale Komponente auf Facebook viel stärker integriert ist. Myspace haben die meisten Künstler als Website-Ersatz gesehen und nicht als interaktives Social-Media-Format. Das merkt man auch an der Struktur der Myspace-Seite: Die Kommentare der User kommen erst ganz unten. Diese Spuren von Öffentlichkeit auf Myspace waren zu gering und zu generalisiert, wie durch die Anzahl der Nutzer des Musikplayers. Kein Besucher hat etwas davon, wenn diese Zahl steigt.

Und Facebook ist deshalb für die User interessanter?


Grote: Ja, denn sie können überall dort, wo die interessante Information ist, auch selbst als Besucher kommunizieren – durch den Like-Button zum Beispiel. Jeder, der die Information des Künstlers sieht, sieht dann auch mich, wenn ich den Like-Button gedrückt habe.

Das klingt egozentrisch. Was bedeutet denn das Interesse an dieser Art von Kommunikation für die Künstler und deren Musik?

Grote: Was die Social-Media-Kanäle angeht, scheint die Musik eher das Vehikel für soziale Aktivität zu sein. Ein Grund also, sich auf einer bestimmten Seite zu treffen; eine Möglichkeit, eigenen Kontext einzubringen. Ich habe den Eindruck, dass Facebook eigentlich nur dazu beiträgt, zu zeigen, dass das Netzwerk existiert und arbeitet; dass es nicht einschläft. Es macht manche der Prozesse und die Aktivität sichtbar und beobachtbar, wobei der Informationsgehalt aber relativ gering ist.

Das klingt nach einem überraschenden Fazit…

Grote: Ich hatte erwartet, dass die Online-Kommunikation stärker an der Veranstaltung orientiert wäre. Dass dort im Nachhinein diskutiert wird, inhaltlich sowie ästhetisch, und dass vielleicht im Vorfeld die Erwartungen kommuniziert werden. Das fand aber überhaupt nicht statt. Als gäbe es eine Art Selbstzensur, sich in diesem Raum, auf den stets öffentlicher Zugriff möglich ist, nicht angreifbar zu machen.

Können Sie sich erklären, warum?

Grote: Die Online-Kommunikation in der Szene ist kein Ersatz für Interaktion, wie sie dann vor Ort stattfindet. Das Netz ist kein Ort für Interaktion, wie sie auch Luhmann beschrieben hat: Als Kommunikation unter der Voraussetzung gegenseitiger Anwesenheit, der Wahrnehmung von Anwesenheit und den Möglichkeiten, die die Interaktion bietet. Wenn ich unter Anwesenden etwas äußere, das in eine falsche Richtung läuft, kann ich das direkt wieder einfangen und schnell in einen anderen Kontext bringen. Im Internet geht das nicht, denn da steht es dann eben. Dieser Unterschied hat sich stark gezeigt. In meiner Arbeit habe ich das als „casual intimacy", also als „oberflächliche Intimität" bezeichnet. Kommunikation findet im Netz sehr häufig statt, weshalb man auch sehr nah an den Ereignissen ist. Das bringt eine gewisse Intimität mit sich. Zum Beispiel dadurch, dass ein Künstler postet: „Bin gerade aufgewacht, habe Gitarre geübt." Es findet also eine zeitlich sehr nahe Situation statt, die aber sehr oberflächlich ist. Auf Rückfragen wird da zum Beispiel nicht eingegangen, eher gibt es relativ lose Statusupdates der Künstler.

Untersuchungsgegenstand: E-Musik-Szene in Berlin


Wie wurde vor Ort kommuniziert?

Grote: Für die Künstler war in den Gesprächen vor Ort die Aufmerksamkeit des Publikums ein großes Thema. Es wurde sich darüber beschwert, dass das Publikum in Berlin kaum zuhöre, die Leute sich vielmehr unterhalten, als zuzuhören. Einer der Künstler sagte, er spiele lieber in Osteuropa, weil dort das Publikum tatsächlich an der Musik interessiert sei. In Berlin seien die Leute schon so gesättigt, da wollten sie eher untereinander agieren.

Also wurde vor Ort auch nicht zwangsläufig über die Musik gesprochen?


Grote: Ja, das war einer der großen Diskussionspunkte, der sich immer wieder durch die Gespräche auf den Veranstaltungen zog. Die Künstler haben auch versucht, Auswege zu finden, indem sie eigene Formate etabliert haben, die eher die klassische Konzertform hatten. Dem Konzert ist dabei zeitlich eine Barsituation vorgeschaltet.
Aber auf Nachfrage wurde dann auch über die Musik und das Konzert an sich gesprochen oder mit dem Künstler kommuniziert. Das ist eigentlich das, was ich stärker im Internet vermutet hätte. Mir ist aber bewusst, dass meine Rolle als teilnehmender Beobachter die Beobachteten, zum Beispiel durch die konkrete Anfrage, stark beeinflusst hat.

Bild: Bertram Rusch

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