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Online-Beteiligung

Einmischen erwünscht!

Ich würde das Experiment insgesamt als gelungen bezeichnen – und das ist angesichts der Umstände durchaus bemerkenswert.

Katharina Große
Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik
 
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    Zur Person
    Katharina Große

    Katharina Große arbeitet und forscht am Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Nach ihrem Bachelorstudium an der International Business School in Groningen (NL) absolvierte sie an der ZU einen Master in Politik- und Verwaltungswissenschaften. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Rolle des Bürgers in der digitalen Demokratie.

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„Wenn du nicht mehr weiterweißt, dann bilde einen Arbeitskreis.“ Glaubt man diesem Sprichwort, dann war die deutsche Politik in den vergangenen 40 Jahren ziemlich oft ziemlich ratlos. 27 Mal, um genau zu sein. So viele Enquete-Kommissionen gab es nämlich bislang; jeweils einberufen vom Deutschen Bundestag und damit beauftragt, „Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe vorzubereiten“, wie es auf der Webseite des Parlaments heißt.

„Politiker gründen Enquete-Kommissionen, wenn sie das Gefühl haben, sich dringend mit einem Thema beschäftigen zu müssen“, sagt Katharina Große, die an der Zeppelin Universität die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft im digitalen Zeitalter erforscht. Zum ersten Mal geschah das 1971, damals ging es um die Lage der deutschen Psychiatrie. Es folgten Kommissionen zu Bildungspolitik und Gentechnik, man diskutierte über die Rolle der Frau und medizinische Ethik oder versuchte sich an der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Allesamt Themen mit reichlich Diskussions- und Konfliktpotential, Themen, zu denen es meist mehr Meinungen als Fraktionen gibt, Themen, bei denen es nicht mit einer einzigen Abstimmung im Bundestag getan ist.

1987 war das Internet noch Zukunftsmusik - aber Enquete-Kommissionen gab es bereits. Hier präsentieren die Mitglieder Gentechnik-Enquete ihren Abschlussbericht.
1987 war das Internet noch Zukunftsmusik - aber Enquete-Kommissionen gab es bereits. Hier präsentieren die Mitglieder Gentechnik-Enquete ihren Abschlussbericht.

Themen wie dieses Internet. „Unsere Volksvertreter haben gemerkt, dass das mehr ist als ein Spielzeug für Nerds“, erklärt Große, warum 2010 die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft (EIdG) einberufen wurde. Darin arbeiteten 17 Abgeordnete zusammen mit 17 Experten. „Entsprechend den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag kann jede Fraktion eine bestimmte Zahl externer Sachverständiger einladen. Diese sitzen dann aber nicht als Parteivertreter in der Enquete, sondern sind unabhängig. Natürlich berufen die Parteien dabei Experten, deren Meinung sich tendenziell mit der Parteilinie deckt.“ Linke und Grüne vertrauten eher Netzaktivisten wie Constanze Kurz, der Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC), oder Markus Beckedahl, dem Gründer des Blogs netzpolitik.org, während die Union mit Dieter Gorny und Bernhard Rohleder auch auf Vertreter der Wirtschaft setzte.

Dieses Vorgehen – Einsetzungsbeschluss durch den Bundestag, Berufung der Sachverständigen – ist bei Enquete-Kommissionen Usus. Trotzdem war die EIdG ein Novum. „Die Mitglieder haben sich gesagt: Wenn wir über Staat und Gesellschaft im Netzzeitalter reden, dann sollten wir das auch im Netz tun – und zwar nicht im stillen Kämmerlein, sondern für jeden zugänglich.“ So ist enquetebeteiligung.de entstanden. Dort konnten sich interessierte Bürgerinnen und Bürger an der Arbeit der Kommission beteiligen und eigene Vorschläge einbringen. „Die Idee war es, die Bürger als 18. Sachverständigen miteinzubeziehen.“

Die Informatikerin Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, war eine der Sachverständigen der Internet-Enquete.
Die Informatikerin Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, war eine der Sachverständigen der Internet-Enquete.

Die Webseite ging allerdings mit einem halben Jahr Verspätung an den Start. „Im Vorfeld wurde heftig gestritten“, sagt Große. „Ursprünglich waren sich alle einig, dass es eine Beteiligungsplattform geben sollte. Dann gab es plötzlich Zweifel: Das Projekt würde angeblich 80.000 Euro kosten und sei damit zu teuer. Außerdem gebe es bereits ein Forum und ein Blog, das müsse reichen.“ Anfang 2011, zu einem Zeitpunkt, als die Internet-Enquete bereits ihre Arbeit aufgenommen hatte, stoppte die schwarz-gelbe Mehrheit im Ältestenrat deshalb die Online-Beteiligung und lehnte auch das Angebot des Chaos Computer Clubs ab, die Plattform kostenlos einzurichten. Schließlich einigten sich die Politiker doch noch auf einen Kompromiss, und enquetebeteiligung.de ging an den Start – allerdings mit einigen Einschränkungen: „Eigentlich sollte die Plattform ein offizielles Tool des Bundestags sein. Stattdessen hat der Verein Liquid Democracy die Entwicklung übernommen und das Projekt teilweise auch finanziert.“ Die Werbung von Seiten der Politik beschränkte sich auf einen Link und ein paar Berichte auf der offiziellen Internet-Präsenz der EIdG.

Keine optimalen Startbedingungen also für ein ambitioniertes Vorhaben. „Dennoch würde ich das Experiment insgesamt als gelungen bezeichnen – und das ist angesichts der Umstände durchaus bemerkenswert“, sagt Katharina Große. Und wenn das jemand beurteilen kann, dann sie. Sie leitete ein Forscherteam am Lehrstuhl von Professor Jörn von Lucke und hat die Online-Bürgerbeteiligung wissenschaftlich begleitet. „Wir wollten untersuchen, ob enquetebeteiligung.de insgesamt als Erfolg gewertet werden kann“ beschreibt sie das Projekt, das im Rahmen des Forschungsnetzwerkes Liquid Democracy (FoLD) angestoßen wurde.

„Erfolg ist ein ziemlich abstrakter Begriff. Deshalb haben wir versucht, Kriterien für gelungene Beteiligung zu entwickeln, die sich daran orientieren, welche Erwartungen Bürger und Politiker im Vorfeld hatten.“ Die Wissenschaftler ermittelten, ob die Zusammensetzung der Nutzer der Gesamtbevölkerung entsprach, wie zufrieden diese mit dem Beteiligungswerkzeug waren, ob inhaltliche Impulse generiert wurden und inwieweit diese von der Kommission aufgegriffen wurden. Außerdem wollten die Forscher herausfinden, ob die Beteiligung das Verhältnis zwischen Bürgern und Politik verbessert hat.

„Bei drei der fünf Kategorien haben sich die Erwartungen erfüllt“, resümiert Große. So fiel das Feedback der Nutzer im Großen und Ganzen positiv aus. Das Beteiligungswerkzeug an sich, also die auf der Software Adhocracy aufbauende Webseite, sei gut zu bedienen und grundsätzlich geeignet, um die eigene Meinung und die Diskussion einzubringen. Obwohl einige User enttäuscht waren, dass die Mitglieder der Enquete vergleichsweise wenig Rückmeldungen auf ihre Anregungen gegeben hätten, haben die meisten ihr Engagement als sinnvoll empfunden und würden sich auch in Zukunft bei ähnlichen Projekten beteiligen.

Die Abgeordneten und Sachverständigen der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft".
Die Abgeordneten und Sachverständigen der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft".

Auch die Politiker und Sachverständigen waren insgesamt zufrieden. „Fast alle haben gesagt, dass die Impulse der Bürger ein echter Mehrwert für sie waren“, fasst Große das Ergebnis zusammen. Dementsprechend schreiben die Mitglieder der Kommissionen in ihrem Abschlussbericht: „Im Ergebnis blieb die Online-Beteiligung zwar zahlenmäßig hinter den Erwartungen zurück. Die Qualität der Beiträge aber war oft sehr hoch.“ So habe etwa die Arbeitsgruppe Medienkompetenz zwei Anregungen der Bürger wortwörtlich in ihre Handlungsempfehlungen übernommen, viele andere Arbeitsgruppen hätten durch die Online-Plattform wichtige Impulse für ihre Arbeit bekommen.

Enttäuscht waren einige Enquete-Mitglieder allerdings, weil nur gut 3.000 Nutzer die Chance wahrgenommen haben, bei der Internet-Enquete mitzumachen. Katharina Große wundert das nicht. „Erst haben sich die Abgeordneten monatelang gestritten, ob sie überhaupt eine Online-Beteiligung brauchen. Und dann gab es fast keine öffentliche Werbung dafür. Das relativiert die eher geringe Zahl der Registrierungen.“ Menschen für Politik zu begeistern, sei ohnehin schwer genug – bei solch ungünstigen Voraussetzungen zehntausende Bürger dazu zu bringen, sich in langwierige, demokratische Prozesse einzubringen, hält Große für illusorisch. „Mein Schlüsselerlebnis hatte ich 2011 auf einem Polit-Camp in Bonn. Ein Raum voll mit engagierten, politikinteressierten Menschen. Dann die Frage, wer enquetebeteiligung.de kenne. Gemeldet haben sich vielleicht fünf Leute. Aber wie hätten sie auch darauf aufmerksam werden sollen, es wurde ja kaum darüber berichtet.“ Auch die beteiligten Politiker sehen darin ein Problem und bedauern im Abschlussbericht, dass es ihnen nicht gelungen sei, „die Medien auf die Beteiligungsmöglichkeiten ausreichend aufmerksam zu machen.“

Eigentlich hätten mit enquetebeteiligung.de auch Bürger angesprochen werden sollen, die mit Politik sonst wenig am Hut haben. In dieser Hinsicht blieb es beim Versuch: „Die Untersuchung hat klar gezeigt, dass ein Mobilisierungseffekt von Online-Partizipation ausgeschlossen werden kann“, bilanzieren die Forscher in ihrer Studie. (S. 51) Vergleichsweise wohlhabend, gut gebildet, netzaffin und politisch engagiert, so lässt sich der typische User beschreiben. Und selbst wenn in diesem Text konsequent gegendert worden wäre – an dieser Stelle hätte man angesichts eines Männeranteils von fast 85 Prozent beinahe darauf verzichten können. „Aber immerhin sind alle Altersgruppen vertreten“, relativiert Große. „Und es haben erstaunlich viele Menschen mitgemacht, die nicht rund um die Uhr im Internet surfen. Zumindest das Nerd-Klischee hat sich also nicht bestätigt.“

Dennoch: Die Beteiligung war ein Elitenprojekt für Menschen, die auch im analogen Leben demokratische Partizipationsangebote wahrnehmen oder zumindest überdurchschnittliches Interesse für Politik mitbringen. Hier sieht Katharina Große dann auch Verbesserungsbedarf für zukünftige Online-Beteiligungen. Es reiche es nicht aus, eine Plattform anzubieten und auf interessierte und engagierte Bürger zu warten. „Die Politik muss den Menschen ihre Instrumente nahebringen. Dazu braucht es Werbung und eine Informationsstrategie. Das hat bei diesem Pilotprojekt noch gefehlt.“

Für die Politik ist das Internet noch Neuland.
Für die Politik ist das Internet noch Neuland.

Die Forscherin will das aber nicht als Vorwurf verstanden wissen: „Unsere Kanzlerin hat das Internet als Neuland bezeichnet. Egal ob man ihr da zustimmt oder nicht, auf enquetebeteiligung.de trifft diese Bezeichnung auf jeden Fall zu. Das Projekt war ein Experiment für alle Beteiligten.“ Insbesondere das Feedback der Enquete-Mitglieder auf die Vorschläge der Bürger müsse erleichtert werden. Die Anregungen der Bürger wurden zwar aufgegriffen, diskutiert und als sehr hilfreich empfunden. Diesen Prozess und die Wertschätzung der Enquete für das Engagement der Nutzer deutlich zu machen, sei aber schwierig gewesen. „Der Zeitplan der Kommission war ohnehin schon extrem straff. Da gab es kaum eine Möglichkeit, in einen echten Dialog mit den Bürgern zu treten.“

Dass beim ersten Mal nicht alles rund laufe, sei selbstverständlich. Und so betont Große auch: „Ungeachtet der Kritikpunkte lautet unser Fazit: enquetebeteiligung.de war ein Erfolg. Anstatt enttäuscht zu sein, was alles nicht geklappt hat, sollten wir uns fragen: Konnte das Projekt überhaupt alle im Vorfeld geäußerten Erwartungen erfüllen?“ Sie und ihre Forscherkollegen raten, man solle sich von der Vorstellung verabschieden, dass E-Partizipation ein geeignetes Mittel gegen Politikverdrossenheit sei. Die Stärken der Online-Beteiligung lägen anderswo: „Bürger können sich in eine Diskussion einbringen, auf die sie vorher keinerlei Einfluss hatten. Und Politiker profitieren von den wertvollen inhaltlichen Impulsen und der demokratischen Legitimierung ihrer Arbeit. Das ist doch Grund genug, dass enquetebeteiligung.de kein einmaliges Experiment bleiben sollte.“

TitelbildDennis Skley (CC BY-ND 2.0)

Text: Bundesarchiv, B 145 Bild-F074339-0007/Schaack, Lothar (CC-BY-SA) | re:publica (CC BY 2.0) | openenquete | Eris Stassi (beide CC BY-NC-SA 2.0)

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