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Katharina Große arbeitet und forscht am Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Nach ihrem Bachelorstudium an der International Business School in Groningen (NL) absolvierte sie an der ZU einen Master in Politik- und Verwaltungswissenschaften. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Rolle des Bürgers in der digitalen Demokratie.
Noch am Tag des Bekanntwerdens der Telekom-Pläne reagiert die Initiative Digitale Gesellschaft e.V. mit einer Pressemitteilung, gleichzeitig startet der 19-jährige Malte Götz bei change.org eine Petition gegen die geplanten Tarifänderungen, die mittlerweile rund 200.000 Menschen unterschrieben haben.
Daraufhin mischt sich die Bundesregierung ein: Wirtschaftsminister Rösler und Verbraucherministerin Aigner kritisieren das Vorhaben der Telekom. Die schaltet zunächst auf stur – und dann eine Google-Anzeige für den Suchbegriff „Drosselkom“, um Aufklärung in eigener Sache zu betreiben. Schließlich lässt man sich aber doch erweichen und entschärft die umstrittene Reglung.
Allerdings ohne den gewünschten Erfolg: Diese halbe Drossel schnüre dem freien Netz noch immer die Luft ab, meinen die Netzaktivisten und sprechen von einem Ablenkungsmanöver. Da helfe die angekündigte Verordnung des Bundeswirtschaftsministeriums nicht weiter, da sie den Plänen der Telekom keinen Riegel vorschiebe.
Auch Verbraucherschützern sind die Drossel-Pläne der Telekom ein Dorn im Auge. Die Telekom müsse sich verpflichten, die Geschwindigkeit der DSL-Verbindungen nicht derart drastisch zu reduzieren, fordert die Verbraucherzentrale NRW. Es gehe um "ein Grundsatzurteil, das dem Verbraucher Sicherheit verschafft".
Die CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär bezeichnet den „adäquaten Zugang zum Internet als Grundrecht“. Eine Meinung, die nicht alle ihrer Parteikollegen teilen dürften, mit der sie aber ganz auf Linie der Enquete-Kommission für Internet und Digitale Gesellschaft liegt. Die hat in ihrem Abschlussbericht gefordert, dass jedes Schulkind einen mobilen Computer bekommen soll, um Medienkompetenz zu fördern und den digitalen Graben zu schließen.
Die Twitter-Trends sind so etwas wie das Fieberthermometer des Internets. Sie verraten, worüber sich das Netz gerade empört, worüber es lacht oder streitet. Vor kurzem sorgte ein Hashtag für heftige Ausschläge auf der digitalen Fieberkurve: #Drosselkom.
Der nächste tierische Hype nach Katzenvideos und Hundefotos? Keineswegs. Hier geht es um grundlegende Fragen des Internets: Existiert ein Recht auf unbeschränkten Zugang? Darf es ein Zwei-Klassen-Internet geben, in dem bestimmt Datenpakete bevorzugt weitergeleitet werden? Manche sagen gar: Jetzt steht die Zukunft des freien Netzes auf dem Spiel.
So sieht das zum Beispiel Katharina Große. Sie forscht an der Zeppelin Universität zur Rolle des Bürgers in der digitalen Demokratie und erklärt, wie der Begriff Drosselkom entstanden ist: „Hintergrund ist eine Ankündigung der Telekom. Wer dort einen neuen DSL-Anschluss bestellt, bekommt zukünftig keine echte Flatrate mehr. Ab einem bestimmten Volumen wird die Datenübertragung gedrosselt.“ Oder auch erdrosselt, wie etwa Sascha Lobo meint.
Ein Unternehmen ändert einen kleinen Passus in seiner Tarifstruktur, und plötzlich beschäftigen sich sogar deutsche Politiker mit diesem Internet. Woher kommt diese Aufregung? „Die neuen Verträge der Telekom bedrohen die Netzneutralität“, sagt Katharina Große und erklärt, was dahinter steckt: „In einem neutralen Netz werden alle Daten gleich behandelt. Es ist egal, ob ich eine private Mail verschicke, mit einem Freund skype oder ein Video auf YouTube anschaue. Provider, die sich an das Best-Effort-Prinzip halten, leiten jedes Datenpaket so schnell wie möglich weiter.“
Damit soll ab sofort Schluss sein. Wer etwa einen Film über das Telekom-Entertain-Paket herunterlädt, muss sich keine Gedanken um seine monatliche Volumengrenze machen. Managed Services, also Dienste, die exklusiv von der Telekom angeboten werden, sind von der Drosselung ausgenommen. Zwar würden in diesem speziellen Fall erstmal nur andere Video-Plattformen benachteiligt, so Große, doch damit werde einer viel weitergehenden Entwicklung Tür und Tor geöffnet: „Letztendlich könnte das dazu führen, dass der gesamte Datenverkehr im Internet in unterschiedliche Qualitätsklassen eingeteilt werden. Die Telekom bestreitet das, aber die Sorge bleibt trotzdem.“
Mit dieser Befürchtung ist Große nicht alleine. Auch der grüne Netzpolitiker Malte Spitz sieht in den Plänen der Telekom einen ersten, aber entscheidenden Schritt hin zu einem Zwei-Klassen-Internet. Großkonzerne wie Google oder Facebook könnten dann Exklusivverträge mit den Internet Service Providern abschließen, um ihre Inhalte immer auf der Überholspur der Datenautobahn zu halten. Kleinere Anbieter würden ausgebremst und hätten keine Chance mehr. Eine Vorstellung, die Katharina Große Angst macht: „Die Vielfalt würde massiv leiden. Wer hört sich noch private Podcasts an, wenn der Download zum Geduldsspiel wird? Wie viele Leser verirren sich noch auf einen selbst gehosteten Foto-Blog, wenn der Seitenaufbau dort an die Zeit analoger Modems erinnert? Was wird aus all den kleinen Überraschungen und großartigen Projekten, die nicht auf den Servern der Netzgiganten liegen?“
Während die öffentliche Debatte vor allem um den möglichen Anfang vom Ende der Netzneutralität kreist, hält Große den Vorstoß der Telekom noch aus einem weiteren Grund für besorgniserregend. „Wir leben im Jahr 2013. Millionen Menschen sind auf das Internet angewiesen. Sie brauchen es für ihre Arbeit und nutzen es in ihrer Freizeit. Gerade wird die erste Generation der Digital Natives erwachsen, die sich im Netz bewegen wie ein Fisch im Wasser. Und jetzt möchte die Telekom allen Ernstes den Internetzugang beschränken?“
René Obermann, der Chef des Unternehmens, verteidigt dessen Pläne mit dem Hinweis auf die enormen Kosten des Breitbandausbaus. Angesichts des rasant zunehmenden Datenverkehrs müsse man mit den beschränkten Kapazitäten haushalten – und das funktioniere in einer Marktwirtschaft nun mal über den Preis. Außerdem sei ja niemand gezwungen, ausgerechnet einen Vertrag mit der Telekom abzuschließen.
Einwände, die Katharina Große nicht gelten lässt: „Gerade auf dem Land habe ich eben nicht die freie Wahl zwischen mehreren Anbietern. Da heißt es dann: Friss oder stirb!“ Und angesichts der nötigen Milliardeninvestition in die Breitband-Infrastruktur sieht sie die Politik in der Pflicht. Im internationalen Vergleich hinke Deutschland hinterher – beschämend für ein Land, das sich selbst als Wirtschafts- und Innovationsmotor verstanden wissen will. „Die USA stecken Milliarden in ihre Netze und ermöglichen sozial schwachen Bevölkerungsschichten kostenlosen Zugriff. Estland hat den kostenfreien Internetzugang zum Grundrecht gemacht, im ganzen Land gibt es öffentliche WLAN-Zonen. Und wir? Stundenlange Zugreisen ohne mobiles Datennetz, ganze Landkreise ohne Breitbandanschluss. Irgendwas läuft da gewaltig schief!“
Das Internet sei kein nettes Spielzeug, das man sich leisten kann oder eben nicht. Die Digitalisierung eröffne neue, ungeahnte Möglichkeiten der Partizipation: Menschen könnten sich im Netz über Politik informieren und an demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligen. Deshalb möchte Katharina Große den Zugang zum Internet nicht den Marktkräften überlassen wissen: „Digitale Vernetzung ist essentiell für unsere Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass die Spielregeln von gewinnorientierten Konzernen geschrieben werden sollten.“
Titelbild: Eric Fischer (CC BY 2.0)
Text: eigener Screenshot | echtesnetz.de | Rene Walter (CC BY-NC-SA 2.0)