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Doz. Dr. phil. Monika Mokre studierte Politikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Inzwischen lehrt sie am Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft der Universität für Musik und darstellende Kunst und an der Webster University Vienna.
Außerdem ist sie u.a. Mitglied der Stipendienkommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Vorsitzende von eipcp (european institute for progressive cultural policies), Mediacult (Forschungsinstitut für Medien, Kommunikation und kulturelle Entwickung) sowie von FOKUS (Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien).
Beim Kolloquium des Forschungsclusters Kulturproduktion der nächsten Gesellschaft an der Zeppelin Universität hielt sie einen Vortrag zum Thema "Was kann die Kunst – und was wird ihr zugemutet?"
Seit dem Zeitalter der Aufklärung haftet der Kunst eine gewisse Autonomie an, sie existiert um ihrer selbst Willen. Heinrich Heine bemerkte einst: „Kunst ist der Zweck der Kunst, wie Liebe der Zweck der Liebe.“ Mit besagter Epoche kommen zwei Gedanken auf, die auch in der Kunst eine Rolle spielen. Der Mensch: frei und gleich, im Kernpunkt der Diskurse über die Idee selbstbestimmten Lebens und der absoluten Beeinflussung unserer Umwelt. Ein Bild, das die westliche Welt immer noch stark beeinflusst.
Künstler waren zu dieser Zeit vor allem männlich und arbeiteten in Freiräumen außerhalb der Gesellschaft, die durch die Kunst geschaffen wurden und in denen eine Arbeit geleistet werden konnte, die andere nicht tun konnten oder wollten. Monika Mokre nennt diese Männer „Genie-Künstler“: Geboren mit einer Gabe, die sich nicht durch Sozialisation entwickeln lässt und mit dem Drang, gesellschaftlichen Zwängen zu entkommen, seien sie in sich selbst der Beweis menschlicher Selbstbestimmung gewesen. Die Schattenseiten dessen waren jedoch Armut und schlechte gesellschaftliche Integration.
„Was man hier sieht ist, dass es auch in diesem Diskurs der Freiheit der Kunst eine Art der Instrumentalisierung gibt. Sie hat eine Funktion für ein Gesellschaftsbild. Man muss sich jedoch im Klaren sein, dass diese Freiheit der Kunst eine Illusion ist, eine Utopie, mit der man lediglich spielen kann. Der Kunst wurde aber de facto immer irgendetwas zugemutet“, führt Mokre aus. So seien Diskurse unter Künstlern offener und provokanter als in anderen Kreisen, was sowohl Folge als auch Ursprung in besagter Freiheit der Kunst fände.
Im Laufe des 20. Jahrhundert habe sich der Kunstdiskurs jedoch an genau dieser Stelle stark verändert. „Viele Künstler stellen sich gegen die Freiheit der Kunst und die damit einhergehende gesellschaftliche Irrelevanz ihrer Arbeit“, erläutert Mokre. Man wolle nicht mehr außerhalb der Gesellschaft agieren, sondern in ihrem Kern und diese verändern. Dabei sei die Meinung aufgekommen, dass jene Freiheit der Kunst einsperrend sei und Kunst einen zusätzlichen Wert, außer dem um ihrer selbst Willen, haben müsse.
Von diesem Punkt aus ist es ein kleiner Schritt hin zu Forderungen nach wirtschaftlicher Relevanz. Der Künstler von heute will mit seiner Arbeit Geld verdienen und nicht mehr leben wie der Mann auf dem Bild von Spitzweg. Neoliberalistischen Strömungen des letzten Jahrhunderts spielen hier eine wichtige Rolle. Als ihre Folge wird allgemein die Ökonomisierung aller Lebensbereiche gesehen, also auch der aufkommende Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlicher Relevanz.
„Es gibt ein Misstrauen der Bürger gegenüber staatlichen Eingriffen, welches dazu geführt hat, dass auch Künstler nicht mehr nur von der öffentlichen Hand finanziert werden möchten.“ Laut Mokre liege der Grund hierfür in der paternalistischen Haltung von Wohlfahrtsstaaten, welche dazu führe, dass durch diese weitgehend bestimmt werde, welche Kunst öffentlich gemacht werde.
Kunst- und Kulturförderung sind zwar im Grundgesetz verankert, doch die Prozesse der staatlichen Subventionierung verlaufen sehr unterschiedlich und langsam. Es entsteht ein kaum lösbares Problem der Legitimität staatlicher Entscheidungen, denn in solchen Prozessen wird offenbar willkürlich entschieden, was „wichtige“ Kunst ist. Also auch, welche Künstler Geld verdienen und welche nicht.
Kunst wird schon lange ein Wert für die Gesellschaft zugesprochen, der nicht auf dem Markt abgebildet wird. Inzwischen erheben Künstler allerdings einen wirtschaftlichen Anspruch an ihre Arbeit. Der Grund hierfür ist nach Mokre simpel: Der Begriff „Charity“ - durch (staatliche) Spenden gefördert - trüge die Konnotation „nicht Leistungsfähig“. Eine solche Arbeit sei gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert.
Aus besagten Diskursen entwickelte sich die Kreativwirtschaft. Begonnen hat diese in der Stadtentwicklung. Hier nutzt man Kunst als Möglichkeit, öffentliche Räume in Selbstgestaltung und Partizipation zu gestalten. Beispielsweise wurden in England alte Industriebrachen wiederbelebt, unter anderem mit billigen Ateliers und Studios. „Ausgangspunkt ist, dass man etwas hat, das verbessert werden kann und muss, und dies wird gern durch künstlerische Aktivitäten getan“, bemerkt Mokre.
Einen zweiten solchen Ausgangspunkt sieht Mokre darin, dass der Dienstleistungssektor Kreativwirtschaft seit 1980 als jener mit dem größten Arbeitsplatzpotenzial gilt. Doch Mokre traut diesen Studien nicht. „Man müsste erst mal definieren, was genau unter Kreativwirtschaft zu verstehen ist; wer dazu gehört und wer nicht. Außerdem wird hier empirisch mit sehr schwachem Zahlenmaterial gearbeitet.“ Auch sei unklar, welcher Qualität diese Arbeitsplätze seien: Es würde nicht zwischen Voll- und Teilzeit-Arbeitsplätzen, sicher und unsicher differenziert.
Allgemein gilt jedoch: Kreativwirtschaft fängt jene, die der Kunstmarkt fallen lässt. Kunst hat in jeder Gesellschaft einen wirtschaftlichen Tauschwert. Der Kunstmarkt verkauft jedoch den Mythos „Original“, geschaffen von jenem „Genie-Künstler“, der nur um des Prozesses Willen malt. „Doch die Schaffung eines Kunstwerkes ist heute kein notwendiges Kriterium mehr für einen Künstler“, bemerkt Mokre. Ohne Werk gibt es jedoch keinen Zugang zum Kunstmarkt. Kreativwirtschaft stellt dann eine alternative Form der Finanzierung dar und wird inzwischen auch in anderen Bereichen als Lösung gesehen, beispielsweise im Tourismus.
„Im 20. Jahrhundert haben Künstlergruppen immer wieder gesagt: Alles, was bisher Kunst war, ist zu vergessen. Jetzt beginnt das absolut Neue“, erläutert Mokre. Aus diesen radikalen Bewegungen sei eine Verbindung aus Kunst und Innovation entstanden, die oft Dinge für die Kunst beanspruche, die vorher nicht Teil dieser waren.
Entstanden sei eine enge Verbindung zwischen politischen Aktionen und Kunst. Der Künstler ist Subjekt und Akteur im politischen Diskurs und nutzt diesen gegebenenfalls als Inhaltes seiner Arbeit. “Es gibt eine Tendenz dazu, nur noch politische Kunst als wertvolle Kunst aufzufassen“, meint Mokre, doch ihrer Meinung nach greift dieser Zusammenhang zu kurz und ist zu eng gefasst. Kunst sei allein dadurch politisch, dass sie in der Öffentlichkeit diskutiert werde. Daraus ergebe sich jedoch keine Notwendigkeit dazu, dass sie sich auch mit Politik beschäftige.
Mokre möchte einen Diskurs über die Funktion von Kunst initiieren. Dieser existiere noch nicht, obwohl das Ziel einer gesellschaftlich relevanten, wirtschaftlich beachteten Kunst schon lange bestehe. Ähnlich wie die Demokratie sei Kunst ein Horizont, etwas, das es anzustreben gelte, und daher kaum in Paradigmen zu fassen. Als vage Annäherung bietet Mokre daher an, die Kunst als Teil von Kultur im Sinne der Welterschaffung und -erschließung zu verstehen. Dadurch entstünde eine signifikante Möglichkeit, der Gegenwart auf besondere Art und Weise Aufmerksamkeit zu schenken.
„Kunst hat das Potenzial, auf Visionen von zwischenmenschlichem Leben aufmerksam zu machen, ohne eine klare Form zu benennen“, sagt Mokre und macht ihre Erwartung an Kunst klar: Verstörung. Durch temporäre Selbstermächtigung solle die Kunst über das bisher Machbare hinausweisen, Möglichkeitsräume schaffen und statt Erwartungen zu bedienen, ihnen widersprechen.
In Verstörung sei Konfliktpotenzial erhalten, eine Anstrengung die notwendig sei, damit der Mensch sich mit seiner Umwelt beschäftige und ohne den es keine Entwicklung geben könne. Wenn Demokratie und Kunst der Horizont sind, bedarf es noch vielen Versuchen, nach diesem zu greifen. Mokres Idee für dieses Streben soll einen neuen Impuls hierfür geben.
Titelbild: Daz Smith (CC BY-NC-ND 2.0)
Text: Allie Callfield (CC BY 2.0), fotofabrique.com, sanfamedia.com (CC BY-ND 2.0)