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Polit-Talkshows

Alles nur Durchschnitt in der Manege

Es zählt offenbar, wer auf der Mattscheibe gesehen wird; unabhängig davon, ob er in der Diskussion eine Chance hat, seine Meinung vermitteln zu können.

Professor Dr. Udo Göttlich
 
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    Zur Person
    Professor Dr. Udo Göttlich

    Professor Dr. Udo Göttlich ist seit Oktober 2011 nach verschiedenen Gastprofessuren in Klagenfurt, Hildesheim oder München Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Medien- & Kommunikationswissenschaft der Zeppelin Universität. Seine Schwerpunkte liegen im Verhältnis und Zusammenhang von Medien- und Gesellschaftswandel.

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    Factbox
    Der Alleskönner: Stefan Raab im Portrait

    Das universelle Gesicht des Privatsenders ProSieben, Stefan Raab, zu charakterisieren, scheint nahezu aussichtslos: Raab ist Moderator, Entertainer, Songwriter, Fernseh- und Musikproduzent. Seit September 2012 ist der 1966 in Köln geborene, gelernte Metzger auch Moderator seiner eigenen Polit-Talkshow. Bereits 1990 stiegt Raab mit ersten Tonproduktionen ins Unterhaltungsgeschäft ein. Nach drei Jahren schaffte es Raab mit seiner ersten Show auf dem Musiksender Viva auch vor die Kamera. Mit seiner eigenen Firma Raab TV gelang dem Allround-Talent ab 1998 ein steiler Aufstieg. Ein Jahr später erhielt er beim Privatsender ProSieben eine eigenen Late-Night-Show. In den Folgejahren entwickelte Raab unzählige Show-Events wie die Wok-Weltmeisterschaft, die Game-Show Schlag den Raab, das TV total Turmspringen, Stockcar-Rennen und Poker-Nächte, Eisfußball-Wettkämpfe und eine Europameisterschaft im Autoball. Auch musikalisch konnte sich Raab immer wieder platzieren, eroberte selbst die Hitparaden und wählte in einer Castingshow mit Lena Meyer-Landrut im Jahr 2010 die erste Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin nach Nicole im Jahr 1982 aus. Raab wurde mehrmals mit dem ECHO, der Goldene Kamera dem Bayerischen und Deutschen Fernsehpreis, dem Bambi und dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet und gilt somit als einer der erfolgreichsten, deutschen TV-Gesichter.

    Zur Information: Absolute Mehrheit - das Konzpt

    Die politische Talkshow „Absolute Mehrheit" ist eine von Stefan Raab konzipierte Gesprächsrunde, die erstmals im September 2012 vorgestellt wurde und im November desselben Jahres Premiere feierte. Das Konzept der Sendung wurde bereits im Vorfeld laut kritisiert. In drei Themenrunden diskutieren zu Beginn fünf Gäste mit politischem, wirtschaftlichen oder öffentlich unbekannten Hintergrund mit dem Ziel, die absolute Mehrheit im regelmäßigen Zuschauer-Voting hinter sich zu vereinen. Am Ende jedes Themenblocks muss der schwächste Teilnehmer den Diskussionszirkel verlassen. Die drei verbliebenen Kandidaten kämpfen in der letzten Runde um den Geldpreis von 100.000 Euro. Kann niemand eine absolute Mehrheit hinter sich bringen, wandert das Geld bis zur nächsten Sendung in den Jackpot. Parallel dazu kommentiert ProSiebenSat.1-Nachrichtenchef Peter Limbourg die Ergebnisse und Leistungen der Diskutanten.

    Zum Selber-Gucken: Die deutsche Talkshowlandschaft

    Wer's drauf anlegt, kann sich täglich stundenlang in politischen Talkshows mehr oder weniger hochwertig informieren lassen. Den Auftakt einer durchschnittlichen Talkshow-Woche bildet Plasbergs „Hart aber Fair" in der ARD, gefolgt von Markus Lanz Diskussionszirkel am Dienstagabend. Gleichzeitig legt sich auch Sandra Maischberger bei der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz unter dem Motto „Menschen bei Maischberger" ins Zeug. Während Lanz auch am Mittwoch wieder an den Start geht, tritt er dieses Mal gegen Anne Will mit ihrem gleichnamigen Polittalk an. Auch am Donnerstag setzt der Zweite Deutsche Fernsehen auf Kontinuität: Markus Lanz duelliert sich dieses mal mit Talk-Kollege Reinhold Beckmann im Ersten. Freitag geht es erstmals ans Umschalten: Die Hauptkanäle pausieren bis Sonntagabend, während sich der Zuschauer nun vor allem in den dritten Programmen mit Klassikern wie „Riverboat" oder „3nach9" vergnügen kann. Den krönenden Abschluss am Sonntag eroberte Günther Jauch im Ersten mit seiner nach ihm benannten, nahezu konkurrenzlosen Gesprächsrunde.  

    Hinzu gesellen sich unzählige Angebote in Spartenkanälen. Egal ob „Studio Friedmann" auf N24, „Das Duell" beim Nachrichtensender n-tv oder das „Tagesgespräch" im Bayrischen Rundfunk: Der geneigte Zuschauer kann sich mehrere Stunden am Tag mit der von Professor Dr. Udo Göttlich angeklagten „Durchschnittsmeinung" versorgen lassen.

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Politische Meinung wird bei „Absolute Mehrheit“ mit Geld belohnt. Kann eine Talkshow so funktionieren?

Professor Dr. Udo Göttlich: Bei der Sendung „Absolute Mehrheit“ wird zunächst nur das, was Stefan Raab bisher gemacht hat, fersehspezifisch in das Talkshow-Genre übertragen. Wie in „Schlag den Raab“ oder bei der Suche nach dem besten Wok-Fahrer geht es auch hier um einen Gewinn in einem Wettbewerb. Jetzt wird der Wettbewerb einfach dahingehend ausgeweitet, dass man die scheinbar mehrheitsfähigste Meinung mit 100.000 Euro kürt, die der „Kandidat“ spenden oder als Gewinn einbehalten kann. Der Eindruck, den Sie mit ihrer Frage formulieren – ‚Meinung gegen Geld’ – hat natürlich etwas Anrüchiges. Dabei erfordert die Sendung nicht notwendig einen Geldpreis. Der Gewinn ist einfach der ProSieben- beziehungsweise Raabspezifische Gag. Ich sehe Stefan Raab auch eher – ähnlich wie Günther Jauch bei ARD und RTL – als universellen Anchorman, der von Talk bis Quiz bei seinem Sender einfach alles können muss. Nur das Raab stärker dem Typ Zirkusdirektor entspricht.

Rechtfertigt der Zuschauergewinn diese provokante Aufmachung einer politischen Sendung?

Göttlich: Grund für die aktuelle Aufmerksamkeit ist nicht unbedingt die provokante Aufmachung, sondern zunächst einmal die Neugierde bestimmter Publikumsgruppen, die sehen wollen, wie Raab sich in seinem neuen Format schlägt. Über die Aussagekraft dieser Zuschauerschaften, was ja an sich noch keine Quote ist, wird sich erst etwas sagen lassen, wenn Raab drei oder vier Mal auf Sendung war. Ob es unbedingt eine jugendliche Zielgruppe wird, ist ebenfalls noch nicht ausgemacht. Man muss dazu auch immer noch die Themenabhängigkeit mitbedenken.

Der Alleskönner: Steffan Raab im Portrait


Aber kann man Raab überhaupt auf den Markt der politischen Meinung loslassen?

Göttlich: Stefan Raab ist schwer mit einem journalistischen Profil und mit einer klaren Meinung zu verbinden. Er hat zunächst eine Talkshow aufgebaut, die anders als die bekannten Genre-Vertreter Illner, Maischberger, Will und so weiter nicht auf tages- oder wochenaktuelle Themen eingeht, sondern für die ausgewählten Gäste oder Kandidaten zugeschnittene Themenblöcke bietet. Auch wenn die anderen Talkshows ebenfalls mittlerweile im breiten Stil unterhaltende Kommunikation leisten, haben zumindest Jauch, Plasberg, Will oder Illner mit ihren Redaktionen noch einen journalistischen Anspruch. Bei Raab sehe ich das nicht so gegeben. Er lässt seine Sendung lieber durch Peter Limbourg in der Rolle als Schiedsrichter journalistisch begleiten.

Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach nicht nur von Provokation, sondern sah mit Raabs Format gleich die gesamte politische Kultur zu Grabe getragen. In wie weit kann man ihm Recht geben?

Göttlich:
Polit-Talkshows besetzen im Sinne der Medienlogik eine ganz bestimmte Nische bei der Meinungsbildung. Die formalen Eigenschaften einer Talkshow folgen dabei einem ganz spezifischen Parameter: Dem Erfolg beim Publikum. Danach werden Gäste und Themen ausgewählt. Schließlich haben die Konkurrenten in allen Sendern keine Scheu, ein Thema in einer Woche in drei oder vier Shows gleichzeitig zu behandeln. Dadurch wird in einer gewissen Weise eine Durchschnittsmeinung ausgehandelt, die vielfach den Stilmitteln der Intimisierung, Privatisierung, Personalisierung oder Skandalisierung folgt. Da könnte man bei Lammert einsetzen und sagen: Das ist der Verlust der politischen Kultur. Es werden immer die gleichen ‚Quotenprovokanten’ eingeladen, die immer den erwarteten Durchschnitt produzieren. Es findet sich kaum noch etwas Überraschendes, was bei fünf Talkshows in der Woche allein in der ARD auch nicht verwundert. Und da hat Raab versucht, eine Schneise zu schlagen und etwas Neues vorzulegen, von dem sich erst zeigen muss, ob dort vielleicht auch mal eine unerwartete Meinung vorne liegt.

Zur Information: Absolute Mehrheit - das Konzept


Nun präsentieren also die immer gleichen Gesichter die immer gleichen Meinungen im Fernsehen. Was sagt das über den Politiker von heute aus?

Göttlich: Was Lammert vielleicht auch zwischen den Zeilen ausdrücken wollte, ist, dass man schon darüber überrascht sein darf, dass Politiker scheinbar über jedes Stöckchen springen, das man ihnen von Senderseite hinhält. Es zählt offenbar – und das finde ich besonders interessant – wer auf der Mattscheibe gesehen wird; unabhängig davon, ob er in der Diskussion eine Chance hat, seine Meinung vermitteln zu können. Die Politik folgt ganz offenbar auch dem ‚Eindrucksmanagement’ des Fernsehens.

Gibt es denn für politisch Interessierte irgendeine Talkshow, die vernünftigen Talk besonders gut vormacht?

Göttlich: Als Frank Plasberg noch im WDR unterwegs war, hat er mit ‚Hart aber Fair’ noch eine innovative Sendung vorgelegt. Als er etabliert war, folgt er der gleichen Inszenierungslogik, wie alle anderen Talkshows in der ARD auch. Seine ganze Rolle als konfrontativer Talker ist mittlerweile zu einem Schlichter konvertiert. Dabei braucht man nicht am Ende jeder Sendung dazu einladen, dass sich alle liebhaben sollen. Denn vorher und nachher haben sich sowieso alle lieb. Politik erfahren wir auch hier durch die Brille einer fernsehspezifischen Inszenierungslogik, wie bei allen anderen Talkshows im Übrigen auch.

Ist das, was Raab gemacht hat, denn wenigstens eine Innovation?

Göttlich: Für ihn auf jeden Fall, weil er nun das bedient, was seine Kollegen Jauch und Pilawa ebenfalls bedienen. Er ist der Alleskönner bei seinem Sender: Und das ist der neue Trend. Raab steht für Fernsehshows, für Musikshows und jetzt auch für „veritablen Polit-Talk“ mit jugendlichem Einschlag. Das ist das Muster, und dafür muss auch ProSieben das Talkshowgenre bedienen.


Foto: Presselounge ProSieben

Zum Selber-Gucken: Die deutsche Talkshowlandschaft


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