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Prof. Dr. Jörn von Lucke hat seit 2009 den Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität inne und leitet als Gründungsdirektor das dort angesiedelte Deutsche Telekom Institute for Connected Cities (TICC). Er studierte Wirtschaftsinformatik an der Universität Mannheim. Darauf folgten Promotion und Habilitation an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Über fünf Jahre arbeitete er als Forschungs- und Sektionsreferent am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung an der DHV Speyer. Nach zwei Jahren im Bundesverwaltungsamt wechselte er 2007 an das Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme in Berlin. Zwei Jahre darauf übernahm er den Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik am TICC der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Der Forschungsfokus von Jörn von Lucke liegt innerhalb der Verwaltungsinformatik auf den Themen E-Government und Hochleistungsportalen, mit einer Fokussierung auf die aktuellen Web 2.0-Themen Open Government, Open Data und Open Government Data.
Open Government, „offene Regierung“, was bedeutet das überhaupt?
Professor Dr. Jörn von Lucke: Open Government ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Aktivitäten, die alle etwas zu einer Öffnung von Staat und Verwaltung beitragen und ein offenes Staats- und Verwaltungshandeln umschreiben. Web 2.0-Dienste und Social Media eröffnen vielfältige Ansätze, um Politik und Verwaltung transparent und nachvollziehbar zu machen, Bürger stärker in Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse einzubinden und um neue Formen der gemeinsamen Zusammenarbeit zu suchen.
Neben der Informationsfreiheit zählen dazu auch Ansätze wie Open Data, Open Knowledge, Open Innovation, Open Access, Open Education und Open Statecraft. Allerdings ist es auch genau dieser Vielzahl der Konzepte geschuldet, dass der Begriff Open Government nicht ganz einfach zu fassen ist. Jeder kann und will etwas anderes darunter verstehen.
OGP steht für Open Government Partnership. Was wollen die Unterstützer dieser Initiative?
von Lucke: Die Open Government Partnership ist eine internationale Initiative zur Umsetzung von Open Government, an der sich Staaten auf freiwilliger Basis beteiligten können. Jeder Staat wird meiner Einschätzung nach andere Schwerpunkte setzen, wenn es um Open Government geht. Gegründet wurde die OGP 2011 von Vertretern aus Regierung und Zivilgesellschaft aus den USA, Brasilien, Großbritannien, Indonesien, Mexiko, Norwegen, Philippinen und Südafrika. 62 Staaten haben sich dieser Partnerschaft zur Förderung von Open Government angeschlossen. Inhaltliche Schwerpunkte sind Transparenz, Rechenschaftslegung, Bürgerbeteiligung und Korruptionsbekämpfung.
Die teilnehmenden Staaten bekennen sich zu den Zielen eines offenen Regierungs- und Verwaltungshandelns, die sie mit geeigneten Maßnahmen in ihren Ländern erreichen wollen. Mit der Teilnahme an der OGP verpflichten sich Regierungen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und anderer Interessensvertretungen dazu, jedes Jahr einen nationalen Handlungsplan auszuarbeiten und umzusetzen. Die Umsetzung des Handlungsplanes und die Erreichung der Ziele werden von den eingebundenen Interessensvertretern überprüft. Zusätzlich wird eine externe unabhängige Begutachtung der Umsetzung eingeführt. Die OGP dient vor allem dem gegenseitigen Austausch und dem voneinander Lernen.
Deutschland ist dem Bündnis bislang nicht beigetreten. Der Arbeitskreis für einen Beitritt Deutschlands zur Open Government Partnership fordert nun eine deutsche Beteiligung. Was erhoffen Sie sich davon?
von Lucke: Ein Beitritt Deutschlands wäre ein wichtiges Signal, sich auf allen Ebenen mit Open Government auseinanderzusetzen. Bisher beschränkt sich das hiesige Engagement nahezu ausschließlich auf Verwaltungsdaten. Aber in diesem Land steckt noch sehr viel mehr an Potential. Bund, Länder und Kommunen würden sich bei einem Beitritt gemeinsam mit Vertretern der Zivilgesellschaft zusammensetzen, um jährlich einen nationalen Handlungsplan für ein offenes Regierungs- und Verwaltungshandeln zu erarbeiten. Dies müsste mit einer adäquaten Ausstattung an personellen und finanziellen Ressourcen verbunden werden. Die Verwaltung wird dazu klare Vorgaben von der Politik erwarten, die sie bisher noch nicht erhalten hat.
Transparentes Regierungs- und Verwaltungshandeln kostet Geld. Warum sollte die neue Bundesregierung in Open Government-Strukturen investieren?
von Lucke: Vorhandene freie und offen zugängliche Verwaltungsdatenbestände können von Behörden, Unternehmen und Bürgern weiterverwendet und für vielfältige Zwecke wiederverwertet werden. Dies eröffnet Potential für neue Geschäftsfelder mit Wachstums- und Beschäftigungschancen. Meinungsbildungs-, Abwägungs- und Entscheidungsprozesse gestalten sich durch transparente Ansätze für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer. So können politische Entscheidungen legitimiert und deren Chancen auf breite Akzeptanz erhöht werden.
Eine Verbesserung der Informationsgrundlagen und -zugänge eröffnet Bürgern mehr Einblicke in die Arbeit von Staat und Verwaltung. Bürger lassen sich über offene Beteiligungsprozesse in Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse stärker einbeziehen, so dass auch mehr Kreativität in die Lösungsfindung einfließen kann. Impulse von Bürgern und aus der Wirtschaft zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen werden für Politik und Verwaltung zudem leichter zugänglich. Zugleich kann durch Vernetzung und Rückkopplung der Dialog verbessert werden. Insgesamt ergeben sich so Möglichkeiten zur effektiven Beteiligung der Bürger, zur Stärkung von Demokratie und des bürgerschaftlichem Engagements.
Deutschland gilt als Open-Government-Entwicklungsland. Im kürzlich veröffentlichten Open Data Index 2013 der Open Knowledge Foundation steht Deutschland weit abgeschlagen auf Platz 38, noch hinter Staaten wie Bulgarien oder Ecuador. Woran liegt das?
von Lucke: Mit dem Open Data Index vermisst die Open Knowledge Foundation den Grad der Bereitstellung von offenen Verwaltungsdaten. Es handelt sich also nur um einen Teilaspekt aus dem großen Open Government Gesamtportfolio. Überprüft wurde die Bereitstellung von offenen Fahrplandaten, Haushaltsdaten, Haushaltsbewirtschaftungsdaten, Wahlergebnisdaten, Unternehmensregisterdaten, Geodaten, Statistikdaten, Gesetze, Postleitzahlen und Umweltdaten, also ein kleiner, bewusst gewählter Ausschnitt.
Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über entsprechende digitale Datenbestände. Jedoch werden nicht alle diese Bestände frei zugänglich, kostenlos, online und in maschinenlesbarer Form Interessierten zur Verfügung gestellt. Dies liegt etwa bei Transportdaten, der Haushaltsbewirtschaftung, den Geodaten und den geobasierten Postleitzahldaten auch an der bisher gelebten Tradition. Umso wichtiger ist es jetzt für Bund und Länder im Kontext von Govdata.de gemeinsam darüber nachzudenken, ob und wie entsprechende Datenbestände mit Blick auf die etablierten und bewährten Geschäftsmodelle von Behörden und Unternehmen geöffnet werden können. Andere Staaten haben andere Voraussetzungen und gehen hier anders vor. Sie liegen deswegen vor der Bundesrepublik Deutschland. Großbritannien, mit 940 von 1000 Punkten Klassensieger, sieht in Open Data einen zentralen Ansatz für ihre wirtschaftspolitische Strategie.
Bereits 2010 hat die schwarz-gelbe Bundesregierung ein Open Government Pilotvorhaben verkündet, im Juni 2013 unterzeichnete Angela Merkel die G8 Open Data Charter und bekannte sich gemeinsam mit den anderen G8-Staaten zu mehr staatlicher Transparenz. Warum ist es bislang bei Ankündigungen geblieben, woran scheitert die Umsetzung?
von Lucke: Ganz konkret: Wir hatten Bundestagswahlen im September 2013 und müssen bis Dezember 2013 warten, ehe die neue Bundesregierung ihr Amt antritt. Entscheidungen über Inhalte und die Ressortverteilung wurden noch nicht getroffen. Unter Umständen wird die Zuständigkeit für E-Government und Digitales sogar in ein anderes Ressort verlagert. Die alte geschäftsführende Bundesregierung will der neuen Bundesregierung nicht mit Entscheidungen vorweggreifen. Im Hintergrund wird aber schon intensiv gearbeitet, ab 2014 ist die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit auf Bundesebene wieder gegeben.
Dennoch wurde in den vergangenen 3 Jahren für eine von der Verwaltung und nicht der Politik getriebene Modernisierungsstrategie und mit Blick auf die zur Verfügung gestellten Ressourcen bereits sehr viel erreicht. Natürlich gibt es immer Wünsche und Platz für zusätzliche Aktivitäten. Mit Blick auf die vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen wurde mit dem Govdata.de-Prototypen aber ein erster wichtiger Schritt gemacht. Zugegeben: Stimmen Parlamente und Regierungen für ein stärkeres Engagement und den Aufbau einer Nationalen Open Data Infrastruktur, könnte hier noch viel mehr erreicht werden.
Mit govdata.de wurde zumindest eine Infrastruktur für frei zugängliche Verwaltungsdaten geschaffen. Was versprechen Sie sich von dem Portal?
von Lucke: Das Portal ist das Ergebnis des Einstiegs der Bundesregierung in das Themenfeld Open Government. Wegen der großen Breite möglicher Ansätze und den äußerst begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen entschied das Bundesinnenministerium gemeinsam mit den Bundesländern, sich mit ihrem Engagement zunächst nur auf Open Government Data auszurichten. Ein über 500-seitiger Forschungsbericht legte dazu die rechtliche, organisatorische und technische Grundlage.
Das seit Februar 2013 zur Verfügung stehende Portal Govdata.de ist ein qualitativer Quantensprung: Statt einen zentralen Datenkatalog über ein zentrales Datenportal bereitzustellen, wurde mit govdata.de ein föderales Datenportal entwickelt, das ganz im Sinne einer Datenföderation die Inhalte der eingebundenen Datenkataloge von Bund, Ländern und Kommunen erschließt. Und die dazugehörige Software steht als Open Source Lösung auch anderen Staaten kostenlos zur Verfügung. Nun müssen vorhandene Datenkataloge integriert und neue eingerichtet werden, die bisher ungenutzten Datenbestände erschlossen, die erfassten Datenbestände genutzt und diese auch intensiv weiterverwertet werden.
Sie haben kurz vor der Bundestagswahl untersucht, wie sich die Parteien in ihren Wahlprogrammen zu Transparenz und Open Government positionieren. Was ist von einer künftigen Großen Koalition in dieser Hinsicht zu erwarten? Wird das Thema bei den Koalitionsverhandlungen und im Laufe der Legislaturperiode eine Rolle spielen?
von Lucke: Mittlerweile bin ich mir sicher, dass im Rahmen der laufenden Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD auch über den deutschen Weg zu Open Government und einen Beitritt zur Open Government Partnership verhandelt werden wird. Über die zu erwartenden Ergebnisse kann ich aus Friedrichshafen derzeit nichts sagen, da ich ja auch nicht in die Verhandlungen eingebunden bin. Ich bin aber zuversichtlich, dass auch hier die drei Parteien aufeinander zugehen werden. Die Bundesverwaltung wird, wie gesagt, klare Vorgaben zur Umsetzung von der Politik erwarten, da ansonsten nur in einem sehr begrenzten Umfang Aktivitäten möglich wären.
Titelbild: Isabell Schulz (CC BY-SA 2.0)
Bilder im Text: Démocratie Ouverte | justgrimes |
Open Data Index 2013, Open Knowledge Foundation (CC BY 3.0)