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Der US-amerikanische Professor PhD Steve Fuller hat den Auguste Comte Chair of Social Epistemology im Fachbereich Soziologie an der Universität Warwick in England inne. Er gilt als Gründer der Sozialen Epistemologie und rief 1987 ein gleichnamiges Journal ins Leben. Seine akademischen Wurzeln liegen in der Wissenschaftsphilosophie und -geschichte.
Steve Fuller ist einer der weltweit prominentesten jungen Sozialwissenschaftler, Wissenschaftstheoretiker und Wissenschaftsforscher. Fuller kommentiert regelmäßig aktuelle Themen der Zeit. Auch auf Twitter kann man seine Arbeit verfolgen.
In der römischen Antike war humanitas gleichbedeutend mit Heiterkeit, Gelassenheit, guter Lebensform und wurde als das Gegenteil jeder Maßlosigkeit verstanden. Der neuzeitliche Begriff entstand in der Epoche der bürgerlichen Aufklärung im 18. Jahrhundert und wurde durch den Neuhumanismus verbreitet.
Der Gedanke der Humanität umfasst die prinzipielle Gleichheit aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und Ethnie. Humanität ist die Grundlage der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts als Rechtsgrundsatz auf Ebene der Staaten, wie auch der Realisierung des Rechts innerhalb eines Staates. Humanität und das Konzept der Solidarität führt ebenso zum Begriff der Hilfsbereitschaft.
Apartheid bezeichnet die die Politik der Rassentrennung in der Republik Südafrika bis 1991. Seit den 1950er-Jahren wurden insbesondere von der burischen Nationalpartei und den südafrikanischen Regierungen Gesetze erlassen und Maßnahmen getroffen, die die weiße gegenüber der nicht weißen Bevölkerung privilegierte. Dies führte wiederholt zu Rassenunruhen und Aufständen. Die Politik Südafrikas wurde von den Vereinten Nationen mehrfach verurteilt und isolierte das Land politisch, wirtschaftlich und kulturell weltweit. Die interne Opposition sammelte sich vor allem im Afrikanischen National Kongress (ANC) und um die Symbolfigur des politischen Widerstands, Nelson Mandela, der nach 25 Jahren Haft von 1994 bis 1999 Präsident und Regierungschef der Republik Südafrika war.
(Quelle: bpb: Das Politlexikon)
Eine umfangreiche Abhandlung des Begriffs und des Transformationsprozesses beschreibt Steve Fuller in seinem Buch "Humanity 2.0 - What it means to be human. Past, Present and Future. Erschienen 2011 im Palgrave Macmillan Verlag.
Was charakterisiert die Humanität 1.0?
Professor PhD Steve Fuller: Sie entspricht dem Wunsch, dass wir für alle Menschen gute und gleiche Lebensbedingungen herstellen können und so eine Art Paradies erreichen. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass alle Probleme in der Welt durch Ungleichheiten zwischen Menschen verursacht werden.
Dabei spielt der Gedanke, dass niemand wirklich Mensch sei, bis nicht alle ein menschliches Leben leben, eine große Rolle.
Fuller: Ja, diese Idee finden wir zum Beispiel in der Geschichte des Sozialismus. Die Sowjetunion hatte die klare Vorstellung, den Kommunismus in anderen Ländern zu etablieren. Die Überzeugung war, dass niemand wirklich Kommunist sein kann, solange nicht alle Kommunisten sind.
Humanität 1.0 ist also gewissermaßen imperialistisch darin, bestimmte Lebensvorstellungen für alle durchzusetzen?
Fuller: Ja, natürlich. Ein Beispiel aus der Geschichte: Als Südafrika in den späten 1940er Jahren die Apartheid implementierte, widersprachen sie der UN-Deklaration der Menschenrechte. Dort hatte man den Eindruck, dass die UN einen homogenen Standard des Menschseins etablieren wollte, ohne traditionelle, kulturelle und ethnische Unterschiede zu respektieren.
Im Grunde ist auch die Entwicklungshilfe imperialistisch, weil ihr Ausgangspunkt die Annahme ist, dass Menschen, die nur 1,25 Dollar am Tag verdienen, ein schlechtes Leben führen. Denn es scheint vor allem dann ein schlechtes Leben zu sein, wenn man eine bestimmte Vorstellung von menschlicher Existenz hat. Schaut man jedoch vom Standpunkt dieser Menschen, käme man eventuell zu dem Ergebnis, dass sie das Leben leben, das sie leben wollen. Vielleicht ist es dann nur noch notwendig, das Einkommen auf zwei oder drei Dollar zu erhöhen, was immer noch weit entfernt wäre von dem, was wir brauchen.
Das Ziel Armut zu verringern, ist ein Bestreben von Humanität 1.0?
Fuller: Die Idee, dass wir Armut beseitigen müssen und dass wir meinen so genau zu wissen, was Armut ist, ist eine Eigenschaft der Humanität 1.0. Es setzt eben voraus, dass es einen einheitlichen grundlegenden Lebensstandard gibt, den jeder Mensch erreichen sollte, ungeachtet seiner Kultur oder Ethnie. Dass dieser einheitliche Standard nicht vorherrscht, wird als Problem gesehen. Ich denke, dass hier ein Veränderungsprozess zu beobachten ist, denn diese Idee eines einheitlichen Standards verschwindet zunehmend.
Warum?
Fuller: Das Problem ist: Je mehr biologisches Wissen über den Menschen gewonnen wird, desto mehr realisieren wir, dass es möglich ist, unter sehr unterschiedlichen Bedingungen zu leben. Und wenn man trotz dieses Wissens, die Auffassungen der Humanität 1.0 aufrechterhalten möchte, muss es ein explizites politisches Projekt sein. Denn jemand muss dann genau sagen, welche Art und Weise zu leben für alle die beste und vor allen Dingen die richtige ist. An diesem Punkt wird sich Humanität 1.0 stark rechtfertigen müssen, und das insbesondere bezüglich der dafür benötigten Ressourcen.
Doch was genau verursacht die Transformation von Humanität 1.0 zu 2.0 – also der Verlust von Normen über ein gutes und menschliches Leben - ist es nur das Wissen über die verschiedenen Möglichkeiten zu leben?
Fuller: Das ist ein Teil. Der andere Teil sind die begrenzten Ressourcen, die man bräuchte, um alle auf das gleiche Level zu bringen. Dazu kommt, dass diese Anhebung des Lebensstandards immer von der ersten Welt initiiert und realisiert werden müsste. Die Frage ist, ob diese Länder den Willen haben dieses Projekt voranzutreiben, denn es wäre extrem teuer. In Großbritannien zum Beispiel wird Entwicklungshilfe seit der Finanzkrise stark kritisiert. Wenn man nicht an den Grundsatz glaubt, dass niemand Mensch sein kann, bis nicht alle ein menschliches Leben leben, wird es leichter zu sagen, lass die Menschen so leben wie sie wollen. Dann übernimmt man die Haltung der Chinesen. Die machen zwar Entwicklungshilfe, aber nur so lange es den Handel unterstützt, und nicht um den dortigen Lebensstandard auf den der ersten Welt zu heben. Ich denke, die Welt bewegt sich mehr und mehr in diese Richtung, einfach weil es erschwinglicher ist.
Wer begrüßt die Vorstellung von der Humanität 2.0?
Fuller: Junge Menschen, denke ich. In Großbritannien sprechen wir von den Kindern Thatchers und in Amerika von den Kindern Reagans. Menschen, die 30 Jahre und jünger sind, haben den Sozialismus nie als echte existierende Alternative erfahren. Es gibt eine Menge junger Leute, die denken, dass sie alles für sich selbst entscheiden müssen, dass die Regierung zwar bestimmte Dinge für sie tut, aber dass sie letztlich selber herausfinden müssen, welches Leben sie leben wollen.
Ist die Vorstellung einer Humanität 2.0 also noch kapitalistischer als ihr Vorgänger?
Fuller: Sie ist neoliberal. Humanität 2.0 entsteht aufgrund des Scheiterns des Sozialismus. 1989 ist der Wendepunkt. Der hat deutlich gemacht, dass die Verfolgung gewisser Idealvorstellungen des Menschseins und der Gleichheit zu verschiedensten politischen Problemen führt. Es ist nicht nachhaltig und der Zusammenbruch der Sowjetunion illustrierte das.
Was bedeutet der Verlust des normativen Standpunktes der Humanität 1.0?
Fuller: Ich denke, wir verlieren sehr viel. Aber ich denke auch, dass die Herausforderung für diejenigen, die an die Humanität 1.0 glauben, ist, den Wohlfahrtsstaat neu zu erfinden in einer Welt, in der Menschen sehr verschiedene Vorstellungen vom Leben haben. Das ist eine ernste Frage, denn die Humanität 1.0 nimmt an, dass alle gleich leben wollen. Die Humanität 2.0 muss dieses Ideal neu erfinden.
Wo sehen sie den Staat in dieser Neuerfindung?
Fuller: Der Staat war das Vehikel für die Humanität 1.0, weil er es ist, der vorschreibt, welche Bildung und Gesundheitsmaßnahmen verpflichtend sind. Wir brauchen eine Reform des Staates, so dass der in der Lage ist, mit den verschiedenen Horizonten umzugehen.
Fotos: Medecines Sans Frontiers (Text), The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei (Titel)