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Bachelor-Thesis von Daria Reinbold
Ein Blick in unsere Zukunft
Über das anthropologische Bedürfnis des Menschen, die Zukunft zu wissen
Zeppelin Universität | 4. Dezember 2013 (Abgabedatum)
Department Communication and Cultural Management
Karl-Mannheim-Lehrstuhl für Kulturwissenschaften
Prof. PhD FRSC Nico Stehr
Informationsdienst Wissenschaft vom 17.12.2013: Zuversichtsstudie - Deutschland geht mir großer Zuversicht ins Jahr 2014
„Jeder von uns sollte sich Gedanken um die Zukunft machen, denn wir werden den Rest unseres Lebens dort verbringen.“ (Charles F. Kettering)
Was genau ist mit moderner Zukunftsforschung gemeint und wie hat sie sich historisch entwickelt?
Daria Reinbold: Alle Menschen innerhalb der Geschichte haben nach ihrem besten Wissen und Können versucht, ihr Bedürfnis, etwas über das, was ihnen bevorsteht, herauszufinden und mit diesem Wissen eine wünschenswerte Zukunft zu gestalten. Angefangen z.B. bei den Bauern im Mittelalter, die versucht haben, aus bestimmten Wetterkonstellationen und aus ihrer Erfahrung aus den vergangenen Jahren eine Prognose für die nächste Ernte zu geben. Ob sie gut wird oder ein kühler Sommer bevorsteht und so weiter...
Die moderne Zukunftsforschung bezeichnet sich als stark interdisziplinäre Wissenschaftsdisziplin. Je nach Themengebiet – also ob naturwissenschaftliche oder gesellschaftspolitische Fragestellungen – versucht man, vielfältige, teils hoch-technisierte und standardisierte Instrumente und Methoden auf die Problematik hin anzuwenden, um eben aus den vielfältigsten Beobachtungen der Vergangenheit und der Gegenwart etwas über das Kommende zu erfahren. Im nächsten Schritt entwickeln die Wissenschaftler Zukunftstrends oder Szenarien. Da ist auch heute noch sehr viel Kreativität und Phantasie gefragt, obwohl es mittlerweile zahlreiche Technologien und Instrumente, die die Menschen im Mittelalter oder auch im 19. Jahrhundert noch nicht hatten.
Auch wenn heutzutage modernste technische Mittel gezielt auf eine Zukunftsproblematik oder auf eine Herausforderung, mit der sich die Menschheit aktuell konfrontiert sieht, eingesetzt werden können, garantiert das aber dennoch nicht vollständig, dass das Zukunftsbild, was durch diese Methodiken und Analysen erstellt wird, letztlich auch eintritt. Wie valide und glaubwürdig verschiedene Zukunftsszenarien sind, das kann immer erst im Rückblick evaluiert werden, wenn das vermutete Ereignis eintritt oder wenn es eben gerade nicht eintritt und komplett andersartige Zustände herrschen.
Zukunfts- und Trendforscher als moderne Wahrsager? Um dieser Frage genauer auf den Grund zu gehen, hast du sechs Zukunfts-Experten interviewt. Was meinten sie: Inwieweit können Wissenschaftler überhaupt „hard facts“ über Entwicklungen in der Zukunft treffen?
Reinbold: Genau das ist der große Streitpunkt in diesem Forschungsfeld, vor allem zwischen Zukunftsforschern und Trendforschern. Die Zukunftsforscher sagen: „Wir sind akademische Wissenschaftler und wenden fundierte Instrumente an, um Zukunftsforschung zu betreiben. Wir sind wissenschaftlich neutral und meist an Universitäten oder Instituten zu finden.“ Zukunftsforscher kritisieren stark die Arbeit der Trendforscher, welche oftmals politisch oder ökonomisch finanziert sei und lediglich der Marktforschung oder Unternehmensberatung diente. Anders herum verteidigen sich die Trendforscher und sagen: „Wir haben genauso valide Methoden und analysieren aktuelle Zukunftsfragen auf genauso plausible Weise.“ Generell besteht aber immer noch die Frage, inwieweit wissenschaftlichen Gütekriterien wie Validität, Reliabilität, Objektivität und so weiter überhaupt erfüllt werden können.
Allgemeiner Konsens der sechs Experten, die ich für meine Bachelor-Arbeit befragt habe, war, dass man Studien z.B. daran evaluiert, ob für eine bestimmte Forschungsfrage adäquate Instrumente angewendet wurden: das Inkludieren vieler Expertenmeinungen aus unterschiedlichen Gebieten, um eine möglichst breite Einschätzung zu gewissen Themen zu bekommen; die Wiederholung der Studie; die Anwendung eines Pretest u.s.w..
Aber diese Problematik war, ist und wird sehr wahrscheinlich auch in Zukunft immer noch ein Knackpunkt bleiben.
Wenn nun also bestimmte Mega-Trends und künftige globale Entwicklungen feststehen, wie können Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mit diesen Herausforderungen umgehen?
Reinbold: Genau das ist dann der zweite große Kritikpunkt für die moderne Zukunftsforschung: Sie gibt keine genauen Handlungsanweisungen. Einerseits versucht man, möglichst aussagekräftiges, plausibles und valides Wissen über die Zukunft zu generieren und im Allgemeinen kann man sagen, dass die Forschung da eigentlich sehr gute und ausreichende viele Ergebnisse bringt. Aber dann liegt es eben an den Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, das Wissen zu verstehen, zu interpretieren und anzuwenden. Es stellt sich immer die Frage, in welcher Gesellschaft wir in Zukunft leben wollen! Und daraus ergibt sich die Frage, in welcher Gesellschaft wir in Zukunft leben werden. Aber wenn es um die globalen Herausforderungen der Zukunft geht, müssen die Entscheidungsträger natürlich versuchen, einen gemeinsamen Lösungsansatz zu finden.
Ein gemeinsamer globaler Lösungsansatz? Das klingt kompliziert. Welche Problematiken tun sich dabei auf?
Reinbold: Beim Prestigebeispiel Klimawandel lässt sich das am besten erkennen, dass gemeinsame Lösungsansätze natürlich oftmals nicht gelingen, weil eben China eine andere Zukunftsperspektive hat wie beispielsweise die USA oder Europa. Und dann scheitern viele Klimaziele, wie das KyotoProtkoll oder auch die zahlreichen Klima-Konventionen und Klimagipfel der vergangenen Jahre.
Es muss stets drastisch zwischen verschiedenen Staaten und Nationen unterschieden werden. Gemeinsame Lösungswege sind noch innerhalb einer Gesellschaft, in Deutschland oder eventuell auch noch in Europa möglich, weil wir hier ähnliche Lebensbedingungen haben. Aber wie wollen wir einen Weg gehen, der für die europäischen oder westlichen Lebenssituationen sinnvoll ist, und aber gleichzeitig die afrikanischen oder asiatischen Gesellschaften mitintegrieren? Also wenn es um globale Ziele für die Zukunft geht, ist es ein sehr schwieriger und steiniger Weg.
Ergo, die eine Zukunft gibt es nicht. Wie kann man sich dennoch so gut es geht auf die persönliche Zukunft im Kontext einer immer komplexer werdenden Welt vorbereiten?
Reinbold: Mit einer positiven Einstellung und dem Willen, seine Zukunft, die man sich wünscht und vorstellt, auch realisieren zu können. Studien zeigen, dass vor allem die Deutschen ganz zuversichtlich sind, was ihre persönliche Zukunft angeht, aber durchaus negative Einstellungen haben, was die Zukunft der Allgemeinheit angeht. Natürlich kann ich noch so viel dafür tun, mein Ziele und Wünsche zu realisieren, es gibt aber dennoch Millionen von externen Einflussfaktoren, die mich doch wieder von meinem Ideal der Zukunft abbringen können.
Titelbild: xyz / flickr.com
Bilder im Text: Greg's Southern Ontario / flickr.com, ILMO JOE / flickr.com,
ScottElliottSmithson / flickr.com,