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Martin Tröndle studierte Musik an den Hochschulen Bern und Luzern und Kulturwissenschaften und Kulturmanagement in Ludwigsburg. Seit September 2009 hat er den Lehrstuhl für Kulturbetriebslehre und Kunstforschung an der Zeppelin Universität inne.
Tröndle war Mitarbeiter beim Südwestrundfunk, Gründungsmitglied und Manager der Biennale Bern und nach der Promotion beim Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst als Referent für die „Profilierung des Musiklandes Niedersachsen“ tätig. Er ist ständiger Gastprofessor am Studienzentrum Kulturmanagement der Universität Basel und war von 2004 bis 2008 ständiger Lehrbeauftragter am Studiengang design | art & innovation der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel. Zudem ist er Gründungs- und Vorstandsmitglied des Fachverbandes Kulturmanagement, sowie Gründungsmitglied der Society for Artistic Research.
eMotion untersucht die Erfahrung Museumsbesuch experimentell. Im Zentrum steht die psychogeografische Wirkung des Museums und seiner Objekte auf das Erleben der Museumsbesucher. Um dieses Interaktionsverhältnis besser zu verstehen, wurden im Rahmen des Projekts eMotion neuartige Erhebungs- und Darstellungsmethoden angewandt und miteinander kombiniert. Dazu wurden eigens für das Kunstforschungsprojekt bild- und tongebende Verfahren entwickelt und der Katalog bisher üblicher sozialwissenschaftlicher Erhebungsmethoden und Darstellungsformen erweitert. Wissenschaftliche und künstlerische Forschungs- und Darstellungsmethoden ergänzen sich so gegenseitig. Zur Anwendung kommen die Tracking-Technologie, die Messung der Herzrate und des Hautleitwerts, das Experiment, empirische Erhebungsmethoden, sowie die Sonifikation und die Installation.
eMotion bewegt sich im Wirkungsdreieck von Kunstgegenstand, Kunstbetrachter und Rezeptionskontext, d.h. Präsentationsraum und Präsentationslogik. Die Interdependenzen dieser Momente werden seit Beginn der theoretischen Auseinandersetzung mit der musealen Präsentation von Kunst aus unterschiedlichen Perspektiven erörtert.
Schon seit über sechs Jahren beschäftigt sich Juniorprof. Dr. Martin Tröndle mit dem Projekt „eMotion – mapping museum experience“. In dem Forschungsprojekt werden die Erfahrungen während eines Museumsbesuchs experimentell untersucht. Im Zentrum steht dabei die psychogeografische Wirkung des Museums und seiner Objekte. Um diese Wirkung sichtbar zu machen, wandte das interdisziplinäre Forscherteam während der zweiwöchigen Erhebungsphase im Juni 2009 im Kunstmuseum St. Gallen verschiedene wissenschaftliche und künstlerische Forschungs- und Darstellungsmethoden an. Die Besucher der Ausstellung „Elf Sammlungen und drei Schenkungen für ein Museum“, die die Sammlungs- und Schenkungsgeschichte des Museums beleuchtete, erhielten zusammen mit der Eintrittskarte ein Handschuh, der verschiedene physiologische Werte sowie die Position des Besuchers messen. Zudem führten die Forscher eine Eingangs- und Ausgangsbefragung durch. Neben demographischen Daten, die hier abgefragt wurden, beantworteten die Museumsbesucher Fragen zu ihren Erwartungen, ihrer Motivation, zu ihrem Wissen und zu ihrer Einstellung.
Und hier kommen unsere flunkernden Akademikerinnen ins Spiel. Im Rahmen des Ausgangsfragebogens sollten die Besucher angeben, ob sie Künstler wie Andy Warhol und Giovanni Giacometti oder Kunstgattungen wie abstrakte Kunst oder Minimal Art kennen. Die Antwortmöglichkeiten lauteten „kenne ich nicht“, „kenne ich gut“ und „kenne ich sehr gut“. Bei der späteren Auswertung konnten die Wissenschaftler keine signifikanten Unterschiede bei den Werten Alter und Beruf messen. Nur in einer Gruppe zeigte sich ein interessantes Ergebnis: Junge weibliche Kunstwissenschaftlerinnen kennen den/die Piglinsky sehr gut. Piglinsky gibt es aber gar nicht. Das heißt: Die Behauptung aus unserem Zu|Daily-April-Rätsel war richtig. Wer hier sein Kreuzchen gemacht hat, lag falsch. Wie kommt aber dieses Befragungs-Ergebnis zustande? Tröndle erklärt: „Wissensfragen werden oftmals sehr verzerrt beantwortet. Soziale Erwünschtheit spielt in Befragungssituationen eine große Rolle. Bei Wissensfragen zeigt sich das besonders.“ Flunkern, um gut dazustehen also!
Die flunkernden Akademikerinnen sind aber nur ein kleines Nebenprodukt von Tröndles Forschung. Die Daten aus dem „eMotion“-Projekt beantworten ganz unterschiedliche Fragen rund um die Wirkung von Kunstmuseen. Tröndles Artikel „Subtle Differences“ setzt sich mit der Frage auseinander, ob das Geschlecht Auswirkung auf die Kunstrezeption von Männern und Frauen hat. Ist ihre Erfahrung unterschiedlich und verhalten sie sich in den Ausstellungshallen auf unterschiedliche Weise? Nach Tröndle ist es in Bezug auf die Diskussion der Gender Studies der vergangenen 30 Jahren verwunderlich, dass man diese Frage überhaupt stellt. Noch verwunderlicher ist es aber, dass Unterschiede existieren und empirisch zu belegen sind: „Durch die Ergebnisse des Projekts lässt sich interessanterweise feststellen, dass Männer und Frauen manche Dinge unterschiedlich wahrnehmen: Von den insgesamt 70 Werken in der Ausstellung reagierten Männer und Frauen bei sieben Werken signifikant unterschiedlich. Das heißt, dass zehn Prozent der Bilder unterschiedliche Effekte auf Männer und Frauen haben. Obwohl dies zunächst gering erscheint, ist es trotzdem bemerkenswert, dass diese unterschiedlichen Effekte überhaupt beobachtet werden konnten.“
Auffällig sei unter anderem, dass Frauen ein stärkeres Interesse an den Informationstexten zu den ausgestellten Werken an den Tag legen als Männer. Die Texttafeln skizzierten die Geschichte der Sammler und Künstler, die dem Museum die ausgestellten Werke zur Verfügung stellten. Eine Tafel, die sich im Gegensatz zu den anderen Tafeln mit einer Frau, der Künstlerin Madeleine Kemeny-Szemere, widmete, rief besonders starke emotionale Empfindungen bei Besucherinnen hervor. „Madeline Kemeny-Szemere stellte ihr eigenes Kunstschaffen hinter das ihres Mannes und sie erlangte erst nach seinem Tod öffentliche Aufmerksamkeit. Das ist vielleicht etwas, was biographisch andere Frauen angesprochen hat. Gerade die Generation der 1950er und 1960er Jahre ordnete ihren eigenen Berufswunsch der Karriere des Ehegatten unter, wie bei Kemeny-Szemere. Die Darstellung ihres Karriereverlaufs scheint auch andere Frauen in der Ausstellung angesprochen zu haben“, interpretiert Tröndle dieses Ergebnis.
Auch Männer schauten sich meist Männerportraits wie das Werk „Portrait Zaccaria Giacometti“ von Giovanni Giocometti an, anstatt einem weiblichen Akt besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Das überraschte nicht nur die Kuratoren, sondern auch Tröndle und sein Team: „Die Museumsbesucher – männliche wie weibliche - scheinen besonders an einer eigenen Reflektionsebene und an Selbstaktualisation interessiert zu sein.“
Kunstrezeption ist höchst komplex und nicht auf simple Faktoren wie das Geschlecht reduzierbar. Auch fragten die Erhebungen nur das biologische Geschlecht ab – Sex und nicht Gender. Sieben der über 600 Befragten gaben gar kein Geschlecht an, berichtet Tröndle. Die Kunsttheorie hat sich bisher nicht mit Fragen bezüglich geschlechtsspezifischer Kunstrezeption beschäftigt. Das „Woman’s Art Journal“ publiziert zwar seit 1980 Beiträge zu feministischen Analysen zeitgenössischer Kunst und auch andere Journals beschäftigen sich vor allem mit weiblicher Identität in der Kunst oder der Rolle von Künstlerinnen im Kunstfeld. Zu geschlechtsspezifischer Differenzen bei der Kunstrezeption hingegen gibt es kaum Literatur – ggf. waren solche Fragen bisher auch kaum konform. Tröndle geht daher davon aus, dass der Artikel nach seiner Veröffentlichung im Herbst sicher einiges Aufsehen erregt. Der Artikel „Subtle Differences“ mit zahlreichen Ergebnissen erscheint dann im Journal for Aesthetic Education (2014).
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Titelbild: eMotion
Bilder im Text: eMotion; Kunstmuseum St. Gallen