ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Martin Herbers ist seit September 2012 am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft als Akademischer Mitarbeiter beschäftigt. Zu seinen Arbeits- und Interessensgebieten zählen Phänomene der politischen Öffentlichkeit, politische Unterhaltungskommunikation und Visuelle Kommunikation.
Neben dem „Journal of Graphic Novels andComics“ und dem "International Journal of Comic Art" gibt es inzwischen diverse Fachseiten, auf denen Künstler und Medienwissenschaftler über das Genre publizieren.
Jonathan Schofer, Associate Professor für Vergleichende Ethik an der Harvard Divinity School, beschreibt die Psyche und Motivation der kaputten Helden des Comic-Meisterwerks „Watchmen“.
Herr Herbers, bei dem Forschungsgebiet wie Comics drängt sich eine Frage auf: Wie sind Sie dazu gekommen?
Dr. phil. Martin Herbers: Das Grundinteresse war schon immer da. Als Kind in der Bibliothek habe ich mir Comics ausgeliehen, Asterix, Lucky Luke, wie man halt so anfängt. Die ganze Wand stand voll mit Lustigen Taschenbüchern. Im Studium, Kommunikationswissenschaft in Münster, habe ich dann begonnen mich zu umzusehen, welche Forschung bereits existiert. Über visuelle Kommunikation kam ich dann auf die Comics. Damals gab es bereits eine lange pädagogische Tradition der Comicforschung. Die versucht eher zu beantworten, was Comics mit Kindern machen. Diese Forschungsrichtung kam aus den 1950er und 1960er Jahren mit der Ansicht, das sei alles Schund und Schmutz. Diese Studien haben meist sehr exemplarisch gearbeitet. Zwei oder drei Panels werden exemplarisch für den gesamten Comicmarkt herausgegriffen und analysiert. Darum habe ich in meiner Magisterarbeit intensiv mit der Comicanalyse befasst. Es ging darum, eine Methode zu entwickeln, die weniger Einzelfall basiert arbeitet und die Analyse frei von präskriptiven Ansichten vornimmt. Der Comic soll in Gänze analysiert werden.
War es bei den Comics ähnlich wie auch bei vielen anderen Bereichen der Pop-Kultur? In Expertenkreisen gab es enormes Fachwissen, das jedoch nicht wissenschaftlich korrekt erfasst und aufbereitet wurde. Wohingegen die Wissenschaft Comics noch nicht als ernstzunehmendes Forschungsgebiet erkannt hatte?
Herbers: Absolut.
Wann kam dann der Zeitpunkt, als Wissenschaftler wie Sie, begannen, sich mit Comics zu befassen? Hatte das Medium zu diesem Zeitpunkt eine kulturelle Reife erlangt, oder haben sich die Konsumenten geändert?
Herbers: In Deutschland gründet sich Mitte der 2000er die „Deutsche Gesellschaft für Comicforschung“. Zum ersten Mal gründete sich ein Verband mit dem erklärten Ziel, den Forschungsbereich zu etablieren. Auf internationaler Ebene bildet sich das mit Fachzeitschriften wie dem „Journal of Graphic Novels and Comics“ erst langsam heraus. Die Einsicht, dass es mehr als ein Hobby und das Interesse Einzelner ist, setzt sich durch.
Mir kommt es so vor, dass die meisten Comic-Szenen, gleich ob die franko-belgische oder die US-amerikanische Superhelden, weitgehend isoliert voneinander existieren. Austausch findet kaum statt und man entscheidet sehr bewusst, welcher Szene man angehört und welche Inhalte man reflektiert.
Herbers: Natürlich arbeitet man viel mit Idealtypen, darunter etwa die franko-belgische oder die spanische Geschichte, im asiatischen Bereich gibt es unter anderem die Manga. Zunächst versucht man, das im jeweiligen kulturellen Kontext anzubieten. Immer öfter werden aber auch interkulturelle Transport- und Transformationsprozesse zu beleuchten. In Japan etwa versuchen Mangakünstler ganz bewusst Stilelemente etwa von Hergé aufgreifen, eine europäische Ästhetik auf das Medium zu legen. Gleichzeitig gibt es in Deutschland die „New German Manga“-Bewegung. Einige wenige Wissenschaftler beschäftigen sich mit diesen Phänomenen, aber noch sehr punktuell und unstrukturiert. Während im traditionellen Manga oftmals langsam erzählt wird, eine Szene aus mehreren Blickwinkel dargestellt wird, hat der deutsche Comic generell ein höheres Tempo, ein Panel folgt auf das nächste.
Jenseits des Erzählstils - was zeichnet den deutschen Comicmarkt aus? Mit welchen Inhalten befassen sich Autoren hierzulande?
Herbers: Gerade ist es eher die humoristische Reflektion der Gesellschaft. Katz und Goldt, nur als Beispiel, die auch oft für die Titanic zeichnen, versuchen popkulturelle Prozesse, etwa das Berliner Hipstertum, zu beleuchten.
Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion hat meiner Beobachtung nach neben den satirischen Zeichnungen ein zweiter Bereich gewisse Aufmerksamkeit erhalten: relativ erzählstarke und monothematische Graphic Novels. Es gab einige Versuche, etwa den Afghanistankrieg so zu verarbeiten, auch biografische Stoffe eignen sich dafür.
Herbers: Vielleicht wirkt hier der Roman als Element der europäischen Literaturgeschichte nach. Graphic Novels arbeiten mal sehr realistisch, mal sehr abstrakt. Es gibt eine stärkere Interaktion von semiotischen Ebenen, Text, Bild und Sequenz. Daher finde ich Graphic Novels medientheoretisch äußerst interessant.
Ist die Unterscheidung zwischen Comic und Graphic Novel dabei mehr als eine Marketingmaßnahme, damit auch das Bildungsbürgertum die Hefte in die Hand nimmt? So zumindest hatte der Alan Moore, Autor von „Watchmen“ und „V wie Vendetta“, es einmal abwertend formuliert.
Herbers: Klar ist es auch eine Marketingstrategie. Aber es gibt auch medientheoretische und publikumsseitige Unterschiede. Während ein zentraler Bestandteil von Comics ihre periodische Erscheinungsweise ist, sind Graphic Novels meist abgeschlossene Werke. Die Serie hat in manchen Teilen der Szene eine sehr hohe Akzeptanz, insbesondere in den USA gibt es noch immer viele Leute, die jeden Mittwoch für die neue Ausgabe in den Comic-Laden laufen. Und dann gibt es die sogenannten „Trade Paperbacks“, die einige dieser Einzelausgaben zusammenfassen. Die sind in Deutschland wiederum deutlich beliebter als in den USA.
Das angenehme an den Paperbacks ist ja auch, dass sie eine erste Reflektion der bislang erschienenen Geschichten erlauben und tendenziell höherwertig aufgemacht sind, wenn man sich die in Deutschland etwa bei Panini erscheinenden Ausgaben des DC Vertigo ansieht.
Herbers: Ja, bei "Sandman" war das interessant. Dieser erschien erst in einer Heftserie, später dann erst in Trade Paperbacks. Mit diesem Produktionsprozess ging auch eine personelle Neustrukturierung im Verlag ein, die zu neuen, "erwachseneren" Inhalten führte. In den späten 1980ern gab es im Zeitgeist den Gedanken, dass das ganze Genre der Superhelden-Comics reformieren müsse. An der Figur Batman kann man es sehr gut festmachen. Der Batman der 1960er und 1970er war bunter, poppiger. Als Frank Miller mit dem neu-formulierten, sehr viel düsterem „Dark Knight“ ankam, war der Charakter geprägt vom Kalten Krieg, vom Kapitalismus. Das war kein kollektives Flower Power mehr, das waren ausgeprägte individualistische Züge. Auch die Figur Rorschach aus „Watchmen“ ist archetypisch für diese Entwicklung. Superhelden sind nicht mehr länger perfekt, sie sind Menschen, psychologisch angeknackst und vielleicht auch ganz irre. Bis heute ist Vertigo mit diesem Programm erfolgreich.
Diese Werke sind nun aber auch schon 20 Jahre alt - was hat sich seitdem getan? Welche Stoffe werden über die kommenden Jahre den größten Einfluss haben?
Herbers: Betrachtet man eine Reihe wie „Fables“, dann kann man beinahe von einem magischen Realismus sprechen, wie er auch in anderen Teilen der Literatur sehr beliebt ist, etwa bei Autoren wie Haruki Murakami. Realistische Welten werden mit mystischen Elementen, mit Magie durchsetzt. Das findet man in „Fables“ aber auch in „Hellblazer“, wo John Constantine nun halt zaubern kann. Aber natürlich sind die Superhelden auch weiterhin populär. Jede Generation entdeckt ihre eigene Version eines Helden, mein Batman sieht anders aus als Ihr Batman. Und auch wenn sich jeder Verlag die Frage stellen, muss, wie lange man einen Charakter am Leben erhalten kann, wie lange man eine Geschichte auserzählen kann, so existieren Superhelden doch so lange, weil sie auf einer rein symbolischen Ebene existieren können.
Um die inhaltliche Ebene einmal zu verlassen: Wie haben sich Comics künstlerisch und erzählerisch weiterentwickelt?
In den Perspektiven und Panelstrukturen haben sich Comics im Laufe der Zeit dem Film angepasst, ihre Bandbreite deutlich ausgebaut. Textuelle, visuelle Zeichen und Sequenzen sind im Film zeitlich strukturiert, im Comic hingegen räumlich. Früher gab es klare, ruhig aufgebaute Erzählstrukturen, spätestens seit den 1990ern versuchte man die feste Struktur von aufeinander folgenden Panels aufzubrechen, gar das Panel selbst aufzulösen. Dann gibt es aber auch Werke, die ganz bewusst in eine entgegengesetzte Richtung gehen. Die drei mal drei Panels je Seite hält „Watchmen“ über mehrere hundert Seiten durch. Umgekehrt zeigt sich die Nähe der beiden Medien auch dann, wenn man in Filmadaptionen wie „Sin City“ ganz klar einzelne Panels aus den Büchern wiedererkennen kann.
Das trifft auch auf „300“ zu, eine der erfolgreichsten Comic-Verfilmungen. Der inzwischen zum Meme mutierte Ausruf „This is Sparta!“ war bereits im Comic ähnlich inszeniert. Was mir dabei auffällt - Comic wie Film erlangten ihren Kultstatus durch eine enorme Ästhetisierung von Gewalt. Die explizite und doch heroisierende Darstellung von Gewalt durchzieht die gesamte Graphic Novel.
Diese übertriebene, Fans nennen sie entschuldigend auch satirische, Darstellung von Gewalt, von Tötungsszenen in Slow-Motion, kommt neben Comics auch in vielen Filmen und Computerspielen vor. Warum eignen sich Gewaltphantasien so sehr als Topos?
Vielleicht ist es der Versuch, Exploitation zur Kunstform zu erheben. Quentin Tarantino, John Woo. das chinesische Actionkino allgemein. Das Medium auf der theoretischen Ebene kann erst einmal nichts für seine Inhalte. Dennoch stellt sich die Frage, warum gerade solche Exploitation-Themen umgesetzt werden. Ist das der Zeitgeist? Verkauft sich das einfach gut? Ist es in Ordnung, solche Sachen darzustellen? Aus dem Medium selbst heraus, wird man da kaum zu einer Antwort kommen - die gesellschaftlichen Befindlichkeiten können diese liefern.
Titelbild: Sam Howzit / flickr.com (Creative Commons CC BY 2.0)
Bilder im Text: Kayle Cassidy / Wikimedia Commons (Creative Commons CC BY 2.5)
Pat Loika / flickr.com (Creative Commons CC BY 2.0)
Hugo Chrisholm / flickr.com (Creative Commons CC BY-SA 2.0)