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Elmar Lampson, geb. 1952 in Koblenz, studierte Komposition, Musiktheorie und Violine an den Musikhochschulen in Hannover und Würzburg. Heute ist er Professor für Phänomenologie der Musik und Dekan der Fakultät für das Studium fundamentale an der Universität Witten/Herdecke. Desweiteren ist er stellvertretender Direktor des New Classical Forschungsinstitut für Musikmarketing an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
Als Komponist und Dirigent trat er bei internationalen Festivals auf und unternahm Konzertreisen durch fast alle europäischen Länder und weite Teile der ehemaligen Sowjetunion. Zahlreiche Runfunk- und Fernsehaufzeichnungen wurden während dieser Reisen gesendet. Er spielte CDs für die Firmen Sony Classical und col legno ein. Sein im Peer-Musikverlag erschienener Werkkatalog als Komponist umfaßt die Bereiche Chor, Orchester, Kammermusik und Oper.
Lampson ist Mitbegründer des seit 1989 jährlich stattfindenden Musikfestes "Hörwelten"- Hamburger Begegnung im Zeichen zeitgenössischer Musik, leitete fünfzehn Jahre lang die Orchester-Akademie Hamburg und war Professor für Ensemble Leitung - Neue Musik an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
Stellen sie sich den zarten Klang eines Streichorchesters vor, der nach einer Weile von den warmen Tönen der Holzbläser verstärkt wird. Keck tönen die Trompeten und Posaunen, immer wieder erschallt der tiefe Gong der Pauke. Die Töne der einzelnen Instrumente verbinden sich zu einem harmonischen Gesamtklang, der Balsam für das Ohr ist und unsere Seele streichelt. Dann plötzlich setzt das Geigensolo ein. Der Solist kitzelt die schönsten und virtuosesten Tonfolgen aus seiner Violine – immer an der Grenze des Scheiternmüssens entlang. Die Geige tritt ins Spiel mit dem Orchester und plötzlich sind wir von in einer neuen Welt aus tausend Tönen umgeben.
Bereits gehörte Klänge im inneren Ohr zu reproduzieren, ist nicht schwer. Doch eine ganz eigene, nie gehörte Klangwelt aus sich heraus zu entwickeln, das können nur wenige. In seinem Vortrag „Wie schreibt man ein Violinkonzert?“ versuchte Dirigent und Komponist Elmar Lampson zum Abschluss der Vorlesungsreihe „Meisterwerke ohne Meister“ den Entstehungsprozess seines eigenen Violinkonzerts nachvollziehbar darzustellen. Eine Herausforderung, denn für Lampson sind Worte in diesem Fall nur dazu da, den Hörprozess zu strukturieren: „Für mich sind Klänge auf der Ebene des Hörens haptisch.“
Brahms, Beethoven, Haydn, Dvorzak und Mahler – sie alle haben mindestens ein Violinkonzert komponiert. Eine Violine als Soloinstrument ausdrucksvoll und intensiv ins Spiel mit dem Orchester zu bringen, galt spätestens seit der Klassik als Königsdisziplin. Vor zwei Jahren bat der junge Dirigent und Erste Kapellmeister des Kasseler Sinfonieorchesters Yoel Gamzou Lampson, ein Violinkonzert für das Kasseler Sinfonieorchester und den portugiesischen Geiger Afono Fesch (25) zu komponieren. Die Uraufführung fand am 10. März 2014 an einem Konzertabend gemeinsam mit einer Aufführung der Siebten Sinfonie Gustav Mahlers, einem nach Lampsons Worten „großen wiedereingeführten Meisterwerk“, statt. „Wenn man als Komponist ein Violinkonzert schreibt, kommt man am Begriff `Meisterwerk´ nur schwer vorbei“, erklärt Elmar Lampson, um seinen Publikum ein Gefühl dafür zu geben, wie es ist, 2013/2014 vor dem Hintergrund großer Komponisten und Konzerte ein solches Werk zu komponieren. Als er nach einem Anfang für sein Stück suchte, habe er sich immer wieder gefragt, wie er an den großen Werken vorbei kommen, sie dekonstruieren und in ihre Bestandteile aufzulösen könne.
Lampson unterrichtet u.a. Phänomenologie der Musik an der Universität Witten Herdecke. Dageht es um die Erforschung der Hörerfahrung und der Methoden, die Inhalte des musikalischen Hörens als besondere Bewusstseinsform zu erfassen. Doch wie lässt sich der Prozess des Komponierens veranschaulichen? Zu Beginn des Vortrags weiß Lampson das noch nicht. Er erzählt von seiner Schaffensphase wie von einem Reisebericht: Bestimmte Punkte wie Start, Ende, Orchester, Besucher und Rahmen sind von Anfang an festgelegt. Der Inhalt des Violinkonzerts jedoch bleibt zunächst vollkommen offen: „Ich hatte keinen festen Plan, sondern nur eine Erwartung, und ich war auf der Suche nach einem Klang.“ Den inneren Anlass, zu schreiben, fand er schließlich nach einem halbe Jahr auf eher unscheinbare Art: während einer Autofahrt durch die Schweiz, wie er humorvoll berichtet. Plötzlich ging ihm eine sehr konventionelle Klang-Phrase, die Umspielung eines Tons und einem großen Intervall, der None, durch den Kopf. Und er dachte: „So fängt mein Konzert nicht an.“ Doch aus irgendeinem Grund ließ Lampson der Klang nicht los, wirkte auf ihn anziehend und abstoßend zu gleich.
Diese Paradoxie versuchte der Komponist nun zu gestalten, die Spannung, die die Phrase bei ihm auslöste, auszuloten. Dabei konnte sich Lampson nie ausschließlich auf seine Komponierfähigkeit konzentrieren, sondern meisterte außerdem seinen Alltag als Präsident der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. So wechselte er ständig zwischen verschiedenen Lebensebenen hin und her. Es dauerte seine Zeit, bis aus der der kleinen Tonumspielung schließlich ein Grundklang entstand. „Ich habe immer, wenn ich ein Stück anfange, das Gefühl, ich kann nichts und tappe im Dunkeln und am Ende entsteht dasselbe Stück. Ich habe immer das Gefühl, es kommt auf eine sich wie ein roter Faden durchziehende Geste zurück.“ Dies sei keine Absicht, erklärt er. Der wochenlange Prozess des Komponierens, für den er in den Endphase um vier Uhr in der Frühe aufstand, funktioniere nur, da zu Beginn vollkommen unsicher sei, was komme, aber er es gerne herausfinden würde. Diese Neugier, so Lampson, sei für ihn ein Spiel mit Klängen, Resonanzen und Formen, die immer einen Bezug zu seinem eigenen Hören haben. Dieses Klangspiel sei ein innerer Drang: „Für mich ist ein Spiel erst befriedigend, wenn die Geige auf allen ihren möglichen Tönen geklungen hat. Erst dann ist das Motiv gesättigt. Es ist mir wichtig, dass eine Form ensteht, die atmet.“
Aus dieser inneren Spannung heraus enstand ein Violinkonzert, das in der Nähe des Gestus eines klassischen Violinkonzerts ansetzt, dann aber doch in eine andere Richtung geht. „Es gibt keinen Zielpunkt, sondern es entsteht ein Spannungsfeld wie siedendes Wasser, dass so lange in Spannung steht, bis es keine Spannung mehr ist.“ So beschreibt Lampson die Schlussphase des Stücks. Der Solist baut diese Spannung über eine lange Phase auf, dann kommt das Orchester zum Siedeprozess in schnellenden, aufgerissenen wirbelnden Tönen hinzu. Die Taktstruktur und verschiedene Ebenen der Zeit verschieben sich. Es entsteht ein schwebender, schwirrender Zustand über eine lange Strecke. „Etwas, was man kennt, aber dennoch nicht greifen kann“, so fasst es Lampson ihn Worte. Für ihn ist Komponieren eine innere Hörwelt, die auf die eigentliche Welt hinweist.
In seinem Vortrag zeigt Lampson, dass man sein Violinkonzert auch als Protokoll des Komponierprozesses ansehen könnte. Der Prozess an sich habe dabei unbedingte Wertigkeit und das Ergebnis als Protokoll eine eigene Form. Durch dieses doppelte Spiel wird der Prozess einerseits abgeschlossen und dann doch wieder aufgemacht. Die Reflexion darüber ist für ihn das Reden von etwas ganz Lapidaren, aber auch ganz Existenziellem, das er als „Meister ohne Meisterwerk“ an der Zeppelin-Universität mit seinem Publikum teilt. „Es gibt Prozesse, die einfach nur Prozesse sind. Aber ich kann sagen, dass es sich gelohnt hat, als Komponist gelebt zu haben, auch wenn mein Violinkonzert kein Meisterwerk wird“, resümiert Lampson, nachdem er seinen Zuhörern eine Aufnahme seines Stücks präsentiert. „Wenn Sie jetzt die Daumen drücken und das Stück immer wieder und von allen Violinsolisten in der Welt gespielt wird, dann ist ein Meisterwerk entstanden. Jetzt weiß man es nicht".
Bildrechte:
Portrait: www.elmar-lampson.de
Titelbild: Lester Ang / Flickr.com
Bilder im Text: Gary Denham / Flickr.com;
Jon-Eric Melsæter / Flickr.com