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Herr Prof. Dr. Cornelius Puschmann studierte Englisch, Kommunikationswissenschaften und Information Science an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf und promovierte “summa cum laude” zum Thema: “The corporate blog as an emerging genre of computer-mediated communication”.
Seit September 2014 ist er Vertretungsprofessor am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaften an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Außerdem arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alexander von Humboldt Institute for Internet and Society in Berlin. Zu seinen Forschungsfeldern zählt die Medien-Kommunikation, sowie der Einfluß des Internets auf die Gesellschaft, insbesondere der Wissenschaft und der Lehre. Unter @cbpuschmann twittert Prof. Puschmann zudem über aktuelle Themen.
Sinn und Zweck der Ice Bucket Challenge war es, auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose kurz ALS aufmerksam zu machen. Da die Krankheit sehr selten ist, fließt vergleichsmäßig wenig Geld in die Erforschung von ALS. Um die Aufmerksamkeit und Spenden für die Krankheit zu erhöhen, ließen sich Freunde eines Betroffenen folgendes Spiel einfallen. Wird man von einem Freund für die Ice Bucket Challenge nominiert, hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man gießt sich einen Eimer Eiswasser über den Kopf oder spendet der ALS Association einen bestimmten Betrag. Anschließend darf der Nominierte selbst drei weitere Personen aus seinem Bekanntenkreis nominieren, die sich mit Wasser übergießen oder spenden müssen.
Nominiert durch Mark Zuckerberg ließ sich Bill Gates extra eine Vorrichtung bauen, um sich das Eiswasser über den Kopf zu gießen.
Herr Prof. Puschmann, wurden Sie für die Ice Bucket Challenge nominiert?
Prof. Dr. Cornelius Puschmann: Nein, ich habe es nur in meinem Bekanntenkreis gesehen.
Angenommen, jemand aus Ihrem Bekanntenkreis hätte Sie nominiert, hätten Sie mitgemacht?
Puschmann: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube nicht, dass ich es gemacht hätte, aber das würde ich eher in der Situation selbst entscheiden.
Was halten Sie persönlich von der Ice Bucket Challenge?
Puschmann: Auf der einen Seite gibt es eine große Begeisterung für die Aktion und damit verbunden auch Untersuchungen, die einen erhöhten Spendeneingang - vor allem aber nicht nur für ALS - nachweisen konnten. Man hat diese Bereitschaft auf die Ice Bucket Challenge zurückgeführt. Darüber hinaus hat das Mem sicherlich die Sichtbarkeit der Krankheit erhöht. Die Ice Bucket Challenge als Quatsch und Spielerei abzutun, fände ich deshalb falsch und sehe klar die positiven Effekte, wie die Aufmerksamkeit, die für eine seltene Krankheit geschaffen wurde.
Auf der anderen Seite wurde aber auch die Kritik geübt, dass sich die Ice Bucket Challenge zur Selbstinszenierung eignet. Das Potential haben Spenden zwar immer, allerdings ist bei der Art und Weise der öffentlichen Inszenierung des Spenders in diesem Fall die Kritik nicht ganz unberechtigt.
Sozialer Druck, Drang nach Selbstinszenierung oder wirklicher Altruismus - was lässt so viele User am Hype teilnehmen?
Puschmann: Ein wenig von allem. Ich wäre allerdings vorsichtig mit einer Wertung, da die Aktion von jedem etwas anders wahrgenommen wird und die Motivation von vielen Dingen abhängt. Jemand, der einen ALS-Betroffenen im Bekannten- oder Familienkreis hat wird aus anderen Motiven handeln, als jemand, der zum ersten Mal von der Krankheit hört. Mit einer vorschnellen Be- aber auch Verurteilung macht es sich auch die Forschung schwer, die wirklichen Gründe für so ein Medienphänomen zu untersuchen. Es kommt oft vor, dass diese gleich kulturkritisch beurteilt werden, bevor die eigentlichen Gründe so eines Phänomens erforscht wurden.
Bei der Ice Bucket Challenge kommt einiges zusammen. Eine wichtige Rolle spielt die direkte und persönliche Ansprache über das soziale Netzwerk, wie Freunde oder Familienangehörige, das sozialen Druck auf den Nominierten ausübt. Dazu kommt der Druck durch die Beobachtung Dritter im Netzwerk. Außerdem eröffnen sich die Möglichkeiten der Selbstinszenierung aber auch der ehrlichen Anteilnahme an der Krankheit, sowie der Spaß mit Freunden an dem Spiel teilzunehmen. Die Liste der individuellen Gründe ist, wie schon erwähnt, schwer zu vervollständigen.
Vor lauter Eiswasser haben viele Teilnehmer vergessen warum es bei der Aktion ging, woran kann das liegen?
Puschmann: Sicherlich an dem Spielcharakter der Challenge. Wie bei vielen Internetphänomenen, wie auch bei Internet-Mems, spielte das Weitergeben und die Weiterentwicklung von Inhalten oder Verhaltensweisen und Performances eine wichtige Rolle. Die Kopplung solcher Mem-Mechanik mit einer eigenen Botschaft ist eine clevere Idee, die aber natürlich die Gefahr birgt, dass sich dabei der ursprüngliche Zweck vom Phänomen selbst entkoppelt. Die Folge sind dann Menschen, die Spaß daran haben sich in einem Facebook-Video Wasser über den Kopf zu schütten ohne dabei die Krankheit ALS zu erwähnen.
Fluch oder Segen für die Kampagne?
Puschmann: Man kann das natürlich von zwei Seiten betrachten. Durch die Abkopplung entspricht es natürlich nicht mehr genau dem, was die Initiatoren sich ausgedacht hatten, aber keiner hat die Kontrolle über ein solches Phänomen. Am Ende hat der Hype und die damit verbundene Verbreitung der Kampagne für ALS sicherlich mehr geholfen als geschadet.
Kann man die #IceBucketChallenge mit anderen Phänomenen wie Clicktivism im Internet vergleichen?
Puschmann: Ich würde sagen: Ja. Allerdings auch, weil verschiedene Dinge zusammen kommen und die Autorität darüber fehlt, Teilnehmern zu sagen, wie sie sich zu verhalten haben. Clicktivism ist natürlich weniger nachhaltig als tatsächliches Engagement. Die Frage ist aber eher, ob sich nachhaltig engagierte Menschen in Zeiten des Internets weniger stark engagieren. Darauf deutet meiner Meinung wenig hin. Gibt es aber Menschen, die sich durch Clicktivism engagieren, die es vorher gar nicht oder nicht sichtbar getan haben? Darauf deutet einiges hin. Wird deren Engagement dadurch nachhaltiger? In vielen Fällen sicherlich nicht, aber in der Masse gibt es bestimmt ein paar, die sich anschließend nachhaltig engagieren und mit denen ist auch durch Clicktivism und einer Ice Bucket Challenge etwas gewonnen.
Sozialer Druck um Menschen zu Spenden zu bewegen - heiligt der Zweck die Mittel?
Puschmann: Nein, aber ich würde das etwas anders beantworten. Der Mechanismus der Ice Bucket Challenge lässt sich auf andere Zwecke übertragen, um für eine ähnliche Verbreitung zu erreichen. Solche Zwecke, wie beispielsweise Verbreitung von Unwahrheiten, können wir normativ als schlecht oder zumindest als belanglos betrachten. Das kann man kritisch sehen, aber in diesem Fall hätte sich das Phänomen wahrscheinlich nicht so rasant verbreitet, wäre es nicht für einen guten Zweck gewesen. In einer Twitter-Studie fanden wir heraus, dass sich Themen meist dann über die Grenzen verschiedener Interessengruppen ausbreiten, wenn diese allgemein konsensfähig sind oder allein der Unterhaltung dienen. Ich würde die Ice Bucket Challenge beiden Kategorien zuordnen.
Werden wir in Zukunft noch öfter mit solchen Aktionen mit Schneeballsystem zu tun haben?
Puschmann: Solche Schneeballssysteme gab es schon lange vor dem Internet. Da sich solche Spiele im Internet aber noch leichter durchführen lassen als offline, können wir uns sicher sein, dass wir derartiges noch öfters sehen werden.
Titelbild: Martin / Flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Fotos im Text: Elijah van der Giessen / Flickr.com (CC BY-NC 2.0)
Kris Olin / Flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)