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Nach seinem Bachelor-Abschluss an der Technischen Hochschule Wildau kaum Tom Schlansky im September 2012 für den Master-Studiengang Politics and Public Management an die Zeppelin Universität. Während er sich durch Engagements und Tätigkeiten als Wissenschaftliche Hilfskraft aktiv in seine Universitäten einbrachte absolvierte er zudem etliche Praktika im In- und Ausland. So führte ihn sein Weg unter anderem nach London, Brüssel, Washington und Berlin. Als TOGI-Master-Absolvent wurde er nun für seine Master-Arbeit "Ein glasklarer Fall?" mit dem Best Master Thesis Award ausgezeichnet.
Grundlage seiner Arbeit war die international breit unterstützte Erklärung zur parlamentarischen Offenheit. Denn dass es nötig ist, die Arbeit der Parlamente weltweit im Auge zu behalten, sehen nicht nur die über 160 internationalen Unterzeichner so. Allein im Deutschen Bundestag werden jährlich über 100 Gesetze diskutiert und beschlossen. „Diese schiere Menge erzeugt eine große Unübersichtlichkeit für Menschen, die außerhalb dieser Diskussionen stehen", weiß auch Schlansky und beschreibt parlamentarische Offenheit daher als „das Werkzeug der internationalen Zivilgesellschaft, mit der sie die ‚Black Box Parlament' entschlüsseln möchte." In diesem Werkzeug ist eine ganze Reihe von Anforderungen an die Transparenz von Parlamenten und Parlamentariern verpackt, die sich vor allem um technische Standards und den Zugang und die Nutzung von parlamentarischen Informationen und Daten drehen.
Denn diese sind nicht nur für Bürger, sondern auch für Computer interessant, wenn es darum geht, rechnerbasierte Klarheit über die Arbeit der Abgeordneten zu schaffen. „Wenn Informationen und Daten für Computer leichter les- und verarbeitbar sind, dann ermöglicht das beispielsweise die Verknüpfung der Abstimmung von Abgeordneten mit ihren Reden, Tweets oder Interviews, die sie gehalten, veröffentlicht oder gegeben haben", beschreibt Schlansky die Möglichkeiten. Was in den Vereinigten Staaten von Amerika auf Portalen wie opencongress.org problemlos möglich ist, scheitert in Deutschland an der Bereitstellung der passenden Daten. Zwar gibt es Projekte wie das von der Open Knowledge Foundation Deutschland unterstützte, aber noch weitgehend unfertige offenesparlament.de, doch wird es deren Machern schwer gemacht. Viele Daten müssen selbst aufwendig aufbereitet und vorhandene Schnittstellen mangels Dokumentation in Handarbeit entschlüsselt werden.
Genau auf diese Problematik hat Schlansky seinen „Open Parliamentary Index for Germany 2014" aufgesetzt, um Offenheit und Transparenz in den deutschen Parlamenten zu messen. Mit klarem Untersuchungsgegenstand und theoretischem Fundament hat er so einen additiven Index konstruiert, der insgesamt 25 Einzelaspekte auf Basis der Forderungen der Erklärung zur parlamentarischen Offenheit prüft. „Jeder Aspekt wird auf einer Intensitäts-Skala von 0 bis 4 eingeordnet, wobei dann maximal 100 Punkte je Parlament erreicht werden können", erläutert er sein Instrument. Die 25 Aspekte wurden den Parlamenten für eine Selbstbewertung über eine Online-Plattform zur Verfügung gestellt. Nach Abschluss der Erhebung wurden die Daten in einer Eigenbewertung eingeschätzt und zu Handlungsempfehlungen entwickelt.
Aber welche Faktoren sind überhaupt relevant, erfassbar und geeignet, um einen Begriff wie „Transparenz" auf einer Intensitäts-Skala einzuordnen? Schlansky hat seine 25 Aspekte deshalb in vier Kategorien unterteilt: „Dazu zählen die Kultur der Offenheit, die Transparenz der Parlamente, der Zugang zu und die Nutzbarkeit von parlamentarischen Informationen", fasst er die Aspekte zusammen, die er allesamt gleichwertig zueinander analysiert hat. Schließlich folgt er mit diesem Beispiel dem Leitbild seiner Ausgangsdefinition: „Da die Forderungen der internationalen Zivilgesellschaft ohne Priorisierung in die Diskussion gestellt wurden, habe ich ebenfalls auf eine Gewichtung verzichtet", erläutert Schlansky sein Vorgehen.
Bei solchen genauen Vorgaben und dem großen Interesse an Offenheit und Transparenz könnte man meinen, der ZU-Absolvent schlägt mit seiner Erhebung in eine altbekannte Kerbe. Doch ganz im Gegenteil — der „OPIG14" ist in seinem Umfang in Deutschland einzigartig. „Besonders ist auch, dass er der erste Index in Deutschland ist, der auch die Bundesländer mit einbezieht. Auch bei Projekten in anderen Föderalstaaten werden die Ebenen unterhalb des Bundesstaates selten untersucht, weil die Wichtigkeit von Länderkammern oftmals unterschätzt wird", beschreibt er seinen Index nicht ganz ohne Stolz. Denn bereits ein Blick reicht, um sich der Bedeutung der Deutschen Bundesländer bewusst zu werden, rechnet der Jungforscher vor: „Das Land Bayern hatte 2013 einen Haushalt von 48 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Bundeshaushalt von 302 Milliarden Euro im gleichen Jahr ist das durchaus eine Summe. Die Kontrolle dieses Geldes obliegt dem Landesparlament; da ist die Transparenz bei dieser Arbeit ein hohes Gut."
Dennoch lässt die Tatsache, dass die Parlamente die untersuchten Daten über ihre Offenheit selbst angegeben haben, kritisch aufhorchen. Auch Schlansky ist sich des Problems bewusst und beschreibt das Dilemma, welches er auch in seiner Arbeit thematisiert: „Einige der notwendigen Daten können nur die Parlamente selbst liefern. Darüber hinaus steckt man in einer Masterarbeit auch in zeitlichen Limitierungen bei der Erhebung der Daten. Eine komplette Eigenerhebung von 25 Aspekten für 16 Bundesländer und den Bundestag wäre schon theoretisch kaum machbar. Für einen zweiten Anlauf würde ich aber wohl einen Erhebungsmix wählen, um diesem Konflikt zumindest im größeren Maße Rechnung tragen zu können", lässt er zugleich auch weitere Forschungsideen durchklingen.
Mitgemacht bei der Datenerhebung haben die Landtage in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. „Im Durchschnitt haben die vier beteiligten Parlament 57 von 100 Punkten erreicht. Das bedeutet zunächst, dass sie im Schnitt mehr als die Hälfte der konkreten Forderungen der internationalen Zivilgesellschaft erfüllen", so Schlansky. Während der Durchschnitt aber nun ein reiner Indikator ist, lohnt vor allem der Blick auf die länderspezifischen Zahlen. Denn dabei zeigen sich je nach Land unterschiedliche Schwerpunkte. Die Spitzenpositionen können Bayern und Nordrhein-Westfalen mit 61 Punkten erobern, dahinter folgen Baden-Württemberg mit 54 Punkten und Schleswig-Holstein mit nur 52 Zählern.
Woran es den Parlamenten schlussendlich mangelt, scheint durchaus überraschend: „Der Zugang zu einem breiten Informationsangebot, wenn auch in unterschiedlicher Qualität, ist durchaus eine Stärke der untersuchten Parlamente", berichtet der ZU-Absolvent. Problematisch hingegen sei die Nutzbarkeit der Daten durch die mangelnde Einhaltung offener Standards und das Fehlen offener Lizenzen. „Damit sind viele interessante Ansätze wie beispielsweise opencongress.com eben nicht umsetzbar, oder die Daten müssen durch aufwendige Verfahren gewonnen werden." So gehen die Werte zwischen Kategorien und Bundesländern tatsächlich weit auseinander, wenn Spitzenreiter Nordrhein-Westfalen mit nur 5 von 20 Punkten in der Kategorie „Nutzbarkeit" unterlegen ist und sich Baden-Württemberg mit 10 von 12 Zählern in der Kategorie „Zugang" durchsetzt.
Wenn besonders die länderspezifischen Unterschiede relevant sind, kommt schnell die Frage nach Spitzenreitern und Vorbildern auf. Denn Schlansky beschreibt, dass die eigene Standortbestimmung im föderalen Vergleich bald an Bedeutung gewinnen könnte: „Das Thema ist auf Länderebene noch nicht sehr intensiv diskutiert worden. Da werden einige Akteure möglicherweise das vielzitierte ‚Neuland‘ betreten. Aber auch die Zivilgesellschaft erhält den einen oder anderen Einblick in die Denkwelt der Länder und findet auch abseits des Bundestags potentielle Kooperations- und Dialogpartner. Beispiele in den USA, Großbritannien und Brasilien zeigen dabei, dass die Öffnung der Parlamente einer Zusammenarbeit beider Seiten bedarf", erläutert er im Hinblick auf mögliche Erfolge, die nur gemeinsam erzielt werden können.
Mit seinen gewonnen Erkenntnissen liegt es nun auch zu einem Teil an Schlansky selbst, für den gemeinsamen Erfolg mit anzupacken. Ein erster Schritt ist bereits getan, denn die Arbeit wird im Rahmen der TOGI-Schriftenreihe im Band 13 veröffentlicht und auch an die relevanten Akteure aus Staat und Gesellschaft verschickt. Doch seine Planungen reichen schon einen Schritt weiter, verrät er: „Es ist auch geplant, dass ich die Arbeit im September den Landtagspräsidenten direkt vorstelle. Ich kann mir dabei, je nach Akteur, eine große Bandbreite von Reaktionen vorstellen: von großem Interesse bis großer Sorge über das Potential dieses Themas. Der Begriff Transparenz gibt — aus guten Gründen — immer Anlass zur Skepsis bei den Beteiligten, die transparenter werden sollen." Denkbar wäre für Schlansky weiterhin auch eine Vertiefung des Themas im Rahmen einer Dissertation. „Aber erstmal bin ich auf das Feedback der verschiedenen Stakeholder gespannt", bremst er dann doch.
Genug Anlass zum Austausch mit allen Anspruchsgruppen gibt es also, denn einige Mängel hat der „Open Parliamentary Index for Germany 2014" fraglos offenbart. Und bis in den „Garten Eden der parlamentarischen Offenheit" — wie ihn der ZU-Absolvent schmunzelnd nennt — ist noch ein weiter Weg zu gehen. „Hier fänden Bürger und Zivilgesellschaft dann ein Parlament vor, das eine Fülle an Zugängen zu den verfügbaren Informationen und Daten bietet. Diese wären technisch so ausgestaltet, dass Dritte ohne Gebühren die Daten aufbereiten könnten", beschreibt Schlansky einen fiktiven Anwärter auf die 100 Punkte-Marke im Index. Denn daraus ergäben sich etliche neue Möglichkeiten, weitere Plattformen und Tools zu entwickeln. „Die Fürsprecher der Zivilgesellschaft sehen dabei ein großes Potential, um Bürger stärker zu beteiligen, die Qualität der parlamentarischen Arbeit zu verbessern und die Kontrolle der Parlamentarier zu verstärken", skizziert er die möglichen Erfolge. „Ein Parlament mit 100 Punkten könnte somit einen Beitrag zu einer besseren, stärkeren und bürgerfreundlicheren Demokratie leisten", hofft Schlansky.
Titelbild: Daniel Luperon / flickr.com (CC BY-ND 2.0)
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Bernd Schälte, Landtag von Nordrhein-Westfahlen (Presseservice)
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