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Regionsbildung

Mehr Raum für grenzenlose Zusammenarbeit

von Sebastian Paul | Redaktion
13.10.2015
Kaum eine andere Region lässt ein solches Nebeneinander von zwischenstaatlichen und kommunalen Kooperationsarrangements erkennen.

Dr. Jörg Röber
Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Verwaltungswissenschaft & Verwaltungsmodernisierung
 
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    Zur Person
    Dr. Jörg Röber

    Jörg Röber studierte Politik- und Verwaltungswissenschaft an den Universitäten Konstanz und Nottingham. Seit September 2007 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stadt-Friedrichshafen-Lehrstuhl für Verwaltungswissenschaft der Zeppelin Universität in Friedrichshafen tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen der politikwissenschaftlichen Stadt- und Regionalforschung sowie der Public Management Forschung. 

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    Factbox
    Buch „Zukunftsfähig durch Regionsbildung?"

    „Zukunftsfähig durch Regionsbildung? – Institutionenbildung in politisch-administrativen Verflechtungsräumen“
    Jörg Röber
    Verlag Barbara Budrich, 11. März 2015
    ISBN-10: 3863880935
    ISBN-13: 978-3863880934
    Preis: etwa 36 Euro 

    Rezensionen zu „Zukunftsfähig durch Regionsbildung?"

    Knippschild, Robert (2015) Raumordnung und Raumforschung (veröffentlicht online: 18.07.2015) 

    Rezensionen zu „Zukunftsfähig durch Regionsbildung?"

    Schwarz, Martin (2015) Portal für Politikwissenschaft. Annotierten Bibliografie (veröffentlicht online: 16.07.2015) 

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Alte Grenzregion Bodensee: Staatsverträge über die Schifffahrt auf Rhein und Bodensee oder die Regelung der Fischerei gehen bis zu 150 Jahre zurück.
Alte Grenzregion Bodensee: Staatsverträge über die Schifffahrt auf Rhein und Bodensee oder die Regelung der Fischerei gehen bis zu 150 Jahre zurück.

Was kennzeichnet eine Grenzregion aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht?

Dr. Jörg Röber: Grenzregionen sind aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht vor allem deswegen interessant, da sie trotz vielfältiger sozio-struktureller, ökonomischer und historischer Verflechtungsbeziehungen durch eine Vielzahl administrativer und politischer Grenzziehungen geprägt sind. Diese Grenzziehungen können sich dabei auch überlappen oder stehen gegebenenfalls in einem Konflikt zueinander, wenn beispielsweise eine Kommune mit einer staatlichen Fachverwaltung zusammenarbeiten muss. Die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen wie internationaler Standortwettbewerb, demografischer Wandel sowie naturräumlicher Aufgaben – man denke hier an die kollektive Nutzung natürlicher Ressourcen wie die Wassernutzung des Bodensees – über gegebene Grenzziehungen hinweg, stellt daher eine sehr komplexe Aufgabe dar. Wie das manchmal mehr und manchmal weniger gelingt und vor allem welche Faktoren den Erfolg von politisch-administrativen Kooperationen beeinflussen, das ist ein ungemein spannendes Forschungsfeld. Selbst wenn diese Zusammenarbeit für viele Bürger kaum sichtbar im Hintergrund verläuft.

Welche zentralen Herausforderungen bestehen für diese regionalen Verflechtungsräume?

Röber: Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit stellt gleich in mehrfacher Weise erhebliche Herausforderungen für staatliche und kommunale Verwaltungen dar. So stellt sich die Frage, wie unterschiedliche Politik- und Verwaltungsebenen erfolgreich kooperieren können (Mehr-Ebenen-Problematik). Da zumeist nur partnerschaftliche Formen der Koordination möglich erscheinen, muss zugleich die Frage beantwortet werden, wie politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen integriert werden können. Darüber hinaus stellt sich – wie immer bei öffentlichem Handeln – auch die Frage nach der Sicherung von politischen Teilhabe- und Mitentscheidungsrechten (Legitimationsproblematik). Last but not least ist es ein sehr ambitioniertes Unterfangen, unterschiedliche Akteure mit abweichenden Zielsetzungen und Kompetenzen so zu organisieren, dass dabei tatsächlich auch kollektive Handlungsfähigkeit entsteht (Komplexitätsproblematik).

Wo liegen die Gründe für die Entstehung und Entwicklung von grenzüberschreitenden regionalen Kooperationsarrangements?


Röber: Zusammenarbeit entwickelt sich zumeist aus funktionalen Notwendigkeiten vor dem Hintergrund vielfältiger Verflechtungsbeziehungen, wenn es also darum geht, die Nutzung eines gemeinsam genutzten Gutes – wie den Bodensee – zu regulieren. In diesem Sinne sind auch Kooperationen einzuordnen, die sich beispielsweise darum bemühen, Benachteiligungen, die sich aus der Grenzsituation ergeben, abzubauen – zu nennen sind hier Verkehr, Tourismus oder Warenverkehr. Sehr wohl gibt es auch politische Gründe für das Bemühen um Zusammenarbeit: So ist für die national verorteten Teilregionen die jeweilige Hauptstadt nicht nur räumlich, sondern auch politisch und kulturell mitunter sehr fern, wobei ein erwachendes regionales Bewusstsein – vor dem Hintergrund historisch oder kulturell verorteter Gemeinsamkeiten – sowie der Europäische Einigungsprozess diese Tendenzen noch verstärkt haben.

Zusammenarbeit in den Grenzregionen: In Sachen Tourismus (hier: Fußgängerzone in Konstanz), Verkehr und Warenverkehr gibt es in der Bodenseeregion vielfältige Verflechtungsbeziehungen.
Zusammenarbeit in den Grenzregionen: In Sachen Tourismus (hier: Fußgängerzone in Konstanz), Verkehr und Warenverkehr gibt es in der Bodenseeregion vielfältige Verflechtungsbeziehungen.

Welche Besonderheiten weist die Bodenseeregion im Vergleich zu anderen Grenzregionen auf?

Röber: Im Vergleich zu vielen deutschen Grenzregionen, die noch relativ jung sind und erst im Zuge des intensivierten Europäischen Einigungsprozesses nach 1990 organisational verfasst worden sind, ist die Bodenseeregion recht alt. Staatsverträge über die Schifffahrt auf Rhein und Bodensee oder die Regelung der Fischerei gehen bis zu 150 Jahre zurück. Zudem weist die Region auch räumlich einige Besonderheiten auf: So gibt es nicht ein dominierendes urbanes Zentrum wie es Basel für sein schweizerisches, französisches und deutsches Umland ist, vielmehr prägt eine polyzentrische Raumstruktur mit einer nicht geringen Zahl an Mittel- und Kleinstädten die Bodenseelandschaft. Aber auch organisatorisch tanzt die Bodenseeregion ein wenig aus der Reihe. Die Region scheint mit ihren vielfältigen sektoralen beziehungsweise fachaufgabenbezogenen Kooperationen einen eher ungewöhnlichen Regionstypus zu repräsentieren. Kaum eine andere Region lässt ein solches Nebeneinander von zwischenstaatlichen und kommunalen Kooperationsarrangements erkennen.

Wie lässt sich die grenzüberschreitende politisch-administrative Zusammenarbeit in der Bodenseeregion beschreiben?


Röber: Die Vielfalt der beteiligten Akteure sowie die große Anzahl an unterschiedlichen institutionalisierten Formen der Zusammenarbeit innerhalb der Bodenseeregion vermitteln das Bild einer sehr aktiven Kooperationstätigkeit. Für die politisch-administrative Zusammenarbeit in der Region ist bei näherer Betrachtung jedoch festzuhalten, dass die zu beobachtende starke sektorale und ebenenbezogene Fragmentierung, die Dominanz kleiner, relativ exklusiver staatlicher Expertengremien sowie die Schwäche lokal verankerter Kooperationsstrukturen die Fähigkeit regionaler Akteure, über territoriale und fachliche Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten, insgesamt einschränkt. Allerdings gibt es auch Belege dafür, dass es durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelungen ist, organisationale Strukturen in einigen für die Bewältigung gerade naturräumlicher Herausforderungen wichtigen Bereichen aufzubauen. So sind die sektoralen Kooperationen im Umwelt- und Gewässerschutz zu einem internationalen Vorbild für andere grenzüberschreitende Kooperationsarrangements in diesem Bereich geworden.

Welche Fragen stehen im Mittelpunkt Ihrer Forschungsstudie und wie sind Sie methodisch vorgegangen?

Röber: Meine Studie richtet sich an drei größeren Forschungsfragen aus: Welche regionalen Governance-Strukturen haben sich in der grenzüberschreitenden Bodenseeregion etabliert? Welche Kooperationskultur hat sich bei den politisch-administrativen Experten und Führungskräften herausgebildet? Und wie wirken sich die etablierten Strukturen und die vorherrschende Kooperationskultur auf Entscheidungen in relevanten Politikfeldern aus?

Um diese Fragen zu beantworten, habe ich in der Bodenseeregion die Zusammenarbeit in verschiedenen Politikfeldern im Hinblick auf prägende Organisations- und Kulturmuster miteinander verglichen. Dabei habe ich sowohl auf quantitative Formen der Datenerhebung (Umfragen) als auch auf qualitative Erhebungsinstrumente (Interviews und Dokumentenrecherche) zurückgegriffen. In ähnlicher Weise bin ich auch bei der Analyse der so gewonnen Daten vorgegangen: Ich habe mich nicht allein auf eine qualitative Auswertung beschränkt, sondern auch statistische Verfahren eingesetzt.

Wie wirkt sich der in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende Institutionenbildungsprozess auf die heutige Ausgestaltung der regionalen grenzüberschreitenden Kooperation in der Bodenseeregion aus?

Röber: Das aktuelle Bild der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Bodenseeregion ist maßgeblich von sektorübergreifenden und pfadabhängigen Entwicklungen gekennzeichnet. Vor dem Hintergrund der politischen Konflikte der 1960er und 1970er Jahre sowie der besonderen strukturellen Herausforderungen dieser Zeit wie Umweltverschmutzung, Nutzerkonflikte oder Zersiedelung, sind eine ganze Reihe von Kooperationsorganisationen geschaffen worden, die überwiegend von den Länder- und Kantonsverwaltungen beziehungsweise den Bundesverwaltungen geprägt wurden. Dass diese Organisationen bis heute die politische und administrative Zusammenarbeit dominieren, ist zum einen dem „Erfolg“ dieser Organisationen in der Bearbeitung vor allem regulierungstechnischer Fragestellungen geschuldet und zum anderen den erheblichen Schwierigkeiten gerader kommunaler, aber auch zivilgesellschaftlicher Akteure, Alternativen zu diesen Organisationen zu schaffen. Auf dieses Beharrungsvermögen der etablierten zwischenstaatlichen Kooperationsorganisationen ist letztlich die bis heute prägende stark fachlich-sektorale Ausrichtung der politisch-administrativen Zusammenarbeit zurückzuführen.

Weshalb nehmen die Vorstellungen und Überzeugungen von Experten und Führungskräften einen breiten Raum in Ihrer Studie ein?

Röber: Ich gehe in meiner Studie davon aus, dass die kulturellen Muster – Werte und Einstellungen, Rollenverständnisse und Perzeptionen – der handelnden Führungskräfte und Experten selbst einen erheblichen Einfluss darauf ausüben, wie bestehende Organisationsstrukturen und die darin gegebenen Handlungsspielräume bewertet und genutzt werden und wie in bestimmten Gruppen oder Organisationen geteilte Konventionen und Erwartungen im Rahmen der Kooperationsarbeit Bedeutung erlangen. Aus diesem Grund interessiere ich mich in meiner Studie nicht nur für die Einstellungen und Werthaltungen von Führungskräften und Experten, sondern vor allem auch dafür, in welchem Umfang bestimmte Sichtweisen und Rollenbilder geteilt werden. Die Vermutung liegt nahe, dass gerade geteilte Rollenbilder die Zusammenarbeit über organisationale Grenzen hinweg begünstigen, während unterschiedliche Rollenbilder eher eine Herausforderung für die Zusammenarbeit darstellen. Im letzteren Fall wäre es denkbar, dass bestehende organisationale Handlungsspielräume vor dem Hintergrund unterschiedlicher Problemdeutungen und Rollenbilder nicht genutzt werden.

Welche Konsequenzen ergeben sich denn daraus für die regionale Kooperationsfähigkeit?


Röber: Meine Beschreibung und Analyse der Kooperationskultur zeigt, dass sich die kulturellen Muster der Experten und Führungskräfte im Hinblick auf Rollenbilder, politische und berufsbezogene Wert- und Einstellungsmuster sowie regionale Identität unterscheiden, und dass institutionelle, organisationale und demografische Merkmale einen Einfluss auf die Einstellungen und Werthaltungen sowie die Rollenbilder und Sichtweisen zur grenzüberschreitenden Kooperation ausüben. So konnte ich unter den Experten und Führungskräften fünf Gruppen (Kulturtypen) ermitteln, die sich aufgrund verschiedener Dimensionen der Kooperationskultur voneinander abgrenzen lassen. In meiner Untersuchung der kulturellen Muster spiegelt sich aber nur scheinbar die strukturelle Fragmentierung der Region wider. In Bezug auf zentrale Kooperationskulturdimensionen konnte ich Überlappungen der Wert- und Einstellungsmuster bestimmter Gruppen von Experten und Führungskräften ausmachen. So ist für drei der fünf ermittelten Kulturtypen anzunehmen, dass bei ihnen gegenseitiges Vertrauen und die Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln vorhanden sind. Außerdem ist deutlich geworden, dass von einer engen Kopplung organisationaler Strukturen und kultureller Prägungen nicht ausgegangen werden kann.

Diese Erkenntnisse führen mich zu der Annahme, dass multiple Rollenbilder auf ähnlichen Wert- und Einstellungsmustern beruhende interorganisationale Beziehungsnetzwerke sowie geteilte Situationsdeutungen Experten und Führungskräften bei der Überwindung der beobachteten strukturellen Fragmentierung helfen.

Buchcover "Zukunftsfähig durch Regionsbildung? – Institutionenbildung in politisch-administrativen Verflechtungsräumen“ | Jörg Röber
Rezension von Robert Knippschild


Rezension von Martin Schwarz


Welche Rückschlüsse und damit verbundene Gestaltungsempfehlungen lassen sich aus den Ergebnissen der Studie für eine Weiterentwicklung der gesamtregionalen Zusammenarbeit ableiten?

Röber: Angesichts des erheblichen institutionellen Beharrungsvermögens der etablierten Kooperationsorganisationen und Organisationsnetzwerke scheint eine umfassende Neuordnung der über mehrere Jahrzehnte entstandenen regionalen Strukturen der Zusammenarbeit nicht möglich. Bei der Suche nach Gestaltungsstrategien richtet sich die Aufmerksamkeit daher vor allem auf kulturelle Faktoren und somit auf die handelnden Experten und Führungskräfte selbst. Obwohl die Identifizierung und Aktivierung geeignet erscheinender Führungskräfte sowie das verstärkte Bemühen um die Aus- und Fortbildung von Führungskräften im Hinblick auf ein verbessertes Management tendenziell zu einer Steigerung der Leistungsfähigkeit politisch-administrativer Kooperationsarrangements beitragen kann, scheint das damit zu hebende Veränderungspotential doch begrenzt zu sein. Offensichtlich fehlen starke – exogene – Veränderungsanreize, die Gelegenheiten für einzelne Führungskräfte beziehungsweise Gruppen von Führungskräften und Experten entstehen lassen, erfolgreich – mit neuen Ideen oder neuen Kooperationsinitiativen – auf eine weitreichende thematische und organisationale Weiterentwicklung einzuwirken.


Titelbild: Simon Cockell / flickr.com (CC BY 2.0)

Bilder im Text: ZU; Stephen Hanafin / flickr.com (CC BY-SA2.0);

http://www.budrich-verlag.de; ZU

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