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Insa Sjurts kam 2015 aus Hamburg an die Zeppelin Universität. Zuvor war sie dort Professorin an der Universität Hamburg, Akademische Direktorin und Geschäftsführerin der Hamburg Media School. Zudem war sie von 2007 bis 2014 Vorsitzende der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), deren Mitglied sie bis heute ist. An der Zeppelin Universität besetzte sie zudem den neuen Lehrstuhl für Strategisches Management und Medien.
Sie wurden für eine weitere Amtszeit in die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) berufen. Welche Arbeit nimmt die Kommission eigentlich ganz grundlegend wahr?
Prof. Dr. Insa Sjurts: Die KEK ist – so ist es im Rundfunkstaatsvertrag geregelt – zuständig für die abschließende Beurteilung von Fragestellungen der Sicherung der Meinungsvielfalt im Zusammenhang mit der bundesweiten Veranstaltung von privaten Fernsehprogrammen. Zentraler Maßstab für die Einschätzung, ob und inwieweit durch eine Transaktion oder im Zeitablauf eine Gefährdung der Meinungsvielfalt entsteht, ist dabei der sogenannte Zuschaueranteil – die nach dem Rundfunkstaatsvertrag kritische Grenze liegt dabei bei 30 Prozent. Heißt: Bis zum Erreichen dieser Grenze kann ein Unternehmen selbst oder durch die ihm zurechenbaren Unternehmen bundesweit im Fernsehen eine unbegrenzte Anzahl von Programmen veranstalten, erreicht es jedoch mit seinen Programmen die Zuschaueranteilsgrenze, wird „vorherrschende Meinungsmacht“ angenommen.
Gleiches gilt beim Erreichen eines Zuschaueranteils von 25 Prozent, sofern das Unternehmen auf einem medienrelevanten verwandten Markt – dies sind andere Medienteilmärkte wie Radio, Internet, Zeitungen oder auch Zeitschriften – eine marktbeherrschende Stellung hat oder eine Gesamtbeurteilung seiner Aktivitäten im Fernsehen und auf medienrelevanten verwandten Märkten ergibt, dass der dadurch erzielte Meinungseinfluss einem Zuschaueranteil von 30 Prozent entspricht. Ein Abzug eines gewissen Prozentsatzes vom Zuschaueranteil ist möglich, wenn ein Sender Regionalprogramme (zum Beispiel RTL Nord, Abzug von zwei Prozentpunkten) beziehungsweise Sendezeiten für Dritte (zum Beispiel SPIEGEL TV, Abzug von drei Prozentpunkten) ausstrahlt. Diese werden als vielfaltssteigernd betrachtet.
Die Aufgabe der KEK ist es, auf der Basis dieser rundfunkrechtlichen Regelungen jegliche Zulassungen und Beteiligungsveränderungen im bundesweit verbreiteten privaten Fernsehen im Hinblick auf das Entstehen von vorherrschender Meinungsmacht zu prüfen. Unsere Aufgabe ist es ferner, Transparenz über die Entwicklung im Bereich des bundesweit verbreiteten privaten Fernsehens zu schaffen. Hierzu erstellen wir gemeinsam mit unseren Mitarbeitern im Bereich Medienkonzentration in der Gemeinsamen Geschäftsstelle der Medienanstalten eine jährliche Programmliste, in der alle Programme, ihre Veranstalter und deren Beteiligte enthalten sind, und legen alle drei Jahre einen Bericht über die Entwicklung der Konzentration und über Maßnahmen zur Sicherung der Meinungsvielfalt im privaten Rundfunk vor. Dies ist der sogenannte „Konzentrationsbericht“.
Mitglieder der KEK sind sechs Sachverständige des Rundfunk- und des Wirtschaftsrechts, von denen drei die Befähigung zum Richteramt haben müssen, und sechs nach Landesrecht bestimmte gesetzliche Vertreter der Landesmedienanstalten.
Eine wichtige Aufgabe der KEK ist die Sicherung von Meinungsvielfalt im Fernsehen. Doch gerade dabei gehen die Meinungen weit auseinander. Was ist denn zwischen Traumschiff und Champions League, facettenreicher Dokumentation und Helene Fischer-Show der richtige Medienmix?
Sjurts: Diese Frage, so oder ähnlich, wird immer wieder an mich gerichtet. Sie unterstellt, dass wir uns in der KEK mit den Medieninhalten beschäftigen. Das ist aber gerade nicht der Fall. Unsere Perspektive ist eine rein formale, nämlich ausgerichtet auf die oben schon erwähnten Zuschaueranteilsgrenzen. Ob ein Sender Spielfilme überträgt, sich auf Kochsendungen spezialisiert oder mit Volksmusik sein Publikum begeistern möchte, ist für uns nicht von Belang.
Sie sagen selbst, dass die Arbeit angesichts fundamentaler Veränderungen in den Medienmärkten besonders bedeutsam ist. Wie hat sich Ihre Arbeit in der KEK denn seit 2002 verändert?
Sjurts: In den vergangenen 15 Jahren hat der Medienbereich, getrieben durch die Digitalisierung, tiefe Umbrüche erfahren. Die früher wohl abgegrenzten Medienteilmärkte Print und Rundfunk sowie Internet gibt es so nicht mehr: Durch die technologiegetriebene Konvergenz lösen sich die Grenzen zwischen den verschiedenen Medienteilmärkten und Medienprodukten immer weiter auf. Nahezu jede Zeitung oder Zeitschrift ist heute auch online verfügbar, auf einem einzigen Endgerät wie dem Smartphone können alle Arten von medialem Content genutzt werden. Und das Fernsehen ist längst nicht mehr der einzige Anbieter von Bewegtbild – im Internet gibt es diese Angebote zuhauf, sei es auf nutzergenerierten Kanälen wie YouTube oder integriert in einzelne Webauftritte bei Contentanbietern wie n-tv oder verfügbar über professionelle Plattformen wie Netflix oder maxdome.
Auf den ersten Blick sieht das nach ungeheurem Vielfaltszuwachs aus. Bei genauerem Hinsehen stimmt das jedoch nur bedingt, denn diese Vielfalt kommt nur eingeschränkt beim Rezipienten an. Zum einen wirken die großen Medienkonzerne auf immer mehr von immer Gleichem in den Medien hin, indem sie ihren teuer bezahlten Content über alle ihre Ausspielkanäle crossmedial verwerten. Zum anderen stehen zwischen den Anbietern im Netz und den Nutzern mächtige Suchmaschinen, die als Gatekeeper über die von ihnen angezeigten Treffer steuern, wer welchen Content sieht.
Unter Meinungsvielfaltsgesichtspunkten ist das höchst bedenklich. Als KEK weisen wir in unseren Konzentrationsberichten immer wieder auf diese Verflechtungen hin und machen Meinungseinflüsse transparent. In unserer täglichen Arbeit bildet sich das jedoch leider (noch) nicht ab. Nach wie vor beschränkt sich unser Fokus auf den Fernsehmarkt, und nur über die medienrelevanten Märkte können wir im Prüfprozess diese Entwicklungen einfangen. Mehr nicht. Deshalb argumentieren wir dafür, dass es für eine wirksame Vielfaltskontrolle, die wirkungsmächtig genug ist, um eine Abwehr dominierender Meinungsmacht zu leisten, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert („Vorsorgegebot“), unbedingt einer Ausweitung des Betrachtungsspielraumes der KEK hin zu einer Gesamtbeurteilung der Medienmärkte bedarf. Hier müssen dann beispielsweise auch Suchmaschinen und soziale Netzwerke, die für die Meinungsbildung schon heute eine riesige Rolle spielen, von der KEK in die Betrachtung mit einbezogen werden.
Gerade auf Plattformen wie YouTube entstehen völlig neue Medienangebote – teils auch für ganz spezielle Nischen. Braucht es da überhaupt Kontrolle oder sollte man im Netz nicht Medien „frei Schnauze“ produzieren dürfen?
Sjurts: Grundsätzlich ist es gut, dass mit dem Internet jeder zum Contentproduzenten werden kann und damit Vielfalt lebendig wird. Diese Vielfalt findet allerdings ihre wichtige Grenze dort, wo der Content gegen strafrechtliche Regelungen verstößt oder ethische Grenzen überschreitet. Dass wir eine entsprechende Kontrolle, umgesetzt durch verschiedene Institutionen wie die Kommission für Jugendmedienschutz haben, ist überaus wichtig.
Was nun das zulässige Angebot angeht, stehen wir heute vor einem wahren Dschungel, durch den man sich erst einmal hindurch finden muss. Als „Navigationssysteme“ dienen Suchmaschinen und diese sind die eigentlich machtvollen Akteure im Netz. Mit ihren ausgeworfenen Trefferlisten steuern sie, wer welches Ergebnis und welche Website findet. Hier spielen bisherige Suchen, Einkäufe im Netz etc. eine zentrale Rolle. Jeder Klick führt uns mehr aus der Vielfalt heraus und in die Einfalt hinein. Und am Ende sehen wir nur noch das, was so ganz auf unserer Linie liegt. Das sprichwörtliche „Schubladendenken“ findet seine Entsprechung im Internet – nur noch perfektionierter.
Exakt an dieser Stelle müssen wir genauer hinschauen, wenn wir die materiell vorhandene Vielfalt auch transparent machen wollen. Dabei haben wir zwei Ansatzpunkte. Erstens muss der Nutzer verstehen, wie Google und Co. funktionieren, wie sie Präferenzen erkennen und uns auf bestimmte Pfade lenken. Das spielt den Ball zum Nutzer, verlangt viel von ihm und ist unbequem, aber es ist unbedingt notwendig. Zweitens, und das ist die institutionelle Flankierung, muss die Medienaufsicht sicherstellen, dass einseitige Beeinflussungen der Meinungsvielfalt durch einzelne Akteure nicht erfolgen. Hier kommt dann wieder die Notwendigkeit einer umfassenden Vielfaltskontrolle ins Visier. Heißt im Ergebnis: Vielfalt braucht sachgerechte Kontrolle, um sichtbar zu sein.
Ein Blick auf aktuelle Verfahren zeigt, dass Sie sich vor allem mit Veränderungen von Beteiligungsverhältnissen und Zulassungen von Fernsehspartenprogrammen beschäftigen. Ganz praktisch gefragt: Wie laufen solche Verfahren überhaupt ab?
Sjurts: Der Prozess ist im Rundfunkstaatsvertrag geregelt und sieht vor, dass der Veranstalter eines geplanten bundesweiten privaten Fernsehprogramms mit seinem Zulassungsantrag beziehungsweise der Anzeige einer Veränderung der Beteiligungsverhältnisse an eine Landesmedienanstalt seiner Wahl herantritt beziehungsweise – im Fall der Beteiligungsveränderung – an jene Landesmedienanstalt, bei der er schon die Zulassung hält. Die Notwendigkeit der Erteilung einer medienrechtlichen Zulassung gilt dabei unabhängig vom Verbreitungsweg (also Antenne, Kabel, Satellit oder Internet) für alle privaten TV-Programme. Die Landesmedienanstalt prüft den Antrag und legt diesen dann der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) für die Erteilung der bundesweiten Zulassung vor.
Die KEK wird in diesem Verfahren als Organ der jeweiligen Landesmedienanstalt tätig und prüft den Zulassungsantrag beziehungsweise den Antrag auf Beteiligungsveränderung darauf hin, ob der Veranstalter durch die geplante Maßnahme vorherrschende Meinungsmacht nach den Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages erlangt. Im Einzelnen geht es hier um die Prüfung mit Blick auf die oben genannte 25 Prozent- beziehungsweise 30 Prozent-Schwelle. Die Entscheidungen der KEK sind dabei abschließend und bindend für die anderen Organe der jeweiligen Landesmedienanstalt. Um diese Aufgaben sachgerecht zu erfüllen, trifft sich die KEK regelmäßig einmal im Monat in Berlin und arbeitet die vorliegenden Anträge auf Zulassung beziehungsweise Beteiligungsveränderung ab. Darüber hinaus nutzen wir die Sitzungen, um aktuelle medienrechtliche und medienpolitische Themen zu diskutieren, mit Vertretern der Medienpraxis zu aktuellen Fragestellungen ins Gespräch zu kommen, an Positionspapieren der KEK zu arbeiten oder unsere regelmäßigen Publikationen vorzubereiten.
Abschließend ein kleiner Blick in die Kristallkugel: Zum Ende Ihrer neuen Amtszeit werden Sie 20 Jahre Teil der KEK sein. Glauben Sie, dass uns weiterhin so disruptive Veränderungen in der Medienlandschaft bevorstehen wie bisher?
Sjurts: Nein, einen solchen Umbruch wie der durch die Digitalisierung ausgelöste wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Was aber nicht heißt, dass nicht noch massive Umwälzungen kommen. Denn wir sind heute noch lange nicht am Ende des Impulses angekommen, den die Digitalisierung gesetzt hat. Eher stehen wir noch am Anfang, sehen die Auflösung der alten medialen Strukturen und haben einen ersten Eindruck davon, wie die mediale Welt der Zukunft aussehen könnte: hoch individualisiert, personalisiert, überall und jederzeit. Diese Veränderungen werden sich in Zukunft in einer noch höheren Geschwindigkeit vollziehen als heute. Medienpolitik und Medienrecht sind herausgefordert, hier Schritt zu halten. Das ist keine Petitesse, sondern unabdingbare Voraussetzung für Demokratie und Meinungsvielfalt. Eine große Herausforderung, zu deren Bewältigung wir als KEK einen wichtigen Beitrag leisten können.
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Interview: Florian Gehm | vom 19. Juni 2017
Redaktionelle Umsetzung: CvD