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2012 wurde Anja Achtziger auf den Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftspsychologie der Zeppelin Universität berufen. Sie verstärkt dabei neben der Forschung auch die Studienprogramme im Bereich der Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaften an der ZU. Zuvor vertrat sie an der Universität Konstanz mehrfach die Professur für Sozialpsychologie und Motivation. Im Jahr 2008 habilitierte sie sich zum Thema „Erfolgreiches Handeln aus einer sozialkognitiven Perspektive: Rubikonmodell, Vorsatztheorie und mentales Kontrastieren“.
Was sind überhaupt Vorsätze und warum binden viele ihre Vorsätze an den Termin an Neujahr?
Prof. Dr. Anja Achtziger: Vorsätze sind spezifische Absichten, die einem attraktiv genug erscheinen, dass man sie gerne in die Tat umsetzen möchte. Man verbindet das Fassen von Vorsätzen häufig mit Silvester beziehungsweise Neujahr, weil das eine natürliche Zäsur im Jahresablauf darstellt und sich auch kulturell eine Tradition herausgebildet hat, mit der Familie, mit Freunden und Kollegen (mehr oder weniger ernsthaft) zum Jahresende beziehungsweise Jahresbeginn zu diskutieren, welche Vorsätze man sich für das kommende Jahr gefasst hat. Das kann für manche eine sehr ernsthafte Angelegenheit sein – für andere dagegen hat es eher einen Unterhaltungswert, und es ist klar, man hat nicht wirklich vor, das Erreichen eines Vorsatzes mit Schwung und Elan anzugehen.
Was sind die beliebtesten Vorsätze der Deutschen und was sagen diese über die Gesellschaft aus?
Achtziger: Es sind gewöhnlicherweise die klassischen Themen – man möchte abnehmen (dieser Vorsatz findet sich in allen „Hitlisten“ für Neujahrsvorsätze immer ganz weit oben), mehr Sport treiben, weniger rauchen oder weniger Alkohol trinken…die „Klassiker“ sind also sehr gesundheitsbezogen. Was das letztlich über die Gesellschaft aussagt, kann man daraus relativ leicht ableiten. Wir haben nun mal steigende Zahlen an Übergewichtigkeit – das ist den meisten bewusst oder sie haben selbst mit dem Problem zu kämpfen. Gleichzeitig gibt es genug Berichte in den Medien, Kampagnen von Krankenkassen oder Aufforderungen durch behandelnde Ärzte, die das Thema in das kollektive Bewusstsein rücken – entsprechend bildet man sich zu diesem Thema auch eher einen Vorsatz aus, was wiederum zeigt, dass in unserer Gesellschaft ein kritisches Gesundheitsbewusstsein herrscht. Dennoch ist deutlich zu erkennen, dass die Umsetzung den meisten ungemein schwerfällt (vor allem ohne professionelle Anleitung). Das ist es, was die ganze Sache so problematisch macht.
Viele Menschen scheuen Veränderungen: Warum ist das so?
Achtziger: Routinen entwickeln sich, weil wir uns nicht groß Gedanken machen müssen, wie wir uns verhalten sollen – beispielsweise beim Einkaufen von Lebensmitteln oder beim Kochen. In diesen Fällen ist es nur natürlich und bequem, ganz automatisch das einzukaufen, was man schon immer eingekauft hat und hinterher das zu kochen, was man schon häufig gekocht hat. Es entlastet quasi unser Denken – vor allem im Alltagsstress. Wenn es sich dabei um wenig gesunde Lebensmittel oder zu üppiges Essen handelt, das man mehr oder weniger „gedankenlos“ zubereitet und isst, entlastet das zwar den Geist und bietet auf den ersten Blick Vorteile – gleichzeitig macht es uns aber nicht unbedingt gesünder. Wenn wir nun ganz bewusst und kritisch unser Essverhalten beziehungsweise unser Gesundheitsverhalten reflektieren und hinterfragen, sowie neu ausrichten sollen, kostet das schlichtweg Zeit. Man braucht Informationen, die einen den Weg zur Besserung aufzeigen – zum Beispiel: Welche Lebensmittel sind denn nun gesund? Welche Kochweise ist denn nun die gesündeste? Den Aufwand scheuen viele, oder anders formuliert: Viele fangen mit der Planung der Verhaltensänderung vielleicht noch schwungvoll an, erlahmen dann aber nach einiger Zeit und verfallen in alte Routinen. Das ist an sich auch verständlich, wenn man beispielsweise Job und Familienleben unter einen Hut bringen will oder muss.
Weshalb fällt es uns – auch aus neurowissenschaftlicher Sicht betrachtet – so schwer, die Komfortzone zu verlassen und alte Gewohnheiten und Verhaltensweisen abzulegen?
Achtziger: Unser Gehirn enkodiert Routinen im Sinne von Gewohnheitshandlungen. Grob ausgedrückt, muss unser Denkorgan diese dann erst wieder verlernen beziehungsweise alternative Verhaltensweisen „routinieren“, damit die alten, weniger erwünschten Gewohnheiten nicht mehr auf Abruf parat stehen. Das ist es auch, was den Aufwand bei Verhaltensänderungen im Wesentlichen ausmacht.
Welche Rolle spielen Veränderungen für unser Leben?
Achtziger: Wir brauchen sie natürlich. Wann auch immer wir merken, dass in einem wichtigen Lebensbereich etwas schiefläuft oder zumindest nicht so gut läuft, wie es sein könnte, macht man sich selbstverständlich Gedanken darüber, was man ändern kann. Das ist – wie bereits erwähnt – nicht immer angenehm, und tendenziell sind wir alle ein bisschen faul und hängen gerne bequem an alte Routinen fest. Je nach Umständen muss man aber aktiv werden und neue Wege einschlagen, was den meisten von uns in vielen Bereichen ja auch gelingt. Problematisch und kompliziert wird es dagegen in Bereichen wie Gesundheit, Familie und Job, also in Bereichen, die aus verschiedenen Gründen existentiell sind.
Was muss ich also tun, damit meine Vorsätze auch gelingen?
Achtziger: Der größte Fehler, den die meisten machen, ist der, dass man Vorsätze so breit und unspezifisch fasst, dass man hinterher selbst gar nicht weiß, wie und was man damit eigentlich beabsichtigt hat – und vor allem, wie man den jeweiligen Vorsatz in die Tat umsetzen soll. In diesem Sinne kann man jedem nur raten, sich die Fragen „Wann will ich versuchen, den Vorsatz in die Tat umzusetzen?“ (Das heißt: Man lege den genauen Tag, die genaue Uhrzeit fest, an dem/zu der man Sport treiben oder gesündere Lebensmittel kaufen will etc.), „Wie will ich das eigentlich ganz konkret machen? (Das heißt: Was muss ich genau tun und wie häufig?) und „Wo will ich den Vorsatz eigentlich in die Tat umsetzen?“ (Das heißt: Immer, wenn ich nur für mich alleine oder wenn ich für die ganze Familie beziehungsweise Freunde koche? Oder: Ich treibe mehr Sport im Fitnessstudio X unter Anleitung von/zusammen mit meiner Freundin Y). Je konkreter man diese drei Fragen für sich beantworten kann (am besten, man setzt sich in Ruhe hin und schreibt sich die Fragen und die entsprechenden Antworten einmal auf), desto eher wird ein Vorsatz auch tatsächlich Auswirkungen auf das Alltagsleben haben.
Zum Ende eine ganz persönliche Frage: Haben Sie selbst ein paar Vorsätze fürs neue Jahr?
Achtziger: Ich muss leider zugeben, dass ich seit gefühlt mehreren Jahren immer dasselbe Ziel am Jahresanfang habe – nämlich mehr zu publizieren. Der Vorsatz, der dieses Ziel unterstützen sollte, lautet entsprechend: „Wenn es Samstagmittag ist, dann fange ich sofort an, an dem aktuellen Manuskript weiterzuschreiben!“
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