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Dr. Dennis Lichtenstein ist Kommunikationswissenschaftler und seit Oktober 2014 Postdoc am Lehrstuhl für Politische Kommunikation an der Zeppelin Universität. Zuvor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und an der Universität Augsburg beschäftigt. In Düsseldorf hat er 2013 im Rahmen eines DFG-Projektes mit einer Arbeit zur Konstruktion europäischer Identitäten in Mediendiskursen ost- und westeuropäischer EU-Länder promoviert. Seine aktuellen Forschungsinteressen liegen insbesondere in Fragen zur politischen Öffentlichkeit, der medialen Krisenkommunikation und der Politikdarstellung in unterhaltenden und informierenden Medienangeboten.
Der Beitrag schließt an die Debatte zu den Konsequenzen politischer Satire an, in der sich Vorstellungen einer zur Meinungsbildung anregenden produktiven Satire und einer pseudo-kritischen Satire gegenüberstehen, die politischen Zynismus fördere. Mit Blick auf die Bereitstellung politischer Informationen und die Vermittlung von Orientierung durch Kritik wird nach der Politikdarstellung in deutschen TV-Satiresendungen gefragt. Eine quantitative Inhaltsanalyse untersucht alle Ausgaben der Kabarettsendung „Die Anstalt“ sowie der Comedysendungen „Neo Magazin Royale“ (Late-Night-Show) und „heute show“ (Nachrichtensatire) aus zweieinhalb Jahren. Erhoben werden der Anteil politischer Themen in den Sendungen und die Tiefe politischer Informationen (Informationsbereitstellung) sowie Positionierungen zu politischen Informationen und Bewertungen politischer Akteure (Vermittlung von Orientierung). Während „Die Anstalt“ und die „heute show“ in der Informationsbereitstellung Elemente produktiver und pseudo-kritischer Satire verbinden, dominieren im „Neo Magazin Royale“ Merkmale der pseudokritischen Satire. In der Vermittlung von Orientierung lässt sich „Die Anstalt“ der produktiven Satire und das „Neo Magazin Royale“ der pseudo-kritischen Satire zuordnen; die „heute show“ integriert beide Formen.
Wie lässt sich Satire charakterisieren?
Dennis Lichtenstein: Satire leistet auf unterhaltende Weise Kritik, indem sie beispielsweise ihren Gegenstand entfremdet und mit Übertreibungen arbeitet. Sie hat einen aggressiven und zugleich spielerischen Charakter, mit dem sie sich in das Zeitgeschehen einmischt – und dort bestenfalls auch Wirkungen hervorruft. Ein Beispiel ist Jan Böhmermanns Varoufakis-Video, das in den großen Zeitungen für einen kurzen Moment eine journalistische Selbstreflexion zur eigenen Berichterstattung über die Griechenlandkrise 2015 ausgelöst hat. Dass Satire außerdem lustig sein muss, ist allerdings eher ein Kriterium, das sich auf die Fernsehsatire oder Memes im Internet bezieht. Gesellschaftssatiren dagegen wie Heinrich Manns Roman „Der Untertan“ oder „Gullivers Reisen“ von Jonathan Swift sind geradezu diabolisch verspielt, aber funktionieren ohne schnelle Pointen.
Was ist Aufgabe, was ist Ziel von Satire?
Lichtenstein: Bei den normativen Aufgaben von Satire haben wir meist Kurt Tucholsky, Erich Kästner oder Karl Kraus im Kopf. In diesen Fällen ist Satire ein Kampfbegriff gegen Obrigkeiten, Militarismus und Unterdrückung. In Teilen der Kabarettlandschaft wird dieser Duktus teilweise noch aufrechterhalten – das wird in weitgehend gefestigten Demokratien aber schnell peinlich.
Satire ist heute kein Märtyrergeschäft mehr, es sei denn, man beleidigt türkische Präsidenten. Sie muss auch nicht zwingend politisch sein. Ihr Ziel ist in der Regel die Verbindung von Kritik und Unterhaltung. Auf diese Weise kann sie zusätzliche Perspektiven auf Themen beisteuern, die in öffentlichen Auseinandersetzungen gerade aktuell sind, und Absurditäten in unserer gewohnten Normalität sichtbar machen. Dabei geht es oft nicht nur um Inhalte, sondern auch um Stilkritik. Satire setzt sich mit dem öffentlichen Auftreten und der Rhetorik Prominenter auseinander und hinterfragt nicht zuletzt die Darstellungslogik der großen und kleinen Nachrichtenmedien – so zum Beispiel über eine Überbetonung von Nachrichtenwerten wie Drama und Konflikt oder durch sinnfreie Experteninterviews. Nicht umsonst ist die „heute-show“ in ihrem Setting aufgebaut wie eine ganz normale Nachrichtensendung.
In der politischen Öffentlichkeit kann Satire – wenn sie denn politische Themen behandelt – noch weitergehende Funktionen erfüllen. Sie kann ein junges und für Politik weniger interessiertes Publikum an Politik heranführen und eine Art Basiswissen vermitteln: Im Idealfall regt Satire zur kritischen Auseinandersetzung mit politischen Inhalten an. Das sind die Funktionen von Satire, die für die politische Kommunikationsforschung besonders interessant sind und die zeigen, dass Satire als Teil unserer Medienumwelt für gesellschaftliche Diskurse und die Meinungsbildung eine Rolle spielt. Ob die Satiriker politische Information und Meinungsbildung auch explizit als ihre Aufgabe sehen, ist aber eine ganz andere Frage – das variiert stark.
Satiresendungen haben im deutschen Fernsehen Hochkonjunktur: Wie lässt sich das erklären?
Lichtenstein: Satiresendungen und auch politische Satire sind ja keine neuen Phänomene. Vor allem Kabarettsendungen haben in Deutschland eine lange Tradition, wenn auch meist in den Programmnischen. Man darf aber nicht vergessen, dass die Sendung „extra 3“ schon seit den 1970er-Jahren existiert – so hat Rudi Carrell mit seiner Tagesschau schon in den 1980er-Jahren die deutsch-iranischen Beziehungen ruiniert.
Dass Genre Satire hat in den vergangenen Jahren sicherlich – etwa durch die hitzige Debatte um die Mohammed-Karikaturen und den dramatischen Anschlag auf Charlie Hebdo – viel Aufmerksamkeit bekommen. Solche Ereignisse erklären aber keine längerfristige Popularität von Satiresendungen. Viel wichtiger sind Programmstrategien der Sender und die Nachfrage des Publikums. Die Sender haben 2009 mit der „heute-show“ und vorher schon mit der „Harald Schmidt Show“ US-amerikanische Formate adaptiert, denen man zugetraut hat, ein vergleichsweise großes und vor allem junges Publikum zu erreichen. Dazu passt, dass die Sendungen die sozialen Netzwerke sehr geschickt bespielen. Zugleich findet das Publikum in diesen Formaten mehr als nur Klamauk – und zugleich eine weniger schwerfällige und belehrende Darstellung als in einigen Kabarettsendungen.
Trotzdem profitiert auch das Fernsehkabarett davon, dass Satire in Mode gekommen ist. Ich würde aber nicht so weit gehen, dass Satiresendungen in Deutschland für den besseren und verlässlicheren Journalismus gehalten werden und deshalb Konjunktur haben. Für die USA vertreten einige Autoren dagegen sehr wohl diese Ansicht.
Inwieweit gehört politische Satire zum politischen System?
Lichtenstein: Satire ist längst in der Politik angekommen. Das fängt an mit Politikern, die Satiresendungen besuchen, um dort Sympathien zu gewinnen, und geht weiter mit Satirikern wie Martin Sonneborn, die zu Wahlen antreten oder es sogar bis ins Europaparlament schaffen. Vor allem aber wird politische Satire derzeit vom Publikum gut nachgefragt – und von manchen auch zur politischen Information genutzt. Satire ist damit ein wichtiger Bestandteil der Medienumwelt, in der sich Politiker bewegen und um Zustimmung werben. Es ist also kein Wunder, wenn Politiker damit anfangen, die besondere Medienlogik von Satiresendungen zu adressieren. Wenn etwa der bayrische Finanzminister, Markus Söder, dem Außenreporter der „heute-show“, Lutz van der Horst, das Mikrofon klaut, weiß er ganz genau, dass dieser Ausschnitt auf jeden Fall gesendet wird.
Im schlechtesten Fall führt das Zusammenspiel von Satire und Politik dazu, dass über Unterhaltung und Provokationen politische Inhalte aus dem Diskurs gedrängt werden. Im besten Fall schafft die Satire Anreize, sich mit Politik zu befassen und belebt den Diskurs auch zu inhaltlichen Fragen. In den USA haben einige Satiresendungen heute nahezu den Status journalistischer Sendungen.
Inwieweit gehört politische Satire zum politischen System?
Lichtenstein: Satire ist längst in der Politik angekommen. Das fängt an mit Politikern, die Satiresendungen besuchen, um dort Sympathien zu gewinnen, und geht weiter mit Satirikern wie Martin Sonneborn, die zu Wahlen antreten oder es sogar bis ins Europaparlament schaffen. Vor allem aber wird politische Satire derzeit vom Publikum gut nachgefragt – und von manchen auch zur politischen Information genutzt. Satire ist damit ein wichtiger Bestandteil der Medienumwelt, in der sich Politiker bewegen und um Zustimmung werben. Es ist also kein Wunder, wenn Politiker damit anfangen, die besondere Medienlogik von Satiresendungen zu adressieren. Wenn etwa der bayrische Finanzminister, Markus Söder, dem Außenreporter der „heute-show“, Lutz van der Horst, das Mikrofon klaut, weiß er ganz genau, dass dieser Ausschnitt auf jeden Fall gesendet wird.
Im schlechtesten Fall führt das Zusammenspiel von Satire und Politik dazu, dass über Unterhaltung und Provokationen politische Inhalte aus dem Diskurs gedrängt werden. Im besten Fall schafft die Satire Anreize, sich mit Politik zu befassen und belebt den Diskurs auch zu inhaltlichen Fragen. In den USA haben einige Satiresendungen heute nahezu den Status journalistischer Sendungen.
Was genau ist der Unterschied zwischen politisch produktiver Satire und pseudo-kritischer Satire?
Lichtenstein: Die Begriffe sind keine Werturteile für gute oder schlechte Satire, sondern leiten sich von der Fragestellung nach dem Beitrag von Satire zu einer politischen Öffentlichkeit ab. Inwieweit sind die Sendungen nicht nur unterhaltend oder witzig, sondern geben auch politische Informationen und eine Basis für die politische Meinungsbildung?
Unter produktiver Satire verstehen wir daher Beiträge, die ein politisches Thema behandeln und dazu tiefergehenden Kontexte oder Hintergrundinformationen liefern. Sie bewertet politische Informationen explizit und übt über politiknahe Kriterien inhaltliche Kritik an politischen Akteuren. Sie ist damit informativ, bewertet begründet und explizit und vermittelt so Orientierung. Pseudo-kritische Satire dagegen verzichtet auf politische Kontexte, sie ist in ihren Bewertungen implizit und damit mehrdeutig und kritisiert politische Akteure überwiegend anhand politikferner Kriterien. Sie vermittelt den Anschein von Kritik, vermeidet aber die inhaltliche Auseinandersetzung.
In unserem Sample hat die Kabarettsendung „Die Anstalt“ eher den Kriterien der produktiven Satire entsprochen, während die Late-Night-Show „Neo Magazin Royale“ der pseudo-kritischen Satire nahekommt. Das heißt nicht, dass die Sendungen die beiden Satireformen idealtypisch repräsentieren. Im „Neo Magazin Royale“ finden sich nämlich durchaus auch immer wieder inhaltlich tiefschürfende Beiträge – in der großen Zahl ist die politische Substanz der Sendung aber schwach.
Zu welchen Ergebnissen kommen Sie und was hat Sie dabei am meisten überrascht?
Lichtenstein: Die Unterschiede zwischen dem „Neo Magazin Royale“ und „Die Anstalt“ waren auch aufgrund der unterschiedlichen Zielgruppen erwartbar. Besonders interessant waren die Differenzen zwischen „Die Anstalt und der „heute-show“. Beide lassen sich als politisch informativ beschreiben, aber während die „heute-show“ stark am aktuellen Politikgeschehen im engeren Sinne orientiert ist, befasst sich „Die Anstalt“ häufig mit politischen Gesellschaftsthemen, über die ein Handlungsbedarf an das politische System adressiert werden kann.
Sind Sie eher ein Pessimist oder ein Optimist, wenn es um die Wirkung von Satire geht?
Lichtenstein: Jedenfalls teile ich nicht die Untergangshysterie, laut der eine negative Darstellung von Politik in der Satire zwangsläufig zu politischem Zynismus und einer Abkehr der Menschen von Politik und Demokratie führe. Aber auch bezogen auf das Lernen über Politik und die Vermittlung kritischer inhaltlicher Botschaften gilt: Wenn man optimistisch von starken Medienwirkungen ausgeht, hat man gleichzeitig ein pessimistisches Menschenbild. So furchtbar leicht beeinflussbar ist das Publikum nicht. Ich bin optimistisch, dass ein aufgewecktes Publikum politisch produktive Satire nachfragt, sie aktiv rezipiert und Anregungen zum eigenen kritischen Hinterfragen von Politik gewinnt. Ich hoffe, dass das gleiche Publikum auch die pseudo-kritische Satire nutzt – nur eben als das, was sie ist: In erster Linie Unterhaltung mit politischen Themen.
Titelbild:
| ZDF Mediathek / heute-show-Jahresrückblick vom 15. Dezember 2017
Bilder im Text:
| obs / ZDF / Presseportal (honorarfrei für redaktionelle Zwecke)
| NDR Mediathek / Extra3 vom 27. April 2017
| obs / ZDF / Jürgen Nobel (honorarfrei für redaktionelle Zwecke)
Redaktionelle Umsetzung: CvD